IGS Sodexo 2018 Kopie optDie Frankfurter IGS Nordend ist auf den sprichwörtlichen Barrikaden gegen das Heranrücken des Groß-Caterers Sodexo

Heinz Markert

Frankfurt am Main (weltexpresso) - Ämter und Behörden passen nicht in unsere Zeit, sie sind gesellschaftspolitisch überholt. In der überlieferten Struktur gehören sie einem vergangenen Zeitalter an. Das gilt auch für die privatwirtschaftliche Konzernwelt.
Qua Amt wird zwar wohl die Gnade gewährt, im Fall des Falles seitens der Behörde auch erhört zu werden. Eine Behörde kann es sich aber immer noch leisten, im Fall von Kritik, die als unangemessen betrachtet wird, mit dem Kadi zu drohen. Das ist im aufgegriffenen Konflikt zwar nicht gegeben, aber der Behördencharakter eines Bildungsamtes erscheint für Essenszwecke fragwürdig und unangebracht und ruft Verweigerung hervor. Ebenso auch das von oben über den Familienbetrieb hinweg rasierende EU-Recht.

Gegen die Bildungsdezernentin Sylvia Weber stellten sich die Reihen auf

Aus dem Konflikt um den Einsatz eines Groß-Caterers ist inzwischen eine lange Geschichte geworden. Die örtlichen Meldungen zum Protest der Frankfurter IGS Nordend gegen den vom Bildungsdezernat aufoktroyierten Caterer Sodexo ergeben mittlerweile einen ansehnlichen Stapel, nahebei lagert auch der Artikel unter der Überschrift: „Schimmel vertreibt Schüler“ – auch so ein nicht ganz neues Schulproblem.
 
Zur Caterer-Angelegenheit fand eine Demo vor dem Römer statt. 600 Schüler und ihre Lehrer fuhren im April nach Rüsselsheim und gingen auf einen Protestmarsch zum Firmensitz. Der Ruf von Sodexo, dem naherückenden Groß-Caterer gestaltet sich ganz mies, dieser soll anstelle eines bewährten Unternehmens aus der Nahzone zum Zug kommen. Die Vergaberichtlinien der EU haben dies contra Willen der Betroffenen bewirkt, zutreffender gesagt: durchgesetzt. Die Betroffenen wurden nicht befragt, es wurde über ihre Köpfe entschieden. Der Kampf schwelt.

„Macht uns das nicht kaputt“
 
Damit geriet das Maß voll und eine Bewegung der Schülerinnen und Schüler und ihrer Eltern hat sich auf die Seite der Cantina Buen Barrio gestellt. Im kürzlich erfolgten Stadtgespräch der FR trafen die Kontrahenten aufeinander. Die Schule, mit ihrem Schulleiter Uwe Gehrmann und den Eltern vertritt vehement den Ansatz: warum einen Zustand bester Zufriedenheit, der den Kern der Familien angeht, aufheben und einen bewährten Caterer ersetzen? Dieser wird mit höchstem Lob bedacht hinsichtlich der Einhaltung von Lebensqualität, Kommunikation, Wohlgefühl, gutem Aussehen und reicher Abwechslung, Genussfaktor und Essensbildung. Der Caterer Cantina Buen Barrio kennt alle beim Namen. So ergeht die Forderung: macht uns das nicht kaputt. Warum ein ‚running system‘ infragestellen?

Ein Großunternehmen wie Sodexo „passt nicht rein“

Die Eltern wurden schon vernommen mit der Feststellung: Mein Kind isst das nicht! Falls es zum Austausch des Caterers käme, steht die Möglichkeit im Raum: alle Eltern treten aus. Als vorbildlich indes wird die Cantina Buen Barrio empfunden. Sie hat die beste Erfahrung. Es gib keine schale Suppenküche, Nudeln, Reis, Kartoffeln - nichts wird trocken serviert. Die Bewertung besagt: es ist eine wunderbare Gemeinschaft, geradezu ein Kulturgut geworden.

Von Sodexo kommt keine überzeugende Stellungnahme und Vorstellung zu einem Konzept, das das gemeinhin Übliche übersteigen könnte und mit Erfahrung und Lernen im zentralsten täglichen Erleben - dem gemeinschaftlichen Essen - verbunden wäre. Für Sodexo - vertreten durch den Geschäftsführer Dieter Gitzen - ist die IGS zunächst ein Teil des Business as usual des weltweit operierenden Konzerns. Der Jugend wird das nicht gerecht.
 
Die Dezernentin dekretiert: Zurücktreten von der Entscheidung pro Sodexo gehe nicht. Auf den gesprochenen Satz der Dezernentin hin: „es gibt formelle Kriterien, an denen können wir nichts ändern“ wird Frau Bärbel Praetorius vom Frankfurter Ernährungsrat, die das Zusammenspiel aller Beteiligter so gelungen findet, richtig böse und meint: wenn die Politik sich so stellt, dann sollte sie ganz aufhören und auf ihren Job verzichten. Es wurde im Verlauf des Abends aber klar: die Dezernentin ist selbst nicht recht glücklich über das Verfahren, auch wenn es korrekt gelaufen ist.
 
