Da geht es einmal um die Illustration des täglichen Lebens, um keltische Wirtschaftsweisen, ihre Handelsbeziehungen, welche Werkzeuge sie verwendeten und ob sie auf der Höhe der technologischen Entwicklung waren oder hinterherhinkten oder sogar innovativ wirkten. Es geht auch um den sogenannten Überbau, um die religiösen Vorstellungen der Kelten und ihre Gesellschaftsordnung – oder sollte man besser gleich von Ordnungen sprechen, denn die spannendste Frage von allen ist dann, ob die Gemeinsamkeit, Kelte zu sein, so vordringlich war, daß der Verbund, egal, wo man saß, wichtiger war als die lokale Ausprägung.

 

Solche Fragen in einer Ausstellung zu beantworten, ist grundsätzlich schwierig, weshalb die Ausstellungmacher etwas sehr Nützliches getan haben und die FÜRSTENSITZE der frühkeltischen Eliten im 6. und 5. Jahrhundert vor Christus in einem Rund im Kuppelsaal aufgebaut haben, wo man fast auf einen Blick Gemeinsamkeiten und Abweichungen erkennen kann. Zudem wird die Entstehung der spätkeltischen Stadtanlagen präsentiert, die sogenannten Oppida, die im 2. und 1. Jahrhundert vor Christus angelegt wurden.

 

Dramatischer Auftakt ist der GALLIER UND SEINE FRAU, die wie DER STERBENDE GALLIER, von den Pergamesen, wo sie im 2. Jahrhundert v.Chr. unterlagen, GALATER genannt und ob ihrer Tapferkeit in Ehren gehalten wurden, so sehr, daß sie in Bronze gegossen wurde, wovon römischer Marmor noch heute zeugt und auf uns überkommen ist. Und so sehr der geschichtliche Rundgang mit dem Blick auf einzelne Gegenstände interessiert, es zieht einen doch in den Kuppelsaal, wo die fünf Beispiele frühkeltischer Konzentration auf uns warten. Dies sind die Heuneburg, Ipf, Hohenasperg, der Glauberg und das französische Mont Lassois. Erst will man sich einen Überblick verschaffen, durch was sie sich unterscheiden. Nicht schlecht, sich erst einmal mit rekonstruierenden fotorealistischen 3D-Animationen von je ca. 2 minütiger Länge mit den Anlagen hinsichtlich ihrer Struktur und des Umfeldes zu beschäftigen.

 

Fangen wir mit dem hessischen Glauberg an, etwas 30 Kilometer in nordöstlicher Richtung von Frankfurt am Main entfernt. Auf dem Berg steht die Glauburg, das ist in der Wetterau, noch innerhalb des Limes gelegen und als Kornkammer der Römer bezeichnet. Später. Aber fruchtbar war es hier sicher auch zu Zeiten der Kelten in ihrer Blütezeit, was der Späthallstattzeit von ca. 600 bis 400 v.Chr. entspricht, denn man weiß von der landwirtschaftlichen Nutzung seit der Jungsteinzeit. Wir sehen nun im virtuellen Flug über die Höhensiedlung des 5. Jahrhunderts v.Chr. die Innenbebauung – natürlich rekonstruiert – und die Darstellung der Wall/Grabenanlagen im Umfeld sowie des Fürstengrabhügels mit der Prozessionstraße. Warum dieser Fürstensitz so attraktiv ist, daß gleich viele Besucher in der Kuppel zu ihm strömen, hat einfach mit diesen überlebensgroßen, zumindest menschengroßen Figuren zu tun. Da steht er und kann nicht anders. Seine Beine sind wie Säulen. Ist er so dick angezogen oder ist das ein Schönheitsideal, daß der breitbeinig Stehende mehr Ansehen erhält als so dünne Beine-Träger? Im Gegensatz zum massiven Unterbau ist sein Oberteil eng anliegend gearbeitet und stellt einen Panzer dar, aus Leder oder auch aus Leinen. Die vollplastische Figur – das leistete sonst nur die Antike – ist aus Bundsandstein, der in der Nähe zu finden ist.

