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Gleichgültig turnen, singen und schütteln sich die jungen Leute, mürrisch schauspielern sie tot zu sein oder verfolgt zu werden: Trivial also ist des Pudels Kern, von dem die Kuratorin, viele Kunstkritiker und auch einige Besucher ergriffen sind. Wahrscheinlich herrscht im Zeitalter der Virtual Reality und dem anything goes (alles geht) in der Kunst, ein riesiger Hunger nach Authentizität.

Denn warum wohl wird unaufhörlich auf Imhofs einstige Jobs als Türsteherin, Gitarristin oder Boxerin verwiesen? Von ihren frühen Werken ist dagegen kaum die Rede - ebenso wenig wie über die wegweisende und revolutionäre Ästhetik, die das Tanztheater und die Performance-Art in den letzten vier Jahrzehnten entwickelt haben. Solange ist es her, dass in Venedig Marina Abramovic, die „der Welt berühmteste Performancekünstlerin“ (ZEIT), mit ihrem Partner Ulay bis zur realen Erschöpfung gegeneinander rannte (1976). Oder die Künstlerin 1997 den goldenen Löwen der Biennale dafür erhielt, dass sie real tagelang tausend stinkende Rinderknochen putzte (und damit auf den Balkan-Krieg verwies).

Mich hat - als Kenner der Arbeiten Abramovic’ und Pina Bauschs - immer geärgert, dass Imhofs Muffeltruppe sich nicht im Geringsten um die einst entwickelte Ästhetik schert. Die Jungdarsteller agieren wie Models auf dem gläsernen Laufsteg. Auf die Frage, wer sie inspirierte habe, meint dagegen Abramovic: „Pina Bausch! Sie war die Größte! Ihre Tänzer gehen oder sitzen, rennen im Schnee, sie tanzen im Schlamm, und die Gefühle sind real, weil die Handlung real ist und nicht vorgetäuscht ist wie im Theater. Pina Bausch verstand, dass Emotion durch ein physisches Momentum ausgelöst wird. Eine Revolution.“

Imhofs theatralische Revolution ist ein Sturm im Wasserglas: Pathetisch wird behauptet, im Pavillon könne sich - vom Staat und Unternehmern finanziert sowie vom Außenministerium unterstützt - Widerstand gegen „das System“ entfalten. „Geht’s noch?“, kann man Imhoff da nur fragen.

Der Verfasser dieser Zeilen hatte, wie einst der Herrscher und seine Untergebenen im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“, etwas Angst, seinem Amt (des Schreibers) nicht zu genügen, dumm zu sein. Doch immerhin haben auch die Kritiker der Süddeutschen Zeitung und der FAZ deutlich harsche Worte zu Imhoffs „Faust“ gefunden. Boris Pofalla beschließt seinen Artikel in der FAZ mit den Worten:

„Imhofs Clubkid-Abschiebelager ist (...) tatsächlich die perfekte Repräsentation der Kulturnation: draußen kläffen Wachhunde, drinnen ist man von sich selbst ergriffen. Deutscher geht’s nicht.“

Fotos: © Hanswerner Kruse