Wir hätten gedacht, nur eine, aber vielleicht ist dies den je eifersüchtigen Landesteilen Baden (Karlsruhe) und Württemberg (Stuttgart) geschuldet, die die Landesausstellungen in ihrem Bereich dann noch verdoppeln. Denn im Ernst, diese Keltenausstellung ist zwar sinnvoll im Verbund zu zeigen, das was sich hinter ihr verbirgt, sind aber zwei sehr veritable, getrennte Ausstellungsblöcke von rund 1300 Exponaten!

 

KELTEN. Was vor Jahren die Mittelalterausstellungen waren, die junge Leute zum Nachmachen der Sitten und Gebräuche anregten, werden nach und nach die Kelten. Mit dem Pferdefuß, daß wir über diese fast nichts wissen. Sie haben uns keine Schrift hinterlassen und so muß man aus den derzeit  immer noch zahlreicher werdenden Fundstücken mit unseren Augen und unseren Erfahrungen herauslesen, wie sie gelebt haben, diese Kelten, mit diesen Gegenständen, die jetzt vor uns funkeln oder in aberwitzigen Formen wie die Keltenfürsten einfach unser Phantasie übersteigen, was es auf sich hat, mit diesen riesenhaften Muschelohren, die überhaupt keine Ohren sind. Auch, wenn man weiß, daß das schwierig wird, ohne schriftliche Selbstzeugnisse über das  Leben der Kelten und ihre Kultur Gültiges auszusagen, muß man es probieren. Und das tuen mutige Archäologen seit Jahrzehnten und werden derzeit durch immer  neue Funde geradezu fürstlich belohnt.

 

Wer die Kelten waren, wo sie überall siedelten, wird dadurch immer komplizierter. Daß diese Ausstellungen über drei Jahre Vorbereitung brauchten – kurz gerechnet – und 136 Leihgeber aus 14 Ländern sich beteiligten, wobei selbst der Westen mit Irland und der Südosten mit Bulgarien mitdabei sind, zeigt schon, auf welch europäisches Thema sich die beiden Stuttgarter Institutionen eingelassen haben und auf der Basis der eigenen Forschungsarbeit und der Fundstücke aus Baden –Württemberg dennoch die ganze Breite der Keltenforschung  und Keltenschätze in Stuttgart auffahren. Dabei wird sinnvoll differenziert, indem im Kunstgebäude vom Archäologischen Landesmuseum und dem Landesamt für Denkmalspflege ZENTREN DER MACHT errichtet sind, also nicht die Stücke als Kunstgegenstände im Vordergrund stehen, sondern ihr Zusammenhang mit keltischem Leben, das heißt auch, daß dem Fundort eine wesentliche Aussagekraft zukommt.

 

Dabei nun wiederum gibt es die Forschungsgeschichte, wie die um das Fürstinnengrab bei Herbertingen, aber vor allem ganz neu um das aus dem Umfeld der Heuneburg, wo man in die Kultur eintauchen kann und es gibt die frühkeltischen Fundstücke wie die vom Glauberg mit besagten Keltenfürsten, alles Bezeichnungen, die wir aus unseren Gesellschaftssystemen der gerade abgelaufenen Vergangenheit auf die keltische Gesellschaft übertragen, wobei als Spange zwischen den vielen Fundorten in Baden-Württemberg und denen außerhalb,  die Geschichte der Kelten von Beginn bis zum 1. Jahrhundert dient.

 

Dazu hat Baden Württemberg alle Berechtigung. Sehr viel Keltisches wurde im 19. Jahrhundert und  in den letzten Jahren erneut ausgegraben. Die KELTEN werden erstmals im griechischen Kontext, in Schriftquellen um 500 v.Chr. erwähnt. Herodot vermutet ihre Herkunft aus Mitteleuropa , an „den Quellen der Donau“. Die archäologischen Funde in Süddeutschland, der Schweiz und Ostfrankreich zeigen, daß sich schon Jahrhunderte zuvor eine eigene Kulturgruppe zeigt, die man Kelten nennen kann. Im 4. und 5. Jahrhundert v.Chr. tauchen diese Kelten auf den Kriegsschauplätzen Italiens auf, auf dem Balkan, in Griechenland, in Kleinasien (PERGAMON!) , wo sie sich ansiedeln wollen und lokale Gesellschaften in Händel verstricken. Diese einzelnen Stämme sind weder ein gemeinsames Volk, noch eine Nation. Wie sie sprachen wissen wir auch nicht. Was durch die Funde über Europa hinweg aber eindeutig ist, sind die Zusammenhänge  zwischen diesen Gruppen, was ihre Kunst, ihr Handwerk, auch ihre Religion(?) und Sprache angeht. Die spätere Geschichtsschreibung hat dann die Eisenzeit den Kelten zugeordnet und beispielsweise mit der Hallstattzeit deren Frühzeit charakterisiert. Was davon bleibt, ist, daß Hallstatt am Hallstättersee in Oberösterreich im Salzkammergut zu dem regionalen Bereich gehört, von dem  man von Südwestdeutschland über die Schweiz und  Ostfrankreich heute als WIEGE DER KELTISCHEN KULTUR spricht, was derzeit die internationale Keltenforschung bestimmt.

 

Im gegenüberlegenden Alten Schloß dagegen wird als Teil des Landesmuseums Württemberg KOSTBARKEITEN DER KUNST gezeigt, wo es um die Eleganz, aber auch die funktionalen Ideen der Kelten und ihrer Objekte geht. Auch dabei sind die Lebensumstände natürlich gegenwärtig. Aber es ist gut, daß in diese Bereiche unterschieden wurde. Die rund 1300 Ausstellungsstücke seien auf beide Ausstellungen ziemlich pari aufgeteilt. Mehr in den jeweiligen Ausstellungsberichten.