 

Seine Arme – vergleichen Sie die dünnen Ärmchen einmal mit den mächtigen Beinen – sind angewinkelt, der eine Richtung Herz, der andere hält ein Schild? Er trägt Schmuck und zwar sowohl am Hals wie auch am Arm und einen Fingerring. Denselben Schmuck hat man aus Gold auch in den umliegenden Gräbern gefunden. Entscheidend für unser Wiedererkennen derer vom Glauberg aber ist das, was der Volksmund seine Ohren nennt, wie zwei langgezogene und aufgeblasene, was aber eine Blattkrone darstellen soll, von der wir hier in Stuttgart erfahren, es sollen Blätter der Mistel darstellen. Das klingt interessant, denn die Mistel ist doch eigentlich ein Parasit. Erst in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde der Grabhügel gefunden und ausgegraben. Der Fund gehört zu den bedeutsamsten und den am reichsten ausgestatteten Gräbern. Es lagen dort zwei Krieger, die um 430 v.Chr. mit all ihren Grabbeigaben bestattet wurden. Neben dem eben erwähnten Ringschmuck, gibt es keltisches Kunsthandwerk in Form von Gürtelhaken und Fibeln, Schwertern mit Gravuren und reich verzierte Bronzekannen, die man für die Grablege mit berauschendem Honigmet gefüllt hatte.

 

Nun vermutet man für den Fürstensitz auf dem Glauberg, daß dies ein frühkeltisches Zentralheiligtum war und obwohl die eigentliche Besiedelung nur rund 100 Jahre währte, als auch die Ringmauer gebaut wurde, waren sowohl davor wie danach lebhafte Besiedelungsspuren, die aber nicht an die eigentliche Hochzeit der „Fürsten“ heranreicht. Nun sind wir so lange bei diesem langen Kerl mit den dicken Beinen geblieben, daß alle anderen Stätten keinen Platz mehr abbekommen. Aber, das was die Buchstaben hier transportieren können von Stein und Schmuck ist eh sehr unsinnlich, weshalb man als Besucher mehr davon hat, als darüber zu lesen. Fortsetzung folgt.

 

Bis 17. Februar 2012

 

Katalog:

Die Welt der Kelten. Zentren der Macht – Kostbarkeiten der Kunst, hrsg. Vom Archäologischen Landesmuseum Baden Württemberg, dem Landesmuseum Württemberg und dem Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Jan Thorbecke Verlag 2012

Eigentlich müßten einem die Museen und Verlage bei solchen Wälzern – 552 Seiten und sauschwer! – gleich einen Träger mitgeben. So war das in besseren Tagen, als Sklaven noch zur Verfügung standen. So sind wir unsere eigenen Sklaven, tragen schwer und freuen uns noch dran. In der Tat ist die ausführliche Sichtung des Katalogs nach den Pressekonferenzen und der Besichtigung die notwendige Verrichtung, um einordnen zu können, was es mit den eigenen Augen und dem eigenen Wissen auf sich hat. In der Regel sind die Katalogverfasser immer schlauer, aber wir dagegen haben mit keltischer Kunst und mit ihrer Kultur eben schon so viele Erfahrungen gesammelt, daß man alles Neue auf diesem Hintergrund sieht. Darum können unsereinem die Kataloge gar nicht dick genug und schwer genug werden, Hauptsache, mal lernt aus ihnen und Hauptsache, sie haben mit der gesehenen Ausstellung zu tun.

