Beginnen wir von vorne. Aber wo und wann ist das? Wissenschaftlich ist schon lange erwiesen, daß „Die Madonna von Foligno“ unmittelbar vor der „Sixtina“ entstanden ist. Man nimmt aber an, daß Raffael, der aus Urbino über Stationen von Papst Julius II. nach Rom geholt worden war und dort eine große Werkstatt unterhielt, beide Gemälde in seinem Atelier stehen hatte. Wie man sich in Dresden nun überzeugen kann, sind diese beiden Marien einerseits sehr ähnlich, mit Madonna und Kind und Heiligen, und dennoch höchst unterschiedlich in ihrer Figurenkonzeption, zudem gehen beide von einer anderen Form der Marienverehrung aus. Nicht nur die Dresdner meinen, daß ihre Madonna die ideale Darstellung sei und vor allem die direkte Vision ausdrückt.

 

Aber fangen wir mit der Madonna von Foligno an, die deshalb so heißt, weil sie vom Hochaltar der römischen Basilika in S. Maria in Aracoeli 1564 in diesen kleinen Ort gebracht wurde. 1797 erging es dem Gemälde wie anderen, die von Napoleon als Kriegsbeute nach Paris überführt wurden. 1815/16 kam die Madonna dann zurück nach Rom, wurde vom Vatikan erworben und hängt seitdem in der Vatikanischen Pinakothek, wo sie nie ausgeliehen wurde, weshalb ihr Erscheinen zum Schwesterntreffen nach Dresden schon eine kleine kunsthistorische Sensation ist. Eine politische wohl auch. Und eigentlich war es dieses Gemälde, das der sächsische Hof erwerben wollte, aber nicht bekam, denn die Sixtina war nur die Zweitlösung. Damals.

 

Die Madonna von Foligno 301 x 198 Zentimeter überstrahlt im Schlußsaal der Dresdner Gemäldegalerie, an deren Stirnwand seit eh und je die Sixtinische Madonna in den Maßen 269,5 x 201 Zentimeter hängt, alle weiteren Gemälde in einem intensiven Rot mit Blau und Gold in einem Ausmaß, daß einem die sanften Blau- und Brauntöne der Sixtina fast verblichen, verwaschen vorkommen. Aber, und das muß ganz deutlich gesagt werden, diese scharfen Farben sind keine Restaurierungsfehler, sondern genauso muß man sich Raffaels Malerei vorstellen, der gerade von Venedig, dem Hort der Farbenmalerei, sehr viel gelernt hat.

 

Diese Madonna sitzt mit dem roten Himmelsköniginnenkleid und dem blauen, die Transzendenz andeutenden Mantel auf Wolken, in deren Rund sie eine Sonnenscheibe hinterfängt. Wüßte man nicht von den Forschungen des Rudolf Hiller von Gaertringen, dann käme man gar nicht auf die Idee, daß diese Madonna und ihr Kind den Formen entsprechen, die schon Raffaels Lehrer Perugino in Kartons angewendet hatte, was sein gelehriger Schüler Raffael zeit- und kompositionssparend fortsetzte. Eindeutig ist diese Foligno als Komposition den drei Tafeln Pala Tezi, Gonfalone della Giustizia und der Madonna mit Strahlenkranz, die Perugino zwischen 1495 und 1501 schuf, nachgebildet. Und die Madonna selbst, die ähnelt in der gesamten Haltung, einschließlich der beiden nackten anmutigen Füße der des Leonardo aus der Anbetung der Hirten von 1480/81. Und selbst das Christuskind hat einen Verwandten im Tondo Doni, das Michelangelo 1504/06 malte. Von den Putti ganz abgesehen.

 

Damit das richtig verstanden wird. Raffael nimmt Vorlagen auf und fügt sie zu einer insgesamt schlüssigen und damit auch neuen Interpretation zusammen. Dabei gilt es noch viel zu enträtseln, wie beispielsweise, welche Funktion der Putto mitten im Bild hat, der die noch rätselhaftere leere Tafel den Gläubigen vor Augen hält. Ein ex voto soll es sein oder konkreter: ein Pestbild. Was aber im Bild gelesen werden kann, ist dieses übertrieben didaktische Händespiel, mit dem Raffael jedes seiner Bilder zu einer lebhaften Erzählung gestaltet. Wie Johannes der Täufer nach oben zeigt, uns dabei genau im Blick, wie nun Franz von Assisi mit himmelndem Blick zu Maria schaut, aber mit der rechten Hand seine Demut wieder- wie auch uns den Fingerzeig gibt, wie auf der rechten Seite der fromme Stifter mit gefalteten Händen vom Kirchenvater Hieronymus dessen linke Hand beschützend auf seinem Kopf fühlt, Hieronymus, der mit der Rechten die Geste der Demut ob des himmlischen Geschehens unserem Blick einbrennt, auch er den Blick auch nach oben gerichtet, das alles malt der geniale Geschichtenerzähler Raffael  und dies noch inmitten einer irdischen Landschaft, die er gerade erst von venezianischen und ferraresischen Vorbildern übernommen at.

