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Kategorie: Kunst
IMG 4805 KopieFRAUEN IN DER KUNST. Michael Imhof feiert in seinem eigenen Verlag Bildnisse von Frauen, 2/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das gefiel schon beim ersten Durchblättern. Sie müssen nicht systematisch Seite für Seite aufschlagen. Sie können entweder im Inhaltsverzeichnis schauen, was Sie am meisten interessiert oder Sie blättern und bleiben hängen. Wir haben alles aufprobiert, auch das blinde Aufschlagen, und es wurde uns nie zuviel, was daran liegt, daß es einfach sehr viel ist, insgesamt 271 Farbbilder!, die auf den Seiten untergebracht sind. 

nofreWir blieben bei Nofretete (1368/70-1330 v. Chr.) hängen, die zwar in Berlin steht, aber, wenn wir ehrlich mit uns selbst wären, natürlich nach Ägypten gehört. Für ägyptische Archäologen wäre sie dort auch richtig am Platz, für Muslime weniger. Denn im Buch begleitet die so bekannte Büste der Nofretete, hier ein Abguß , eine 41 Zentimeter hohe Statuette der Königin (links), ebenfalls eine Rekonstruktion nach dem Original, um 1340 v. Chr. - und die ist nackt! Zeigt also ihre Brüste und den Bauchnabel. Das ist nicht nur für Muslime zu viel. Für die amerikanische Filmindustrie beispielsweise auch. Zwar sind die Amerikaner lockerer geworden, aber bei Liebesszenen mit angedeutetem Koitus bleiben die Büstenhalter an!

Und Marilyn Monroe (Titelfoto) haben wir dann auch schnell gefunden. Sogar über eine ganze Seite ihr Porträt als Lithografie sowie ein Foto. Der erwartete Andy Warhol dagegen zeigt Brigitte Bardot. Das finden wir auch gut, denn Warhols Monroe ist fast kultureller Allgemeinbesitz, etwas abgegessen. Die Bardot nur als Person französischer Nationalbesitz, als Warhol eher ungewöhnlich. Gut so.

zeichnung gesichtWir lesen und schauen uns durch, treffen auf viel Bekanntes, aber auch Unbekanntes. Dazu gehört auf Seite 9 ein ganzseitiges Frauenporträt C.L. (rechts) , Federzeichnung vom mir unbekannten Peter Henryk Blum, 1987. Das ist für mich persönlich die eigentliche Entdeckung! Sie glauben, eine Fotografie anzuschauen, merken aber gleich, daß diese Dichte des Atmosphärischen kein Foto hergibt. Dieses Antlitz fordert dazu heraus, uns über diese Frau Gedanken zu machen. Sie ist kritisch, sie ist zurückhaltend, der Mund fest verschlossen, aber derart wache Augen mit einem dann doch verletzten Blick. Oder ist sie einfach angewidert, daß sie immer Modell stehen soll. Einfach überdrüssig. Ich kann mich an der Machart einfach nicht sattsehen, wie hier Schatten und Licht den Körper modellieren. So eine Zeichnung wäre in vorherigen Jahrhunderten nicht möglich gewesen, obwohl ja die Zeichenkunst seit so langem kaum steigerbar scheint. Darum geht es auch nicht, Kunst kann man nicht wie in Sportarten in immer weiter, immer höher, immer schneller vorantreiben. Kunst muß ein Lebensgefühl einer Zeit zum Ausdruck bringen, was diesem Porträt in besonderem Maße gelingt. Einfach stark.

Und dann fehlte mir doch noch was. Ausgerechnet beim Kapitel CARITAS – NÄCHSTENLIEBE. Für all die nährenden Gottheiten und Halbgöttinnen der Antike, für deren Verkörperung wurde im christlichen Bereich eine Caritas kreiert, deren Brüste Milch in die Münder dürstender Alter schießen. Echt als Nächstenliebe und ziemlich befremdend für heute. Was es alles gibt! Aber nein, hier nicht, denn auf Seite 258 wird unter CARITAS-NÄCHSTENLIEBE nur Liebliches gezeigt, Fürsorge für Kinder, Kranke und einen Greis, der aber die Milch ordentlich im Becher gereicht erhält, schließlich sind wir hier im Biedermeier, ein Waldmüller von 1850, da ging es ordentlich, eben biedermeierlich her, nichts da mit Milch schießenden Brüsten der Renaissance!


