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Kategorie: Kunst

IMGP7829Tänzerin und Tanzpädagogin Julie Opsahl im Lockdown

Hanswerner Kruse

Schlüchtern (weltexpresso) - Gegenwärtig kann man Julie Opsahl (25) nicht auf der Bühne sehen und sie darf keine jungen oder älteren Menschen unterrichten. Doch was macht so eine quirlige Tänzerin und Tanzpädagogin in diesem elend langen Lockdown? 


Trotz erster Lockerungen muss sie weiterhin auf die Öffnung des „Ballettsaals“ warten, allenfalls online unterrichten und sich körperlich fithalten. Dabei brennt Julie darauf, die künstlerisch verdichteten Erfahrungen des ersten Lockdowns mit der Gruppe „Artodance“ zu präsentieren. Im letzten November sollte das von ihrer Mutter Monica Opsahl choreografierte Tanzstück im KulturWerk gezeigt werden. Gemeinsam entwickelten die Tänzerinnen Szenen, in denen sie zu rasenden Klängen ihre Isolation, ihre Einsamkeit, ihren Schmerz, dann ihre Wiederbegegnung ausdrückten und dadurch verarbeiteten. „Wir waren wie ein aufgedrehter Wasserhahn“, erinnert sich die Tänzerin - doch dann kam die kalte Dusche, der zweite, bis heute andauernde Lockdown.

In einem Schlüchterner Supermarkt arbeitete die junge Frau in den letzten Monaten siebzig Tage lang an der Kasse. Trotz Maske und Plexiglasscheibe erkannten sie viele Leute. „Gerade meine Tanzkinder sprachen mich so oft an“, erzählt sie, „das brach mir fast das Herz.“ Julie arbeitete nicht aus Not in dem Laden, sondern aufgrund eines Zufalls. Eine Freundin macht dort ihre Ausbildung und es herrschte Personalnot. „Ein Polster kann ja nicht schaden“, dachte sie und bewarb sich.

Im Supermarkt kam sie gut klar, bekam positive Resonanz vom fest angestellten Personal und half auch außerhalb der Kasse mit: „Man weiß ja was zu tun ist und packt schon mal mit an, wenn man eine Tanzschule hat“, sagt sie lachend. Und wenn sie ihre Erfahrungen tanzen sollte? „Ach, da würde ich mich unaufhörlich zu Biep, Biep, Biep, Biep bewegen.“ Aber eins sei ihr wieder einmal klar geworden verkündet sie strahlend: „Ich habe meinen Traumberuf!“

So lange man Julie Opsahl im Bergwinkel kennt, bewegt sie sich kunstvoll auf der Bühne - in der Stadthalle, im KulturWerk, im Wald, sogar im Kaufhaus Langer vor dem Abriss. Sie zeigte Märchengestalten wie früher die Klara, heute die Zuckerfee im „Nussknacker“, tanzte eine Räuberin oder Haremsfrau, Spitzentänze oder freie Figuren in zeitgenössischen Choreografien der Mutter. Ihre tänzerische Bandbreite ist riesig, jedoch die Interpretation von Ibsens „Nora“ und des Abschieds von der gestorbenen Malerin Dorle Obländer im „Dying Swan“, bedeuteten ihr emotional am meisten: „Da habe ich meine Seele getanzt!“.

Ihre Bewegungstechniken und die Ausdrucksfähigkeit eignete sie sich nicht nur im „Ballettsaal“ und in der professionellen Tanzformation „Artodance“ an, sondern nach dem Abi auch auf einer Balletthochschule russischer Provenienz. Als sie sich hier das klassische Ballett erarbeitete, ging es technisch richtig anstrengend und hoch anspruchsvoll zur Sache.

Als Sechsjährige kam Julie mit der Mutter und ihrem Bruder von Norwegen nach Sterbfritz im Sinntal. Seit der ersten Klasse tanzte sie in Schulprojekten, im Gardetanz und schließlich in dem von Monica Opsahl gegründeten „Ballettsaal“, der bald nach Schlüchtern umzog. Bereits als Teenie übernahm sie Kurse mit den Kleinsten. „Für viele Kinder war ich schon immer da“, erzählt Julie nachdenklich, „die sind mit mir gewachsen und haben mit mir als große Freundin ihre Probleme besprochen. Jetzt im Lockdown fehlt uns allen diese Vertrautheit.“ Mittlerweile unterrichtet sie fast alles was man mit Bewegung darstellen kann: Kinderballett, Hip Hop, Jazz Dance, Contemporary.

Ihre Klientel, an die sie weitergeben möchte was sie bewegt und beseelt, ist zweieinhalb bis siebzig Jahre alt. „Die fehlen mir jetzt alle“, sagt sie mehrfach traurig im Gespräch. Man glaubt ihr, dass sie letztlich sogar die Begegnungen im Unterrichten ihrer Bühnenerfahrung vorziehen würde. Zum Schluss betont Julie, ihre Mutter und sie hätten durch den Lockdown gelernt, sich nicht vom Negativen herunterziehen zu lassen: „Wir freuen uns einfach darauf, dass es irgendwann wieder weitergeht!

Foto:
Julia Opsahl in "Alice im Wunderland" (c) Hanswerner Kruse