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Justus Becker, Künstlername Cor, hat schon viele Workshops gegeben. Für Jugendliche, für Erwachsene, aus Frankfurt, aus aller Welt. So ein Erlebnis wie kürzlich in Yokohama hatte er allerdings noch nicht. Becker gestaltete an der dortigen Universität ein Wandbild. Brachte, geschützt von Handschuhen und Atemmaske, Farbschicht um Farbschicht auf – und zuckte bei jedem Aufheben einer neuen Spraydose zusammen. Weil hinter ihm rund 40 japanische Studenten standen, die ihn schweigend, ja fast schon andächtig beobachteten. „Das war ein bisschen wie im Horrorfilm. Ich war so vertieft in meine Arbeit, dass ich die Studenten total vergessen habe“, sagt Becker und lacht. Die Japaner seien so unglaublich höflich und respektvoll. Und gleichzeitig ausgesprochen herzlich. „Als das Graffiti fertig war, wollten sich alle mit mir fotografieren lassen. Sogar der Uni-Präsident.“


Ein kurioser Anlaß

k Justus Becker BP Steinmeier Deutsche Botschaft Tokio copyright Justus BeckerDer Besuch in Frankfurts Partnerstadt Yokohama vor einiger Zeit war Beckers erste Reise nach Japan, initiiert vom städtischen Referat für Internationale Angelegenheiten. Der ist Anfang Februar gefolgt. Durch den Graffiti-Workshop für die Studenten des Yokohama College for Design wurde die deutsche Botschaft in Tokio auf den Frankfurter aufmerksam. Und lud ihn ein, gemeinsam mit einem japanischen Künstler die Mauer des Botschaftsgeländes zu gestalten. Den Kollegen kennt er noch nicht, genauso wenig wie dessen Arbeiten. Darüber macht er sich keinen Kopf – „wird sich schon alles ergeben“. Und erzählt stattdessen vom kuriosen Anlass des Auftrags: „2018 steht die Berliner Mauer genauso lange nicht mehr wie sie stand.“ Ein Termin, den möglicherweise in Deutschland nicht jedem im Bewusstsein gewesen ist. „In Japan feiern sie es jedenfalls“, sagt Becker.


Der geborene Illustrator

Justus Becker war zwölf Jahre alt, als er zum ersten Mal eine Spraydose in der Hand hielt. Als Grundschüler sah man ihn ständig mit Farben und Papier. Die Leute sagten, Justus sei der geborene Illustrator. „Da wusste ich noch nicht mal, was das überhaupt ist.“ Seine Mitschüler ahnten es offenbar: Die, die es nicht so hatten mit Pinseln und Stiften und Farben, reichten ihre Blöcke an Justus weiter. „Ich habe dann für sie gemalt.“ Inzwischen ist er 39 Jahre alt und ein international bekannter Künstler. Sein Atelier in der Bornheimer Naxoshalle sieht er nicht allzu oft – Dreiviertel des Jahres ist er in der Rhein-Main-Region, in Deutschland und der Welt unterwegs. „Ich habe immer Fernweh“, sagt er.


Die alten Meister

Becker gestaltet Fassaden von Privathäusern, auch mal Garagentore, Wände in Bars, Hotels, Restaurants oder wie kürzlich das mehrstöckige Treppenhaus der Pepsi-Cola Zentrale in Neu-Isenburg. Er illustriert Broschüren, hat für den Tatort des Hessischen Rundfunks Schauspielern Tattoos aufgemalt und Eintracht-Spieler Kevin Prince Boateng zu Werbezwecken ein Bodypainting. Regelmäßig zeigt er den Jugendlichen aus dem Jugendhaus Bornheim, wie man mit der Dose malt. „Ich unterrichte die Fortgeschrittenen, die geben ihr Wissen dann an die Anfänger weiter. Für die Jugendlichen sind wir die alten Meister“, sagt er und zeigt auf die die Außenwand der Naxoshalle und auf das Gelände davor, wo sich Graffiti an Graffiti reiht.