Resümee

41 00642692 johann baptist reiter die fleissige tischlerfamilieDie am Anfang erwähnten Frauentitel sind Bücher, die der Reihe nach in meinem Regal stehen, ich hatte dann aufgehört, weitere zu erwähnen. Der Witz ist nun, daß Sie all die Thematiken in FRAUEN IN DER KUNST im Bild wiederfinden. Denn die Frauenbildnisse sind ja nicht leere Hüllen, sondern tätige Wesen, auch wenn sie schlafend abgebildet sind oder ruhend. Sie lesen, sie reiten, sie reden, sie kümmern sich, sie ordnen Blumen oder Gärtnern! Ja, genau, das fehlt mir dann doch: die arbeitende Frau. Nicht nur die Fabrikarbeiterin des 19. Jahrhunderts, sondern die mitarbeitende Ehefrau sowie die Kinder, als im 19. Jahrhundert Leben und Arbeiten vielfach noch zusammengehörten, wie im Gemälde von Johann Baptist Reiter TISCHLERWERKSTATT.(links).  Das wäre das einzige, was ich dem Buch noch hinzufügen täte: arbeitende Frauen in der Kunst. Dann sieht man auch, wie selten die Arbeit, was unser tägliches Frauenleben bestimmt, Sujet der Kunst wird.

Auf der anderen Seite zeigt die Tischlerwerkstatt das auf, was in Zeiten von Corona auch in modernen Zeiten wieder Heimarbeit wurde: das häusliche Büro im Wohnzimmer. Aber das wird nie Gegenstand für Kunst werden. Zu alltäglich. Oder wann werden wir überhaupt Coronabilder sehen? Wohl nur als Akt mit Maske in Herrenmagazinen.

Und dann fiel uns noch etwas auf und ein. Sozusagen das Gegenteil von FRAUEN UND ARBEIT, nämlich der AKT. Der nackte Frauenkörper oder der wie bei den frühen Griechen, angezogene, der nackter aussieht, als ein unbekleideter Körper. Der wurde in allen Zeiten wieder modern und aus der Versenkung geholt. blumenstraußUnd es gibt doch so wunderschöne wie bei Giorgione und Tizian, Rubens usw, die wir hier auf den ersten Blick vermissen. Doch diese sind weithin bekannt. Und auch die Darstellungen der Aphrodite-Venus, ob als Botticelligemälde oder skulptural die Venus Medici, sie alle sind sehr geläufig. Stattdessen wird der Akt selber auf den Seiten 30/31 als Modellstehen in den Akademien ‚abgehandelt.‘, die nur den Kennern wirklich bekannt sind.

Und hierin liegt die eigentlich Leistung des Autors. Er schreibt selber, daß Frauen zwar immer Motiv in der Kunst waren, aber zwischen 1830 und 1930 so häufig wie nie zuvor (und danach) abgebildet wurden. Wir sehen also eine Menge Bilder, die die paarnacktwenigsten von uns kennen, weil die Kunst des 19. Jahrhunderts und die außerhalb von Impressio-und Expressionismus sowie Abstraktion und Neuer Sachlichkeit des frühen 20. Jahrhunderts wenig bekannt ist, auch sehr viel weniger in den Museen hängt als andere Epochen oder die erwähnten Kunststile. Dies ist gleichzeitig die Zeit, wo ein wohlhabendes Bürgertum entstand, edle Anwesen, die mit Kunst geschmückt wurden, durchaus mit Kunst der Zeit und der Zeitgenossinnen.

Darum ist für mich die eigentliche Leistung dieses Kunstbandes diejenige, neben bekannten Ikonen wie der Mutter Dürers, Rogiers van der Weyden, Raffael , Vermeer etc. uns Abbildungen von Frauen vor Augen zu führen, die die wenigsten je gesehen haben, sei es, weil sie in Privatbesitz hängen oder in den Museen aus herkömmlicher kunstgeschichtlicher Betrachtung unter Wert im Depot hängen. Daß sich unser Geschmack ändert, ist ein weiterer Befund, denn einige der Bilder, die hier durch das Beisammensein mit anderen geradezu geadelt werden, hätten wir alle noch vor Jahrzehnten als Kitsch oder zumindest kitschaffin bezeichnet.

Foto:
©Redaktion

Info:
Michael Imhof, Frauen in der Kunst von Nofretete bis Marilyn Monroe, Michael Imhof Verlag 2021
22,7 × 29 cm, 272 Seiten, 271 Farb- und 4 SW-Abbildungen,
ISBN978 3 7319 0827 2