Hofer 1ORTSWECHSEL. Die Kunstsammlung der Deutschen Bundesbank zu Gast im Museum Giersch der Goethe-Universität (MGGU), Teil 2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das Museum Giersch, in dem Birgit Sander schon nicht mehr die neue, sondern die selbstverständliche Direktorin ist, hat einen großen Vorteil. Die für das Wohnen gebaute Villa am Main ist von menschlicher Größe. Darum haben auch die Ausstellungen in den vielen, durchaus kleineren Räumen immer etwas Privates, etwas vom Menschenmaß, das das Überwältigen, was große Ausstellungen in Riesenräumen oft mit sich bringen, ausschließt.

Und gleichzeitig bedeutet das, daß man sich einfach intensiv mit den verschiedenen Räumen beschäftigt, die in dieser Ausstellung – so finde ich – ein besonderes Eigenleben entfalten. Doch zuerst zur Deutschen Bundesbank. Daß die Deutsche Bank über eine aufsehenerregende Kunstsammlung verfügt, weiß heute jeder und es war auch im Städel und sonstwo viel von ihr zu sehen und auch genug Gerede, wie stark die Deutsche Bank durch ihre Ankäufe den Kunstmarkt und damit auch das Renommee einzelner Künstler beeinflußt hat. Das kann man der Bundesbank nicht vorhalten und auch nicht, daß sie bis 1990 allein westdeutsche Künstler angekauft hatte und erst danach DDR-Künstler auch mit älteren Werken in die Sammlung aufnahm, wobei ihnen mit DAS DENKMAL ÜBER DER STADT V. von Bernhard Heisig ein großes Rätselbild zukam, das so komplex ist, daß man einen eigenen Artikel darüber schreiben müßte. Heute sieht man in der zermalmenden Rüstung, die aus dem Bild dem Betrachter entgegenfällt, und ursprünglich mit des Malers Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg und der Warnung vor der Gefahr eines weiteren Weltkriegs assoziiert wurde, nicht nur den aktuellen Krieg in der Ukraine, der die Städte zerstört und die Menschen mordet, sondern kann auch gleich mit Corona identifiziert werden, als nackte, kalte Gefahr für die Menschheit.

Die Ausstellung verdankt sich der Großbaustelle, zu der die Bundesbank in Ginnheim dank umfassender Renovierung und Neubauten derzeit mutiert, auch Dumas1 scaledwenn viele Bilder aus den Dependancen in der Stadt kommen, weshalb ja die bauliche Konzentration ansteht.

Das ist eine Ausstellung, die Laune macht. So ging es mir, als ich das Motto der einzelnen Räume, ihre Überschriften gewissermaßen, zu eigen machte und die an den Wänden hängenden Werke daraufhin abklopfte. Da gibt es einige, sozusagen Lieblingsräume, wie KÖRPER UND IDENTITÄT, wo völlig gegensätzliche Gemälde sich nicht stören, sondern ihr Eigenleben behalten. Und wie! Natürlich massiv in der Mitte die Frechheit der nackten Magdalena, die Marlene Dumas 1995 überlebensgroß von hinten in Grau mit voluminösem Haarschopf ins Schwarze blicken läßt. Irgendwie sehr männlich für mich und irgendwie auch eine Herausforderung.

Das gilt auch für die rechts davon hängende BRAUT, Cornelia Schleime, ebenfalls von 1995. Die Ost-Berliner Künstlerin zeigt nicht den Ost-Westkonflikt, auch nicht den der Deutschen unter sich, sie läßt einfach eine uns anschauende, herausgeputzte Braut in feiner weißer, auch roter Spitze mit pompöser Frisur durch einen brutalen schwarzen Balken teilen. Völlig irre. Da geht einfach ein vertikaler Streifen in Nasenbreite durch die Frisur, das Gesicht, die Gestalt. Hier hat nicht nur die Fassade einen Riß, der Riß muß vielerlei bedeuten. Das läßt einen so schnell nicht los.

Dann atmet man beruhigt durch, wenn man das schöne Bildnis DIE SINNENDE von Karl Hofer aus dem Jahr 1936 betrachtet. Das ist ein feines Porträt einer nachdenklichen Frau, schon traurig, in sich gekehrt, aber gleichzeitig nicht wehmütig, sondern von der Haltung her ganz schön deutlich. Sie gibt sich nicht einem Schmerz hin, sondern sie denkt nach, ja sie sinniert, es sind die Gedanken, die man quasi sieht, wenn sie in der Pose denkender Menschen hier abgebildet wird. Ihr Kopftuch beschäftigt mich besonders, denn darunter lugen kurze Haare hervor, das Blau, Weiß, Rot ihres Pullis mit V-Ausschnitt, läßt an Frankreich denken, was zur Entstehungszeit 1936 schon nicht mehr angesagt war. Es ist nicht das Kopftuch von Bäuerinnen, sondern kunstvoll geschlungen in Rosa und am ehesten muß ich an den Turban der Simone de Beauvoir denken, aber der der Sinnenden ist viel malerischer.
Und erst dann frage ich mich, wieso beim Thema KÖRPER kein Mann als Beispiel dient, wie ansonsten üblich. Hier sind es allein drei Frauen, die KÖRPER UND IDENTITÄT - buchstäblich - verkörpern. Aber stimmt schon. Paßt. 

So gehe ich, mit mir selber sprechend und ebenfalls sinnierend durch weitere Räume, von denen noch die Rede sein wird.

Fortsetzung folgt.

Fotos:
Karl Hofer: Die Sinnende, 1936
© VG Bild-Kunst, Bonn 2022,  Nils Thies
Marlene Dumas: Magdalena from behind, 1995
© Marlene Dumas, 2022, Anett Stuth

Info:
Die Ausstellung ORTSWECHSEL vom 8. Juli 2022 – 8. Januar 2023 ist ein Kooperationsprojekt der Deutschen Bundesbank und des Museum Giersch der Goethe-Universität

Eintritt: Erwachsene 7 € / Ermäßigt 5 €. Freier Eintritt für Personen unter 18 Jahren und Schulklassen.
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr, Sa, So 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr 25.12.22 und 1.1.23 10–18 Uhr geöffnet 24.12. und 31.12.22 geschlossen Sonderöffnungszeiten nach Vereinbarung

Kuratorinnen der Ausstellung: Dr. Iris Cramer, Dr. Katrin Kolk, Dr. Birgit Sander Kuratorische Assistenz: Rebecca Leudesdorff und Antonella B. Meloni

Publikation: Zur Ausstellung erscheint eine Begleitpublikation, die über die Kunstsammlung informiert, den „Ortswechsel“ der Werke thematisiert und eine Auswahl der Exponate – thematisch gegliedert – vorstellt. Sie kostet 10 € an der Museumskasse.

Vermittlungsprogramm: Die Ausstellung wird von einem vielfältigen Programmangebot begleitet. Aktuelle Informationen über alle Veranstaltungen finden Sie immer aktualisiert auf der Website: www.mggu.de