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wien muMarkDion EthnographeratHome 2012Vertreter_innen der nachfolgenden Künstler_innengenerationen bedienen sich sowohl kolonialismuskritischer als auch geschichts- und gesellschaftskritischer Traditionen der Neoavantgarde und aktualisieren sie für ihr eigenes zeitgeschichtliches Umfeld. Eine kritisch-analytische Sicht auf koloniale und postkoloniale Geschichte findet sich in den Arbeiten von Jonathas de Andrade, der sich brasilianischen Plantagearbeitern zuwendet, oder bei Matthew Buckingham, Andrea Geyer und Stan Douglas, die die Kolonialisierung des amerikanischen Kontinents thematisieren. Auch Mark Dions Installation über einen fiktiven Ethnografen, Candida Höfers Fotografien von Zoos, Christian Philipp Müllers oder Isa Melsheimers Bezugnahme auf das Verhältnis von Kolonialisierung und Pflanzentransfer sowie Margherita Spiluttinis Fotografien von exotischer Kulissenmalerei des 18. Jahrhunderts beleuchten Aspekte kolonialer Geschichte und deren Folgen bis in die Gegenwart.


Naturprozesse als Zeugen von Geschichtsverdrängung

Die Arbeiten von Anri Sala, Ingeborg Strobl, Lois Weinberger sowie Anca Benera und Arnold Estefan behandeln Veränderungen bzw. Verwandlungen öffentlicher und historischer Orte durch natürliche Prozesse. Die alles überwuchernde Natur erweist sich dabei als Indikator geschichtlicher Dynamiken. So zeigt Sala in Arena (2003) den Verfall des Zoos in Tirana als Folge und Metapher zerbrochener gesellschaftlicher Ordnung. Während bei Strobl und Weinberger Verfallsprozesse im Landschaftlichen oder Urbanen vom Bedeutungsverlust einst funktionierender Strukturen in Krisenregionen zeugen, bringen Anca Benera und Arnold Estefan die absichtsvolle Tarnung ehemaliger Militäreinrichtungen und Kriegsschauplätze durch künstlich angelegte Naturanlagen ans Licht.


Völkermord, Verfolgung, Flucht und Widerstand

Naturdarstellungen prägen auch Werke, die sich mit Völkermord im Rahmen totalitärer Systeme und kriegerischer Konflikte auseinandersetzen. Die Geschichte des nationalsozialistischen Terrors und des Holocausts begegnet den Betrachter_innen in den Arbeiten von Heimrad Bäcker, Mirosław Bałka, Tatiana Lecomte, Ion Grigorescu und Christian Kosmas Mayer. Wendet sich Mayer der Geschichte der sogenannten Hitler-Eichen zu, die 1936 bei der Olympiade in Berlin an die Sieger_innen vergeben wurden, so haben Bałka, Lecomte, Grigorescu und Bäcker die Opfer bzw. die Landschaften, Architekturen oder Relikte von Konzentrationslagern im Blick, um an die Verbrechen und ihre Verdrängung zu erinnern.

Weitere Arbeiten, die von politisch motivierter Gewalt, von Flucht oder Widerstand handeln, schließen hier an: so Christopher Williams’ Fotoserie Angola to Vietnam (1989), in der Glasmodelle von Pflanzen an politische Morde gemahnen, oder Sandra Vitaljićs Fotoarbeiten Infertile Grounds (2012), in denen verborgene Orte in der Natur als Zeugen kriegerischer Massaker ausgewiesen werden. Ebenso zählt Sanja Ivekovićs Bezugnahme auf ein Flüchtlingslager während des Balkankrieges in ihrer Arbeit Resnik (1996) zu diesem Themenfeld wie die Arbeiten Sven Johnes, Alfredo Jaars und Nikita Kadans. Während Sven Johne anhand eines erfundenen Flüchtlingsschicksals in der ehemaligen DDR gesellschaftliche Realität untersucht und Alfredo Jaar die vietnamesischen Boatpeople porträtiert, die während des Vietnamkrieges über das Meer nach Hongkong geflüchtet waren, bezieht Kadan Stellung zur ukrainischen Revolution von 2013 in Kiew. Er führt in einer Diaserie die Rolle von provisorischen Gärten als Nahrungsreservoir für die 2013 gegen den Expräsidenten der Ukraine, Viktor Janukowitsch, revoltierende Bevölkerung auf dem Maidan-Platz vor Augen.
Fortsetzung folgt

Foto:  
Titel: Margherita Spiluttini
Bergl Pavillon, Stift Melk (Motiv C), 2017
C-Print
80 x 100 cm
© Courtesy the artist and Christine König Galerie, Vienna

Mark Dion
Ethnographer at Home, 2012
Installation
Verschiedene Materialien / mixed media
320 x 310 x 345 cm
©Courtesy Mark Dion and Galerie Kargl Fine Arts, Vienna

Info:

Eröffnung
22. September 2017, 19 Uhr