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Kategorie: Lust und Leben
Von Galileo Galilei, Martin Luther und anderen Handlangern

Klaus Jürgen Schmidt

Nienburg/Weser (Weltexpresso) – Ja, es geht auch um den Fernsehfilm in der vergangenen Woche, in dem Götz George den Josef Komalschek spielt, der nach 30 Jahren hinter Gittern zurückkehrt in jene Nachbarschaft, in der er eine Nachbarin und deren Baby getötet haben soll. „Wo ist das Baby?“ mit dieser Frage konfrontiert er jede und jeden, die seinerzeit für seine Verurteilung sorgten. 


Und am Schluss erlebt er eine Art Auferstehung. ... sein Baby ist in der Familie eines der Mörder herangewachsen, der Polizist, der ihn überwacht, ist sein Sohn! Nein, es geht nicht mehr um den Fernsehfilm, sondern um Fragen, die dessen Titel bei mir ausgelöst hat.

Ich habe mich in letzter Zeit an dieser Stelle öfter mit Religionen und deren Institutionen befasst, mit deren Irrungen und Wirrungen. Von Klaus Philipp Mertens bekam ich an dieser Stelle kenntnisreiche Antworten auf meine Fragen nach dem Rechtsverhältnis zwischen Kirche und Staat. Mir war es dabei um die Schuld von Kirchenmännern gegangen, die sich an Kindern in ihrer Obhut vergangen hatten, ohne sich vor weltlichen Richtern verantworten zu müssen. Mein Erkenntnisstand hat sich leider nicht erweitert, wenn ich bei Mertens z.B. lese: „Nicht belegbar ist, dass die Ermittlungsbehörden die Kirchen verschonen würden oder sich zumindest eine Zurückhaltung auferlegten. Eher ist zu vermuten, dass sie sich aus rein praktischen Gründen schwertun. Denn die kirchlichen Hierarchien sind für Außenstehende schwer zu durchschauen. Und innerhalb jeder pyramidenähnlich gestuften Gruppe herrscht von unten nach oben bekanntlich das große Schweigen. ...“

In der weit zurückreichenden Geschichte dieser pyramidenähnlich gestuften Gruppe findet sich nach meiner Erkenntnis eine „Besondere Schwere der Schuld“:

In anderem Zusammenhang war ich involviert in einen Dialog über Islam und Christentum sowie deren weltliches Wirken bei verirrten Seelen, bei Terroristen und bei Egoisten. Dabei merkte ich an, im Islam habe es nie einen Luther gegeben, der die auf ein Jenseits ausgerichtete vatikanische Religion angepasst hatte an irdische Erfordernisse. Das habe die Abkehr vom Feudalismus zum Kapitalismus möglich gemacht und nicht mehr bloß Kirche und Adel, sondern nun auch jedem Christen erlaubt, andere Menschen auszubeuten und persönlichen Reichtum anzuhäufen. (Wie das funktionierte kann man bei Max Weber nachlesen: „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“.)

In Italien hatte zuvor der Universalgelehrte Galileo Galilei versucht, Religion mit Wissenschaft in Übereinstimmung zu bringen, indem er die überirdische Sternenwelt mechanischen, also irdischen Regeln unterwerfen wollte. Vor der römischen Inquisition leugnete er jedoch kopernikanische Erkenntnisse z.B. zur Kreisbahn der Erde um die Sonne. ... Wie ich erst jetzt las, hat er „und sie bewegt sich doch“ nie gemurmelt! ...

Er landete in Hausarrest – zuletzt in seiner eigenen Villa. 1609 hatte Galilei von dem im Jahr zuvor in Holland erfundenen Fernrohr erfahren. Er baute aus käuflichen Linsen ein Gerät mit ungefähr vierfacher Vergrößerung, lernte dann selbst Linsen zu schleifen und erreichte bald eine acht- bis neunfache, in späteren Jahren bis zu 33-fache Vergrößerung. Am 25. August 1609 führte Galilei sein Instrument, dessen militärischer Nutzen auf der Hand lag und das im Gegensatz zum wenig später entwickelten Keplerschen Fernrohr eine aufrecht stehende Abbildung lieferte, der venezianischen Regierung vor. Das Instrument machte einen tiefen Eindruck und Galilei überließ der Regierung das völlig illusorische alleinige Recht zur Herstellung solcher Instrumente, woraufhin sein Gehalt erhöht wurde. ... Einer, der immer wusste, wo der Speck hing.

Immerhin war bei ihm an die Stelle der Wissenschaftssprache Latein die Volkssprache Italienisch getreten, so wie später bei Luther die Volkssprache Deutsch bei dessen Bibel-Übersetzung.

Beiden “Ketzern“, Galilei und Luther, blieb der Scheiterhaufen erspart. Beide wurden gebraucht, um beim Fortschreiten von Aufklärung und Wissenschaft dem „Kaiser neue Kleider“ anzuziehen. Das ist Protestanten besser gelungen als Katholiken, und damit meine ich nicht deren Garderobe, sondern das Verbergen ihrer „Besonderen Schwere der Schuld“!

Ich will hier nicht eingehen auf katholische Mächte, die sich nie verantworten mussten für Ausrottung oder Verknechtung von Menschen in Weltgegenden, in denen es Gold und Sklaven zu nutzen gab. Ich will eingehen auf den Begründer jener „protestantischen Ethik“, die bis zum heutigen Tag an seiner Wittenberger Kirche angeschaut werden kann, ohne Eingeständnis einer „Besonderen Schwere der Schuld“:

An der südlichen Außenwand sichtbar ist die aus dem Hochmittelalter datierte plastisch-bildhafte Darstellung der zeitgenössischen Judensau. Dieses antisemitische Motiv wurde im Mittelalter populär. Es diente dazu, Juden zu verunglimpfen und zu verspotten. 1988 wurde im Auftrag der Stadtkirchengemeinde unterhalb der Judensau-Darstellung eine Gedenkplatte in den Boden eingelassen, um auf die historischen Folgen des Judenhasses aufmerksam zu machen. 2019 hatte das Landgericht zu entscheiden, ob das Relief zu entfernen ist. Im Februar 2020 bestätigte das Oberlandesgericht Naumburg, dass dieses Relief erhalten bleiben darf. (https://de.wikipedia.org/wiki/Stadtkirche_Lutherstadt_Wittenberg)



Wer war es eigentlich, der das Märchen in die Welt setzte, Juden hätten einen Juden auf einem bislang nicht identifizierten Hügel außerhalb Jerusalems an ein Kreuz genagelt, und nicht etwa Söldner römischer Besatzer einen Prediger gegen Gewalt?
Es war jedenfalls nicht die britische Komikergruppe „Monty Python“.

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© Klaus Jürgen Schmidt
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