 

Für beides kann man hier garantieren und daß nicht nur das Papier schwergewichtig ist, sieht man dann, wenn gleich zu Beginn des Katalogs einem Joachim Gauck und Winfried Kretschmann entgegenstrahlen. Interessant deren Differenzierung bei den Grußworten. Kretschmann geht auf die Funde im Süddeutschen ein, auf bekannte Stücke wie den „Silberring von Trichtingen“, aber auch: „Die reichverzierte Grabkeramik der Hallstattkultur gehört zu den schönsten Töpfereierzeugnissen der süddeutschen Vorgeschichte überhaupt.“ Stimmt. Gauck auf jeden Fall hat seine Worte selbst formuliert, bzw. die Richtung gewiesen. „Streng genommen wissen wir nichts über die Kelten…Sind doch die ‚Galater‘, an die Paulus schrieb, sie sollten fest in der Freiheit verharren, wohl schon sprachlich von keltischem Geschlecht.“ Das muß man erst einmal so hinbekommen, den christlichen Bezug, den der Archäologe bei den Galatern mit den hellenistischen Skulpturen beantwortet, die als „Gallier und seine Frau“  oder „Der sterbende Gallier“ auch  einen Ehrenplatz im Katalog haben. Eine ganze Seite auf 267 steht er und kann nicht anders: die überlebensgroße Statuengruppe vom heldenhaft aufgerichteten Mann, der sich gerade mit dem Schwert ersticht, während an seiner Seite seine Frau schon sterbend niedergesunken ist. Die Skulptur steht in der Ausstellung und wir mögen einfach die hellenistischen, sehr raumgreifenden und barocken Formen und so oft ist das auch nicht, daß man sie gleichzeitig in Berlin im Pergamonmuseum in der dortigen Ausstellung sehen kann. Das bronzene Original ist verschollen, aber die sehr schöne Berliner Römische Kopie kommt aus Rom direkt. Leider schweigt der Kelten-Katalog dazu, um welche römische Marmorkopie es sich hier handelt. Aber den Galatern sind die Seiten 266-268 gewidmet.

 

Ansonsten weist der Katalog die Fleißarbeit auf, die mit den Ausstellungen korrespondiert, die vor allem den vielen kleinformatigen Fundstücken einen Hintergrund und eine visuelle Dauer gibt. Zu Beginn werden die Facetten des Keltenbildes aufgezeigt, die, je nach Fundort eine andere Sprache sprechen. Die FrühZeit (7. bis 4. Jahrhundert v.Chr.) wird sodann von der ZwischenZeit (4. bis 3. Jahrhundert v.Chr.)  geschieden, die dann wiederum von der SpätZeit (3. bis 1. Jahrhundert v.Chr.), der die EndZeit (52. vor bis 4. Jahrhundert n.Chr.). folgt, zu dem noch ZeitVersetzt Keltisches in Großbritannien und Irland vom 1. Bis 8. Jahrhundert n.Chr.) hinzustößt, was allesamt im Anhang (Seiten 524f) dann noch einmal als Schautafel mit Fundstücken und Stilbegriffen vorgeführt wird. Das ist sinnvoll und erleichtert sowohl die Orientierung wie auch das Finden von Gegenständen. Die eigentliche Katalogarbeit ist eine Schatzkiste für alle Tage, wenn es um Kelten geht. Schon wieder ein Buch fürs Leben, denken wir. Jeder gut gemachte Katalog zu einer gut gemachten Ausstellung hat im gewissen Sinn Ewigkeitswert – für unsere Lebenszeit zumindest. Und in der hat es sehr sehr viele Neuerungen an Ausgrabungen und Interpretationen gegeben. Das mag man nach diesen Jahrtausendabständen nicht glauben, aber wir sind mittendrinnen in einer Forschungsphase zu den Kelten, für die diese Ausstellung eine ideale Plattform bildet und der Katalog auch!

 

Ein opulentes Begleitprogramm sichert zudem, daß Sie sich jederzeit noch zusätzlich Informationen über die Kelten ‚reinziehen‘ können.

Orte der Kelten-Ausstellung: ZENTREN DER MACHT im Kunstgebäude Stuttgart, KOSTBARKEITEN DER KUNST im Landesmuseum Württemberg, Altes Schloß

www.kelten-stuttgart.de