Machen wir uns nichts vor. Als ob unsere Welt heute anders wäre. Sie ist nur geglätteter, nicht mehr so deutlich knallhart. Die Menschen fühlen sich in dieser mit Seife und Seifenopern durchgewaschenen und mit dem Bügeleisen geglätteten Welt wohler als in der früheren, die der 50er und 60er, ja noch 70er Jahre Welt. Warum heute die Künstler nicht so massiv auf ihre Umwelt reagieren, wie es damals der zum Bürgerschreck avancierte Edward Kienholz tat?  Aber gleich muß man Nancy Reddin Kienholz miterwähnen. Kienholz auf jeden Fall tat es, wenn er seit dem Zusammentreffen mit ihr, dann seiner fünften und letzten Frau, im Jahr 1972, anläßlich der großen Ausstellung in Berlin 1981/82 ihre Mitautorenschaft seitdem Kennenlernen an seinen Werken, besser die Autorenschaft am gemeinsamen Werk öffentlich einforderte.

 

Beide vertraten dann also die künstlerische Aufarbeitung gesellschaftlichen Übels wie sexuelle Ausbeutung der Frau, auch Ausbeutung eines großen Teils der Menschheit, der ‚Unterschicht‘ in den entwickelten Ländern, den Völkern der 3. Welt, Tyrannei der Religion, Diktatur der Waffenkonzerne, Rolle der Medien, Verdummung durch Fernsehen, ach, wir könnten all das aufzählen, was bis heute gebrochen weiterexistiert. Warum arbeiten also die heutigen Künstler, die sich auch als Kritiker der westlichen Lebensweise, die inzwischen der ganzen Welt aufgedrückt wird, verstehen, warum arbeiten die anders?

 

Es ist die Zeit, die die Formen ändert und wie historisch diese Ausstellung in der Schirn wirklich ist, also im besten Sinne kunsthistorisch, das kann man an den Reaktionen der Betrachter ablesen. Die Empörung von einst, die der als Provokateur empfundene Edward Kienholz erregte, bewegt heute kaum mehr ein kühles Lüftchen. Dabei haben die Kuratoren keine Mühe und keinen weiten Transport gescheut, um gewaltige Gegenstände in die Schirn zu verlagern, Installationen, groß und schwer und umfangreich dazu, stehen und liegen auf den Böden oder hängen an den Wänden.

 

Die Ausstellung „zeigt in einer komplexen Zusammenschau die Essenz des Kienholzschen Werks: von den ersten dreidimensionalen Arbeiten kleinerer Formats über die konzeptuellen Werke bis zu den raumfüllenden Tableaus.“, formuliert eine Erklärung, „Fernseher, Autoteile, Lampen, Lautsprecher, Möbel, Goldfischgläser, Schuhe, Schilder, Flaggen, Werbeartikel, Zigaretten, Spielzeugsoldaten, Dollarnoten und nicht zuletzt Gipsabgüsse von Familienangehörigen, Freunden und Bekannten bilden den Ausgangspunkt eines der wohl ungewöhnlichsten und originellsten Werke des 20. Jahrhunderts, das sich aus Trödelmärkten, Schrotthalden und Mülldeponien der westlichen Konsumkultur nährt,“ steht an der Ausstellungswand.

 

Damit sind Absicht und Materialien benannt. Wie es nun zum Kunstwerk jeweils kommt, kann man am besten durch Selbererforschen herausbekommen, denn dann erkennt man, daß jedes Werk eine eigene Sprache spricht. Nicht jedes, es gibt schon Gruppen, aber was hier ironisch ist, wird dort unterkühlt vorgebracht, worin hier die Anklage besteht, ist dort die Leere, die alles aussagt.

 

Und hätten beide nur „The Bronze Pinball Machine with Woman Affixed Also“ geschaffen, es wäre ihnen ein Platz in der Kunstgeschichte gesichert. Dieser auf gerüschtem Volant aus Bronze gesetzte Flippertisch, bei dem dort, wo man sonst handelt und flippert, ein weiblicher bronzener Unterkörper herausragt, die Scham weit geöffnet und das rechte Bein in die Höhe gespreizt, das ist wirklich ein Ding, da ist kein Wort mehr nötig und auch die Leuchtreklame an der Vorderkante mit den vielen Schönen in Dessous mit der Betitelung PLAYBOY, einschließlich des Häschens, ist schon fast zu viel. Das sind so Einfälle, die man hat oder nicht hat. Kienholz hatte sie.

 

Andere Sachen wirken heute derart überaltert, daß sie schon wieder komisch sind. Mit manchem kann der hiesige Besucher auch nur etwas anfangen, wenn er die amerikanischen Geschichtsbezüge dazuerfährt. Uns haben die Zimmernachbildungen mit den Fernsehapparaten und andere Installationen eher kalt gelassen. Aber dafür hat uns die Wand mit J.S.s Led the Big Charade von 1993/94 außerordentlich beschäftigt. Wie oft wir diese Gebilde aus Wagendeichseln mit Führungsstab gezählt haben, wollen wir niemandem verraten. Es sollen 76 sein, in allen Größen und in der Regel entsprießen dem Griff die Füsse und die Deichsel oben hat die Funktion eines Kreuzes, an dem ein Kopf als Bild, Foto, Skulptur oder sonstwie befestigt ist und die Ärmchen nach rechts und links ausschwenken.

 

Es gibt nur eines, was uns geärgert hat und was wir nun in der Schirn schon mehrmals feststellten: die Ausstellungsstücke tragen nur die englischen Bezeichnungen. Wenn die Macher gehört hätten, was während unseres Besuches als Übersetzungen dabei herauskamen, sie würden auf der Stelle auch deutsche Titel hinzufügen. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, vor allem dann, wenn man einen mündigen Betrachter haben will, der seine Gedanken mit den Titeln abwägen will und nicht immer mit dem Fachbuch unterm Arm in Ausstellungen geht.

 

Bis 29. Januar 2012

 

Katalog: Kienholz. Die Zeichen der Zeit, hrsg. von Martina Weinhart und Max Hollein, Verlag der Buchhandlung Walther König, 2011, zweisprachig. Gar nicht düster, sondern Rot und Bunt kommt dieser Katalog daher und es wäre ja auch furchtbar, wenn man das Furchtbare dann auch noch mit verbissenem Gesicht zum Kunstwerk zwingen müßte. Wieviel Lebensfreude in der Dokumentation des gesellschaftliches Schreckens und der dafür Verantwortlichen für die Kienholzs drinnensteckte, zeigt dieser Katalog eindrucksvoll. Denn oft ist der Witz der subversive Killer und nicht der Holzhammer, den man Kienholz leicht unterstellt, weil die Botschaft schon vor der Betrachtung klar ist. Das gilt sicher auch für das gemeinsame Porträt aus dem Jahr 1982, wo beide mild lächelnd, sie mit der Zigarette, er mit der Kaffeetasse wie die Verkörperung dessen aussehen, wogegen sie immer gewesen sind: fettleibige Kleinbürger.

 

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