Drucken
Kategorie: Kunst

Die seltsam bizarren Wesen des Fotografen Thomas van der Scheck

 

Hanswerner Kruse

 

Steinau (Weltexpresso) - Derzeit tummeln sich im Grimm-Haus in Steinau (Kinzigtal) seltsam bizarre, meist weibliche Wesen auf großen Fotografien. Eine in Latex gequetschte Micky-Maus-Frau scheint eine Barbiepuppe fressen zu wollen. Eine andere, nackte Frau verkriecht sich in einen Rattenkäfig, die Ratte hockt obendrauf. Der Fuldaer Künstler Thomas van de Scheck zeigt bis zum 16. März seine extremen Fotoarbeiten.

 

 

Diese Bilder polarisieren die Besucher, manche empfinden sie als geniale, moderne Märchenbilder, andere wollen so etwas Ordinäres nicht sehen. Schecks Werke sind „nicht niedlich und süß“, wie Museumsleiter Burkhard Klink selbst sagt. Aber das sind ältere Illustrationen im Grimm-Haus ja auch nicht, Moritz von Schwind (1804 - 1871) etwa, illustrierte Grimms Märchen mit ziemlich gruseligen Folterszenen.

 

Scheck widmet sich in seinen Arbeiten ausdrücklich den menschlichen Abgründen und zeigt auch die dunklen Seiten der Grimmschen Märchen, die ja ursprünglich nicht für Kinder aufgeschrieben wurden. Eine moderne Latexfrau offeriert dem Betrachter Schneewittchens Todesapfel. Die nackte Prinzessin verschluckt einfach mal den Froschkönig, statt sich mit ihm herumzuärgern. Ist die weiße Frau mit dem blutbespritzten Hochzeitskleid und dem Revolver in der Hand etwa das arme Schneewittchen? Die alten Märchenthemen werden hochaktuell interpretiert, die Figuren sind neuzeitliche Heroinen oder Outsider.

 

Die Frauen in Schecks Bilder wirken oft stark und widerständig, ganz in der Tradition der Models des legendären Helmut Newton. Sie sind keine Opfer und kommen als wilde schwarze Vögel angeflattert oder kämpfen mit winzigen Frauen - manchmal ihre eigenen Klone, manchmal Barbiepuppen - wohl um die eigene Identität zu finden. Oft wehren sie sich gegen ihre übermächtigen Kuscheltiere oder Spielzeuge, denen sie längst entwachsen sind.

 

Wenn sie sich unterwerfen oder einsperren lassen, tun sie das oft, vielleicht augenzwinkernd dem Publikum zuliebe. Selbst die in Stacheldraht gewickelte Frau scheint zu fragen: „Das hättet Ihr wohl gerne?“ Da die Hintergründe der grell ausgeleuchteten Fotos fast immer schneeweiß sind, schmiegen sich daran gut die Projektionen der Betrachter. Viele der in Steinau ausgestellten Werke sind in der Schwebe, sie wirken real und doch „als ob“, so wie im Spiel. Jedoch werden einige der bildhaften Geschichten immer brutaler und „echter“, je häufiger und länger man sie betrachtet.

 

Es kann sein, dass etliche Models mit Hilfe des Fotografen ihr reales Leid in den Bildern inszeniert haben, aber Schecks Foto Shootings sind keine psychodramatische Sitzungen, selbst wenn manche Frauen, wie er sagt, hinterher Therapie gemacht haben. Durch die extreme Ästhetisierung und Stilisierung lösen sich die Fotografien vom Privaten, das individuelle Leid ist in ihnen, im doppelten Wortsinn, „aufgehoben“. Schon früh in den 70er Jahren hat Rainer Werner Fassbilder am Set oder Pina Bausch im Tanztheater mit ihren Schauspielern oder Tänzern so gearbeitet - das Persönliche wird zum gestaltbaren Material und in eindringliche Szenen transformiert.

 

Auch wenn Scheck und seine Models bestimmte Botschaften haben, bleibt glücklicherweise ein „unwägbarer Rest.“ Deshalb sind diese Fotografien offene, meist nicht eindeutige Kunstwerke, die der Betrachter für sich interpretieren muss! Die Übergänge zur schockierenden Werbefotografie oder grotesken Modeinszenierung sind fließend. Aber werden nicht gerade dort die zeitgenössischen Märchen erzählt?

 

INFO:

Die Ausstellung im Steinauer Grimm Haus läuft seit Anfang Januar und ist täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Am Sonntag, den 26. Januar findet dort um 11 Uhr eine Matinee mit dem Künstler statt.

Zur Ausstellung erscheint der Katalog „Thomas van de Scheck: Moderne Märchen“, 72 Seiten, Preis im Museum 14,80 Euro, im Buchhandel 19,80 Euro