Die Cantina arbeitet wie ein Familienunternehmen

Hingewiesen wird auch auf den Umstand, dass ein kleineres Unternehmen nicht die ausgefuchste Verwaltung und mit allen Wassern gewaschene Rechtsabteilung aufweise, um sich gegen einen großen Caterer aufzustellen und durchzusetzen. Die Cantina arbeitet situationsbezogen, stellt sich auf individuellen Bedarf ein. Sie öffnet um fünf vor acht. In den Pausen stellt sie eine Zwischenverpflegung bereit. Und sie kennt alle mit Namen. Sodexo hat keinen guten Ruf, es ruft unmittelbar Ablehnung hervor. Aus vielen Mündern wurde Sodexo schon bewertet und eingestuft. Es wird in den Zusammenhang von Massenfraß vom Fließband und Warmanlieferung gestellt. Das Essen sei nicht schön, nicht frisch, Salat kommt aus der Dose, auch das Wort Fischstäbchen fällt. Zu viele kennen Sodexo schon. Sodexo habe nie auf Einwendungen oder Anfragen reagiert. Sodexo brauche nichts mehr besser machen zu wollen. Auf das Kochen von Sodexo hin fällt der Satz: „...bestellen ganz oft ab“.

„Schüler wollen sich nicht abspeisen lassen“

Der Protest gegen den Einsatz von Sodexo an Schulen hat Kreise gezogen. Der Konflikt ist zum Stadtgespräch geworden. „Keine Schule will Essen von Sodexo“ (IGS und drei weitere). „Protestmarsch zum Caterer Sodexo“, „Sodexo will mit frischer Küche überzeugen“, „Eltern kündigen bereits einen Boykott an“, sollte das Stadtschulamt an seiner Entscheidung festhalten“, so und ähnlich lauten Überschriften und Textzitate, die sich angehäuft haben. Denn das Thema ist von ungemeinem Reiz. Denn es geht um etwas wesentliches. Aus dem „Kampf um die Mensa“ (so eine Überschrift) ist so etwas wie ein Kulturkampf geworden.
 
Mit Fug und Recht darf gesagt werden, dass die konventionelle Küche krankmacht. Als zu künstliche weist zu wenig Feinstoffe auf, geringe Mengen jener Spurenelemente, die der natürliche Wirkungskreis zu bieten hat, abgesehen von der recht fragwürdigen Zuführung von Zucker, Fett und Salz. Auch die Verarbeitung ist von recht einfacher Herstellungsart. Als abschreckendes Beispiel wird die Verköstigung in der Pflege angeführt.
 
Mit dem IGS-Konflikt um einen Caterer deutet sich etwas Grundlegendes an. Wie soll unsere Gesundheits- und Genußpolitik aussehen, soll sie durch Nahrungsmittelriesen gelenkt oder von kleinen, spezifisch angepassten Einheiten, die auch Arbeitsplätze und Wertschöpfung in der Region halten, geprägt werden?
 
Es ist ein Grundsatzkonflikt um die Zukunft

Die jungen Leute fechten den Kampf der Nahzone gegen die Konzernwelt aus. Sie bestimmen: Wir sind die Zukunft! - Die Politik ist schon längst nicht mehr den in alle erdenklichen Güter drängenden Praktiken des globalisierten Kapitals gewachsen. Sie hat kapituliert, daher ist eine Bildungsdezernentin nicht die zuständige Angriffsfläche. Denn entschieden wurde längst woanders. Aber die jungen Leute bieten den Hoffnungsschimmer, dass eine Wende eintreten könnte. Die politische Großklasse verkennt, dass sie getrieben wird.

Welten prallen aufeinander. Das von Gewinnmaximierung getriebene Kapital trifft auf die fürsorglichen Postulate einer Nahzone. Der Systemfraß stellt sich gegen eine ‚Mothers Cantina‘. Das Großunternehmen muss Arbeitskräfte einsparen, um ordentlich Gewinne zu machen. Es ist ein Kampf der zwei Kulturen.
 
Lösungen des laufenden Konflikts deuteten sich aber an: Das Bildungsdezernat kann eigene Kriterien festsetzen. Es muss sich nicht blind in ein formalisiertes Ausschreibungsverfahren begeben. Es sollte Schülerinnen- und Schülerbefragungen erheben. Ein Mensa-Ausschuss sollte seine Arbeit machen. Mitbestimmung ist im vorliegenden Fall das Entscheidende das fehlt. Als Vorbild kann das Berliner Modell dienen; in diesem wird eine Schul-Jury eingesetzt, die mitentscheidet. Und am Ende sollte eine Schülerschaft demokratisch zwischen Alternativen wählen können. Einmal im Jahr müsse eine Anfrage an die Betroffenen stattfinden.

Foto:
Heinz Markert

Info:
Das zum Thema stattgefundene 'Stadtgespräch' der FR am 30. Mai 2018 im Haus am Dom