 

Bis 17. Februar 2012

 

Katalog:

Die Welt der Kelten. Zentren der Macht – Kostbarkeiten der Kunst, hrsg. Vom Archäologischen Landesmuseum Baden Württemberg, dem Landesmuseum Württemberg und dem Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Jan Thorbecke Verlag 2012

Eigentlich müßten einem die Museen und Verlage bei solchen Wälzern – 552 Seiten und sauschwer! – gleich einen Träger mitgeben. So war das in besseren Tagen, als Sklaven noch zur Verfügung standen. So sind wir unsere eigenen Sklaven, tragen schwer und freuen uns noch dran. In der Tat ist die ausführliche Sichtung des Katalogs nach den Pressekonferenzen und der Besichtigung die notwendige Verrichtung, um einordnen zu können, was es mit den eigenen Augen und dem eigenen Wissen auf sich hat. In der Regel sind die Katalogverfasser immer schlauer, aber wir dagegen haben mit keltischer Kunst und mit ihrer Kultur eben schon so viele Erfahrungen gesammelt, daß man alles Neue auf diesem Hintergrund sieht. Darum können unsereinem die Kataloge gar nicht dick genug und schwer genug werden, Hauptsache, mal lernt aus ihnen und Hauptsache, sie haben mit der gesehenen Ausstellung zu tun.

 

Für beides kann man hier garantieren und daß nicht nur das Papier schwergewichtig ist, sieht man dann, wenn gleich zu Beginn des Katalogs einem Joachim Gauck und Winfried Kretschmann entgegenstrahlen. Interessant deren Differenzierung bei den Grußworten. Kretschmann geht auf die Funde im Süddeutschen ein, auf bekannte Stücke wie den „Silberring von Trichtingen“, aber auch: „Die reichverzierte Grabkeramik der Hallstattkultur gehört zu den schönsten Töpfereierzeugnissen der süddeutschen Vorgeschichte überhaupt.“ Stimmt. Gauck auf jeden Fall hat seine Worte selbst formuliert, bzw. die Richtung gewiesen. „Streng genommen wissen wir nichts über die Kelten…Sind doch die ‚Galater‘, an die Paulus schrieb, sie sollten fest in der Freiheit verharren, wohl schon sprachlich von keltischem Geschlecht.“ Das muß man erst einmal so hinbekommen, den christlichen Bezug, den der Archäologe bei den Galatern mit den hellenistischen Skulpturen beantwortet, die als „Gallier und seine Frau“  oder „Der sterbende Gallier“ auch  einen Ehrenplatz im Katalog haben.

 

Eine ganze Seite auf 267 steht er und kann nicht anders: die überlebensgroße Statuengruppe vom heldenhaft aufgerichteten Mann, der sich gerade mit dem Schwert ersticht, während an seiner Seite seine Frau schon sterbend niedergesunken ist. Die Skulptur steht in der Ausstellung und wir mögen einfach die hellenistischen, sehr raumgreifenden und barocken Formen und so oft ist das auch nicht, daß man sie gleichzeitig in Berlin im Pergamonmuseum in der dortigen Ausstellung sehen kann. Das bronzene Original ist verschollen, aber die sehr schöne Berliner Römische Kopie kommt aus Rom direkt. Leider schweigt der Kelten-Katalog dazu, um welche römische Marmorkopie es sich hier handelt. Aber den Galatern sind die Seiten 266-268 gewidmet.

 

Ansonsten weist der Katalog die Fleißarbeit auf, die mit den Ausstellungen korrespondiert, die vor allem den vielen kleinformatigen Fundstücken einen Hintergrund und eine visuelle Dauer gibt. Zu Beginn werden die Facetten des Keltenbildes aufgezeigt, die, je nach Fundort eine andere Sprache sprechen. Die FrühZeit (7. bis 4. Jahrhundert v.Chr.) wird sodann von der ZwischenZeit (4. bis 3. Jahrhundert v.Chr.)  geschieden, die dann wiederum von der SpätZeit (3. bis 1. Jahrhundert v.Chr.), der die EndZeit (52. vor bis 4. Jahrhundert n.Chr.). folgt, zu dem noch ZeitVersetzt Keltisches in Großbritannien und Irland vom 1. Bis 8. Jahrhundert n.Chr.) hinzustößt, was allesamt im Anhang (Seiten 524f) dann noch einmal als Schautafel mit Fundstücken und Stilbegriffen vorgeführt wird. Das ist sinnvoll und erleichtert sowohl die Orientierung wie auch das Finden von Gegenständen.

 

Die eigentliche Katalogarbeit ist eine Schatzkiste für alle Tage, wenn es um Kelten geht. Schon wieder ein Buch fürs Leben, denken wir. Jeder gut gemachte Katalog zu einer gut gemachten Ausstellung hat im gewissen Sinn Ewigkeitswert – für unsere Lebenszeit zumindest. Und in der hat es sehr sehr viele Neuerungen an Ausgrabungen und Interpretationen gegeben. Das mag man nach diesen Jahrtausendabständen nicht glauben, aber wir sind mittendrinnen in einer Forschungsphase zu den Kelten, für die diese Ausstellung eine ideale Plattform bildet und der Katalog auch!

 

Ein opulentes Begleitprogramm sichert zudem, daß Sie sich jederzeit noch zusätzlich Informationen über die Kelten ‚reinziehen‘ können.

 

Orte der Kelten-Ausstellung: ZENTREN DER MACHT im Kunstgebäude Stuttgart, KOSTBARKEITEN DER KUNST im Landesmuseum Württemberg, Altes Schloß

www.kelten-stuttgart.de