Ein Gemälde, Öl auf Leinwand, das je länger man hineinschaut, desto mehr Geheimnisse enthält. Gemalt im Jahr 1662, ist es nur 35x32,1 Zentimeter groß. Für wen es gemalt wurde, wem es gehört hat? Heute ist es der Berliner Gemäldergalerie selbst zu eigen. Die Zisterspielerin sitzt am Boden, dünkt uns, auf einem Kissen vielleicht, den Oberkörper dreiviertel uns zugewandt, die Beine bildparallel ausgestreckt, mit nackerten Füßen! Das schafft Behaglichkeit, Entspannung, wozu ihr schräg gelegter nach oben aufgerichteter Kopf mit den Augen intensiv nach rechts – aus ihrer Perspektive - blickend, irgendwie nicht passen will. Was beobachtet sie oder nimmt sie eine Pose ein, weil sie beobachtet wird?

 

Aus dem Dunkeln um sie herum, schält sich nach und nach Deutbares heraus. Direkt hinter ihr steht ein länglicher niedriger Tisch, der wiederum schräg nach hinten ragt und eine Fülle von Gegenständen enthält, die wir als Schriftkonvolut, als Bücher identifizieren, zusammen mit einem Gefäß, einem herunterreichenden Teppich, links ein Tuch, das den Boden noch nicht berührt und auch nicht herabgleiten kann, denn auf ihm liegt ein Blasinstrument. Aber auch neben der Spielerin liegt ein weiteres Saiteninstrument. Die halb liegende Zisterspielerin vor dem niedrigen Tisch wird von einem wie eine Wolke wirkenden rötlichbraunen gebauschten Vorhang hinterfangen, der etwas verbirgt, was wir – so dunkel ist es – nicht recht erkennen können. Wir wissen eindeutig nicht so genau, wo wir sind, wo die Wände enden und wo drinnen und draußen geschieden ist.

 

Die Hauptsache jedoch bleibt die spielende Frau, die zum einen Muße ausstrahlt, zum anderen Angespanntheit, die aber allein vom Lichtstrahl von links erfaßt wird, der ihre Seidenkleider zum Glänzen bringt. Aber wie. Die Farben sind Unfarben, da ist ein lichtes Grau, kann auch zum hellen Blau changieren, das von einem Tuch im selben Ton, aber dunkler, umfaßt ist und die gebauschten Ärmel etwas zügelt. Um den Leib ein dunkel gewickeltes enges Mieder, das die Brüste nach oben in den Ausschnitt herausdrückt. Die dunkelblonden Haare sind fast vollständig bedeckt mit derselben Seide wie die Bluse, mehrfach um den Kopf geschlungen wie ein flacher Turban.

 

Eigentlich verzückt einen jeder Blick auf die Stoffteile, denn auch ihr Rock ist von solcher Strahlkraft und gleichzeitig dezentem Gelbgold, was erst recht für die braune Seide zu ihren Linken gilt, auf der sie noch sitzt und auf der ihr Instrument aufliegt. Da gäbe es noch sehr viel mehr zu berichten. Aber: wen stellt sie dar? Denn ihr Gesicht hat so gar nichts Elitäres, von besserem Dämchen oder Fürstinnengestalt. Von den nackten Füßen ganz abgesehen, wirkt ihr Gesicht mit den blühenden Wangen doch eher wie eine von vielen. Es gibt einige weitere Darstellungen von Musizierenden im Werk von Cornelis Bega. Aber die sind entweder zu zweit oder verkörpern eine bestimmte Person. Für dieses Bild schlägt Bernd Lindemann die Interpretation als „Allegorie der Musik“ vor.

 

Überhaupt die Frauen. Da merkten wir eigentlich erst nach der Ausstellung auf, daß in der Rückschau der Bilder uns lauter Frauen vor Augen kamen. Doch, doch, die Männer gibt es auch und die typischen Kneipenszenen sind voll von ihnen. Aber wir haben uns einfach in seine Frauendarstellung verguckt. Und daran ist eigentlich ein einziges Bild schuld, für das alleine wir diese Ausstellung überall wiedersehen wollten. Es ist die in den Jahren 1660/1 gefertigte SITZENDE FRAU MIT FUSSWÄRMER, die ebenfalls kleinformatig mit 24, 4 x 17,0 Zentimetern und Öl auf Papier, auf Holz geklebt, sonst in Boston hängt. Weit weg also, leider. Fortsetzung folgt.

 

Bis 30. September 2012

 

Katalog:

 

Cornelis Bega. Eleganz und raue Sitten, hrsg. Von Peter van den Brink und Bernd Wolfgang Lindemann, Belser Verlag 2012

Für unsereiner ist das schon wichtig, über einen weithin unbekannten Maler – irgendwann fiel mal der Name, aber ein Werkouevre verband sich uns damit nicht – auch gesicherte Erkenntnisse zu erfahren, denn in der Regel sind Kataloge zu Ausstellungen wahre Schatzkästlein. Und gleichzeitig, daß ist das Tolle am Schreiben über Kunst, trauen wir nur unseren eigenen Augen. Will sagen, hätte uns nicht die Ausstellung im Untergeschoß der Gemäldegalerie positiv überrascht, wer weiß, ob wir dann überhaupt hätten mehr erfahren wollen? Und dann bleiben wir auch noch gleich beim Vorwort stecken, einer meist sehr formalen Grußadresse mit auch meist formalen Dankesbezeugungen. Hier aber ganz und gar nicht.

 

Die Herausgeber, Direktoren ihrer Häuser verweisen zum einen auf die Freude, die ihre Anfrage hinsichtlich von Leihgaben bei den Leihgebern auslöste, daß es endlich eine Cornelis Bega Ausstellung geben soll, zum anderen danken sie nur einer, Mary Ann Scott, die die Dissertation zu Bega verfaßte, auf der die Kuratoren bei der Vorbereitung zur Ausstellung wie auf einem Leitfaden einschließlich der Ouevrenummern aufbauen konnten und die schon 1988 jung verstarb. Das zeigt ein zweites Mal, wie lange diejenigen, die Begas Werke kannten auf diese Ausstellung haben warten müssen.

 

Bis Seite 83 folgen sechs Essays, die Hintergründe aufzeigen oder Begas Malweise analysieren. Für uns waren alle personenbezogenen Informationen besonders wichtig, weil es daran haperte. Der Katalogteil bis Seite 287 bringt dann aber nicht einfach Abbildungen mit kurzen Angaben, sondern nutzt jedes Bild – Ölskizze, Rötel, Schwarze Kreide, Tinte, Öl auf Eiche, auf Kupfer, auf Leinwand, auf Papier, auf Leinwand aufgeklebt – zu einer ausführlichen Beschreibung seiner Herstellung, der Situation und der Bildaussage, wobei das für den Leser besonders Wichtige die angeführten Vergleichsbeispiele sind, seien sie weitere Begas oder Künstlerkollegen. Mit einem Wort: Sie haben hier eine fundierte kunstgeschichtliche Pioniertat vor sich liegen, über die man mit Respekt urteilt: viel gelernt, was man nicht wußte. Denn auch wir, mit unserer Selbstverpflichtung, nur dem eigenen Auge zu trauen, sind eben nicht so zu Hause im 17. Jahrhundert, wie wir dachten und in Harlem schon gar nicht. Gut gemacht, Autoren und Verlag!