Feiern wir also den unverhofften Anlaß, neben den Landschaften in Basel, auch die Bildnisse vom Menschen in seiner Geburtstadt Leipzig (1884) zu sehen und dann die Amerikabilder in Frankfurt am Main, der Stadt, die er in der Lebensphase von 1915 bis 1933 bewohnte. Es war die einzige Phase,  in der er sich in der Lebensrolle fühle, die er für angemessen hielt und die auch angemessen war: der Meister des Pinsels und der Feder, der gesellschaftlich hoffähig war und eine Orientierungsfigur nicht nur für die Künstleraspiranten an der Frankfurter Städelschule, wo er Professor für Malerei war, sondern auch eine dafür, wie man leben sollte als Bonvivant zwischen fester Heimat und Fernweh, weshalb ihm in Frankfurt der Hauptbahnhof der liebste Platz wurde, aber nicht die rauchige Bahnhofhalle mit dem hektischen Kommen und Gehen der Reisenden, sondern oben der Platz an der Bar, ein Glas Sekt in der einen und die Zigarette in der anderen Hand und durch die Glasfenster von dort aus die Anzeichen der weiten Welt besichtigend.

 

Woher wir das alles wissen? Das weiß man im mainischen Frankfurt bis heute und deshalb gilt es vor der Bilderschau erst einmal Klaus Gallwitz einen verdienten Dank abzustatten. Der war seit 1974 für 20 Jahre Direktor des Frankfurter Städel und hat durchaus gegen Widerstand (sein größer Widersacher war der Deutsche Bank Tycoon Josef Abs, der noch aus dem Nazideutschland überkommen war) Max Beckmann über eine Folge von Ausstellungen und Vorträgen erst mal dem Nachkriegsdeutschland und der wirtschaftliche erstarkten Bundesrepublik einen Namen gegeben, den Max Beckmann öffentlich bis 1933 schon hatte und inoffiziell bis 1937, bis er Berlin Richtung Amsterdam verließ, im Juli, einen Tag nach der Radioansprache von Hitler und der Ausstellungseröffnung „Entartete Kunst“, in der auch seine Werke diffamiert wurden, nachdem sie zuvor aus ‚deutschen‘ Museen entfernt wurden. Daran muß man immer wieder erinnern, daß Beckmann zu dieser Zeit bereits ein arrivierter Maler war, dessen Bilder schnell von Museen aufgekauft wurden.

 

Erst sehr spät, erst in den letzten Jahren haben dann Frankreich und England nachgezogen. Große Ausstellungen in Centre Pompidou in Paris und der Tate in London, ebenfalls New York, haben unseren Nachbarn gezeigt, daß auch die Deutschen malen können und insbesondere Max Beckmann, der weder Vorläufer noch Nachfolger ist – er gilt uns heute als „Titan der Moderne“, sah sich aber als der „letzte Alte Meister -, zwar die Kunstimpulse seiner Zeit wie zuerst deutschen Impressionismus, dann Expressionismus, dann Neue Sachlichkeit, dann Abstraktion aufnahm, aber sie doch zu einer eigenen Handschrift amalgamierte. Beckmann gehört zu den Künstlern, deren Ölgemälde, Lithografien, Holzschnitte, Zeichnungen und Kleinskulpturen  man unverzüglich als Beckmann identifiziert.

 

In seinen Landschaftsbildern allerdings weniger als sonst. Von daher ist es besonders verdienstvoll, daß sich das Kunstmuseum Basel und die Kuratoren Bernhard Mendes Bürgi und Nina Peter dieses unterbelichteten Genres im Werk Beckmanns angenommen haben, allerdings erinnern wir uns an eine gleichnamige Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle, wobei man als erstes anmerken muß, daß es auch für die These des letzten Alten Meisters durch Beckmann selbst spricht, daß man sein Werk derart deutlich in die klassischen Gattungen von Figurenbildern in Form von Porträts, mythologischen Tableaus und Akten, in Stilleben und Landschaft und sogar in Historienbilder unter- und einteilen kann. Die Moderne löst die Gattungen auf.

 

Für Beckmann gilt allerdings, und das macht die Ausstellung der rund 70 Werke deutlich, nicht die hehre Romantik der grünen Wälder oder dramatischer Berge. Landschaft, das ist ihm der Straßendschungel von Städten und ihre markanten Plätze, Brücken, Häfen, und eben Bahnhöfe und dann ihre Gegenteil, das Meer. Insbesondere die Meerbilder, besonders geliebt von ihm die französischen Küsten und die Meereswogen, zeigen ihn ebenfalls in der Spur von Courbet und anderen. Aber unabhängig vom Gegenstand fällt beim Rundgang im Kunstmuseum auf, daß es meist Ausschnitte sind, die uns eine Landschaft öffnen, daß wir durch Fensterluken, zwischen Säulen, über Brüstungen, durch Vorhänge oder weit geöffnete Fenster und über Balkone nicht die Landschaft als solche erblicken, sondern einen begrenzten Blick und gewollten Landschaftsausblick erhalten.

 

Das ist mehr als auffällig und führt zur Kennzeichnung einer „distanzierten“ Sichtweise und der Aussage: „Die Ausblicksdramaturgie macht deutlich, daß Beckmann ein abstrakt konzipiertes Bild von Landschaft mit dem erinnerten Landschaftseindruck vereint, der die Grundlage eines jeden Bildes ist. Der Blick, den er auf die Natur richtet, klärt seinen Standpunkt und setzt ihn in ein Verhältnis zur Welt.“ Wie sich dieses im Laufe seines Lebens und Schaffens ändert, das kann man in den Landschaftsbildern aus den verschiedenen Lebensphasen dann selbst erforschen.