 

Dagegen die Sixtina – und fast muß man sich entschuldigen, daß man ihr nicht so viel Raum gibt, aber sie hängt nicht nur immer dort, sondern wird auch im nächsten Jahr zum 500 Jahre Jubiläum groß herauskommen – dagegen also die Sixtina als Auftragsarbeit durch den Papst Julius II.: Das himmlische Personal verkleinert, sind die Figuren jedoch größer, der Heilige Sixtus auf der Linken zur Maria blickend und die Heilige Barbara rechts, wobei man sich vorstellen kann, sie würde die beiden Putti anschauen, die dem Bild das Kesse und leicht Anti- Ätherische geben. Dies ist keine Mariendarstellung mehr, sondern unmittelbar die Vision, die Sixtus und wir mit ihm von der Jungfrau Maria mit ihrem Gotteskind erblicken. . Nichts im Bild lenkt ab von dieser überirdischen Erscheinung, die ihr Kind der Welt als Gott präsentiert, in den Augen schon die leichte Traurigkeit, wenn sie an sein irdisches Ende denkt.

 

Halt. Denn wenn schon nicht dieenfalls versammelten Madonnen von Dürer, Cranach, Altdorfer und Correggio hier gewürdigt werden, soll doch Grünewalds Stuppacher Madonna als absolutes Gegenbild einer Mariendarstellung herausgestellt worden. Worte sind zu wenig, um deutlich machen zu können, mit welcher Innigkeit und Lieblichkeit und dennoch theologisch durchgeformten Bildsprache hier ein Gottesbeweis gemalt wurde. Maria und ihr Sohn sind das Zentrum in einer Welt, die auch der Natur ihre Gottesschöpfung zugesteht, also nicht Ausblick oder Lückenfüller, sondern eben gleichwertige Schöpfung von dem Gott ist, der mit der christlichen Kirche im Bild das Fundament der Erde darstellt und mit dem Regenbogen die Verbindung mit Gott. Ein herrliches Bild, für das man dankbar sein muß, daß es durch Restaurierungsarbeiten für Dresden frei wurde, denn nach Stuppach kommen eben nicht so viele, wie nun berechtigt zur Marienschau nach Dresden. Sie hoffentlich auch. Ihnen entginge sonst etwas.

 

P.S. Uns fiel noch auf, daß in diese Madonnenschau sehr gut die von Holbein gepasst hätte, die ja auch ihre Heimat in Dresden hat. Aber ach, sie ist nur eine Kopie  (vgl. Dresdner Madonnenstreit) und hat bei den erlauchten Originalen nichts zu suchen. Und ihr Pendant und Original, die Darmstädter Madonna, die ist gerade vom Unternehmer Würth gekauft worden und soll in Schwäbisch Hall ausgestellt werden.

 

Bis 8. Januar 2012,

 

Katalog: Himmlischer Glanz. Raffael, Dürer und Grünewald malen die Madonna, hrsg. von Andreas Henning und Arnold Nesselrath, Prestel Verlag 2011

 

Solche Ausstellungen, die überschaubar von der Auswahl der Werke und ihrer Thematik sind, haben Kataloge fast noch mehr nötig als die großen Rundumschauen. Denn erst hier hat auch der normale Besucher die Chance, mehr zu erfahren, was hinter den Bildern steckt, was sie in ihren Interpretationen von einander unterscheidet, gerade die Beschränkung auf weniger, erleichtert also die Vertiefung, macht sie erst möglich. Das beginnt mit einem Überblick über Raffael, seinen Auftraggeber Julius II., die einzelnen Madonnenbilder, die beiden Raffaels werden im Detail besprochen wie auch die Grünewalds, Lucas Cranachs, bzw. seine Werkstatt, Albrecht Altdorfer sowie die Druckgraphik von Marcantonio Raimondi, der unschätzbaren Wert für die Verbreitung der Raffaelschen Madonnen hatte.

 

Wichtig auch die Themen wie „Raffael und die Meister des Nordens“ oder auch „Mythenbildung und Kanonisierung Raffaels Madonna von Foligno in der Zeit der Klassik und Romantik“, die unseren Blick dafür schärfen, wie jede Zeit die Kunst vergangener Epochen durch die eigenen Augen sieht.

 

www.skd.museum