Drucken
Kategorie: Kunst
kochs 1190Besprechung eines Bildes von Christopher Kochs

Hannah Wölfel

Kleinsassen/Rhön (weltexpresso) - Christofer Kochs zeigt seine Arbeiten in der Herbstausstellung der Kunststation unter dem Titel „Die Rückseite der Wirklichkeit“. Der vielseitige Künstler malt mit satten Ölfarben, druckt Holzschnitte und koloriert sie nach oder modelliert mit der Kettensäge Holz-Skulpturen, die er kräftig einfärbt.

Das Besondere seiner Malerei ist, dass er die Leinwände vor dem Bemalen knickt, faltet oder gerissene Streifen hinzufügt. Dadurch entstehen leicht reliefartige Oberflächen, in deren Räumen die aufgemalten Menschen einen „Aktionsort“ finden: „Sie leben mit und gegen das Vorgefundene und überwinden es schwebend“, meint Kuratorin Dr. Elisabeth Heil, sie „kommen auch ohne reiche Naturdetails oder Architekturen aus.“

Die heute vorgestellte Arbeit mit dem Titel „Wimpernschlag der Endlichkeit“ ist eine Collage. Das Hemd, das der gefalteten Leinwand hinzugefügt wurde, verschwindet durch die Übermalung im düsteren Hintergrund. Eine weißliche, transparente Figur liegt unten im Bild. Doch trotz der figurativen Gestaltung hat auch dieses rätselhafte Gemälde des Künstlers - wie alle Werke in seiner Ausstellung - etwas Unwirkliches. Kochs kreiert keine mimetischen Abbildungen, seine Objekte entwickeln ihre eigene Realität. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch die Faltungen, die oft am unteren Bildrand eine Art Bühne schaffen, auf der nur theatralische, keine realen Ereignisse angespielt werden.

Im Hintergrund der Collage vermittelt die sternenartige Kulisse möglicherweise die Weite des Alls, das Hemd verweist vielleicht auf menschliche Kultur. Etwas verdrehte oder aufgerollte Gebilde mit Streifen wirken dynamisch, denunzieren jedoch den Hintergrund als Staffage. Farbenfrohe aber undefinierbare Objekte, vielleicht fette exotische Früchte, locken das weiße Wesen oder baumeln unheilschwanger darüber: Die menschliche Figur - oder ihr zurück gebliebener Umriss - existiert zwischen Bühne und Kulisse.

Von außen scheint die benachbarte Holzskulptur zuzugucken - oder war sie es, die sich aus dem Werk befreite? Bestimmt schuf Kochs sie nicht als Pendant zum Gemälde, aber sie wurde nicht beliebig dorthin dekoriert. Das so zu sehen und darüber nachzudenken ist erwünscht, denn der Künstler gestaltet keine in sich geschlossenen Geschichten. Vielmehr bewirkt er mit seinen kryptischen Werken Anreize zum Weitererzählen und Träumen. Keinesfalls bewusst verrätselt er die Arbeiten, auch nicht diese Collage, sondern sie entwickeln sich so im Prozess seiner Formgebung.

Der Titel „Wimpernschlag der Endlichkeit“ fördert freie Assoziationen und eigene Interpretationen: Ist die begrenzte menschliche Existenz nur ein Wimpernschlag angesichts der Ewigkeit? Zeigt das Bild einen Moment der berstenden Wirklichkeit? Geht es um den Tod im endlichen Menschenleben? Die Arbeit erinnert an das Todespoem „Abschied“ Rainer Maria Rilkes: „...doch als du gingst, da brach in diese Bühne / ein Streifen Wirklichkeit durch jenen Spalt / durch den du hingingst: Grün wirklicher Grüne / wirklicher Sonnenschein, wirklicher Wald...“

Je länger man diese Collage oder andere Werke von Kochs befragt, um so geheimnisvoller entziehen sie sich dem Betrachter. Sie berühren ihn, aber lassen sich nicht gänzlich rational erfassen.

kochs 9156
Fotos:
Hanswerner Kruse

Info:
Ausstellung „Die Rückseite der Wirklichkeit“ noch bis zum 5. Dezember 2021
www.kunststation-kleinsassen.de