 

Die Ausstellungen:

Max Beckmann. Die Landschaften im Kunstmuseum Basel bis zum 22. Januar 2012

www.kunstmuseumbasel.ch

Max Beckmann. Von Angesicht zu Angesicht im Museum der bildenden Künste in Leipzig bis zum 22. Januar 2010

www.max-beckmann.info

Beckmann & Amerika im Städel Museum in Frankfurt am Main bis 8. Januar 2012

www.staedelmuseum.de

 

 

Alle drei Kataloge sind im HatjeCantz Verlag 2011 erschienen

 

Basel: Max Beckmann. Die Landschaften, hrsg. von Bernhard Mendes-Bürgi und Nina Peter

In diesem Katalog haben wir alle Beiträge gelesen. Das liegt daran, daß sie einerseits kurz, bebildert und großzügig gedruckt sind. Sage keiner, das sei dem Lesen nicht förderlich. Natürlich sind sie auch kenntnisreich. Aber doch auch lesbar für Nichtwissenschaftler, was nicht jeder Katalog hält. Uns besonders interessant „Max Beckmanns Nizza in Frankfurt am Main“ von Eva Demski. Sie weiß, daß dieses Stück Mainufer einst die Badeszene der Jugend war und beschreibt das Stadtbild, das mit Recht dem Genre Landschaft zugeordnet ist, so liebevoll wie es diesem besonders rührenden Bild zusteht.

 

Leipzig: Max Beckmann. Von Angesicht zu Angesicht, hrsg. von Susanne Petri und Hans-Werner Schmidt

Analog der umfangreichsten Ausstellungen, die Bildnisse vom Menschen sind einfach Beckmanns Ding, ist dies auch der dickste und schwerste Katalog Aber das wäre keine Empfehlung, wenn die vielen Seiten nicht auch wichtige Informationen und Reflektionen enthielten, von der Katalogfunktion, dem Abdruck der in der Ausstellung gezeigten Bilder ganz abgesehen. Auch diese wird ab Seite 77 erfüllt, allerdings empfiehlt es sich, die Texte zu lesen, denn die Werke sind nicht numerisch, also zahlengemäß hintereinander aufgeführt, sondern in Sinnzusammenhängen abgedruckt. Wo was steht, kann man dann in einem Extraverzeichnis am Schluß erkunden. Erhellend und darum ein echtes „Danke“ nach Leipzig, ist die Forschungsarbeit, die in Form von Biographien im Katalog und in der Ausstellung als Lesetexte Aufschluß darüber geben, wer die Personen sind, die Beckmann gemalt und mit denen er beruflich oder privat zu tun hatte. Oft treffen alle drei Kategorien in einer Person zusammen und auch das ist dann bei ihrer Beschreibung erwähnt. Hervorragend und sehr hilfreich.

 

Uns machte das Titelbild des Katalogs „ Von Angesicht zu Angesicht“ besonders Spaß. Es zeigt einen Ausschnitt von „Familienbild“ von 1920 mit Oma Tube im Sessel, ein Buch vor sich, die rechte Hand allerdings bedeckt vollständig ihr Gesicht mit den geschlossenen Augen, seine Frau Minna Tube-Beckmann sieht man dafür von hinten, ihr Haar richtend und uns durch den Spiegel betrachtend, den kleinen Peter am Boden lümmelnd, den Kopf in den Händen, was wir ebenfalls von hinten sehen und das Profil von Max Beckmann als Hornbläser mit einem nach innen gerichteten offenem Auge und der Kippe zwischen den Lippen. Von „Angesicht zu Angesicht“ ist hier gar nichts. Hier wollen die einen nicht gesehen werden, die anderen nichts sehen, und die eine andere mit attraktivem Hinterteil und Korsage betrachtet uns als Spiegelbild. Was will Beckmann mit diesem Bild sagen? Über seine Familie sagen? Uns sagen? Sprachlosigkeit oder innere Verbindung, die den Blick und die Wörter nicht braucht. Gewissermaßen ein Antiporträt.

 

Frankfurt: Beckmann & Amerika, hrsg. von Jutta Schütz

Dieser Katalog erhöht das Gewicht aller drei auf 4,8 kg! und steht dem Leipziger nur wenig nach. Inhaltlich gibt es Beiträge, die in der  Literatur über Beckmann nicht häufig sind, wie „Beckmann und der abstrakte Expressionismus. Existenz im Raum“ von David Anfam. Daß Beckmann auch direkt zitiert wird, in seinen Reden in Amerika, Briefen und Ansprachen, ist schlüssig, weil noch niemals der kunsthistorische Focus auf seinem Amerikaaufenthalt ruhte, von dem wir nun wissen, daß er lange ersehnt war, was auch Stefana Sabin - „Und bin damit gewissermaßen schon halber Amerikaner“ –Beckmann zwischen ideeller Anpassung und realer Isolation – herausarbeitet. Im Katalogteil haben die abgedruckten 110 Werke jeweils ausführliche Begleittexte, wofür die Betrachter der Bilder und Käufer des Katalogs bei der oft rätselhaften Ikonographie Beckmanns auf ihre Kosten kommen.