Der Junge von nebenan

k Justus Becker Universitaet Yokohama copyright Justus BeckerBeckers Meister war ein Junge aus seiner damaligen Bad Vilbeler Nachbarschaft, ein paar Jahre älter als er, Künstlername Indian. Er lacht bei der Erinnerung an ihre erste Begegnung. „Ich klingelte total aufgeregt an seiner Tür und fragte seine Mutter, ob er da ist.“ Fortan zogen die beiden gemeinsam los. Es waren die frühen 90er Jahre, Sprayen war illegal, statt 300 Farbtönen gab es acht, und Dosen und Düsen ließen viel weniger kreativen Spielraum als heute. „Indian hat mir gezeigt, was man alles machen kann. Besonders das figürliche Malen.“ Figuren zu sprayen war damals so wenig üblich wie mit den Materialen möglich.


Das wichtigste Werkzeug

Becker fuchste sich hinein in die figürlichen Graffitis. Mit den Jahren wurden sie immer feiner. Heute sind viele seiner Bilder kaum von Fotografien zu unterscheiden. „Fotorealistisch“ nennt er seinen Stil. Die Vorlagen für seine Kunstwerke entstehen am Computer. Das spart Zeit, die der Künstler später lieber in seine Arbeit an der Wand steckt. „Der Rechner ist mein wichtigstes Werkzeug. Verrückt! Als ich Grafikdesign studiert habe, war es mir zu viel Arbeit am Computer, heute kann ich nicht mehr ohne ihn.“ Digital und real – „ich brauche das. Wenn ich drei Tage draußen auf dem Gerüst stand, freue ich mich auf meinen Computer. Wenn ich ein paar Tage drinnen gearbeitet habe, werde ich unruhig und will wieder raus.“


Der gute Ruf

k Justus Becker 7 copyright Stadt Frankfurt Stefan MaurerGemeinsam mit seinen Künstlerkollegen hat sich Becker für legale Graffiti-Flächen stark gemacht. In Frankfurt gibt es sie seit einigen Jahren, zum Beispiel am Ratswegkreisel und unter der Friedensbrücke. Das sei gut, meint Becker, und auch nicht so gut. „Früher haben wir den anderen etwas weggenommen, heute machen wir uns gegenseitig die Flächen streitig.“

Graffiti sei im Mainstream angekommen. „Ich muss mich nicht mehr bemühen, den Ruf hochzuhalten.“ Für Arbeiten von Banksy oder Shepard Fairey geben Sammler bis zu mehreren 100.000 Euro aus. Auch Becker verkauft seine Kunstwerke, nicht selten nach Übersee und für vierstellige Beträge. „Bilder, die mein Innerstes zeigen, gebe ich nicht gern zum Niedrigpreis her“, erklärt er.


Der Überraschungseffekt

Die Zeit, sich einem solchen Bild zu widmen, hat er Künstler selten. Gerade malt Becker ein Porträt eines grellgeschminkten Mannes aus einem Naturvolk. Als Vorlage dient ein Foto, das Becker auf eine meterlange Sperrholzplatte überträgt. Erst mit Bleistift, dann mit Dose und Pinsel. Und dann, wenn das Bild eigentlich schon fertig ist, kommt das Finale: Becker wird, sagen wir, einen Eimer Farbe nehmen und ihn über das Graffiti kippen. Nicht planen zu können, was mit dem Kunstwerk passiert, seine Perfektion aufzubrechen, es eventuell zu zerstören – „dazu muss man die Eier haben“. Und den Willen, zu experimentieren, um sich weiterzuentwickeln. „Ich möchte über mehr Qualität an anspruchsvollere Projekte kommen“, sagt Becker. Nach 25 Jahren in der Szene hat der Graffiti-Künstler sein Talent noch nicht ausgeschöpft: „Immer wenn ich denke, ich kann schon alles, lerne ich etwas Neues dazu.“

Fotos: 
die ersten drei Fotos © Justus Becker
Handschuhe des Künstlers © Stadt Frankfurt, Stefan Maurer