AFRIKA ERZÄHLT – Story 1

Klaus Jürgen Schmidt

Nienburg/Weser (Weltexpresso) – Wir nannten RBO „Stimmen des Südens für Ohren im Norden“. Zwischen 1993 und 2000 schaffte meine Organisation einen globalen und regelmäßigen Zugang zu Stimmen aus Afrika mit der überregionalen Trainings- und Produktionseinrichtung von "Radio Bridge Overseas" in Harare / Zimbabwe. RBO-Geschichten-Erzähler legten den Schwerpunkt auf die Sichtweise von Laien. Sie nahmen ihre Mikrofone mit zu den Menschen in ihrem Alltag, und sie sammelten so Perspektiven aus deren Sicht.

Während ich mit afrikanischen Kolleginnen und Kollegen arbeitete, half meine Frau zusammen mit ihrer Freundin Mavis Gwena Frauen auf dem Lande, sich selber zu organisieren. Dabei entstand u.a. in Chikupo die Struktur für einen von Frauen betriebenen Kindergarten.
George Msumba war in Harare / Zimbabwe einer unser besten Geschichten-Erzähler. Als er von dem Projekt erfuhr, erinnerte er sich an eine Chikupo-Legende, der er nun für Radio Bridge Overseas auf die Spur kommen wollte. Hier ist das Transkript seiner Radio-Sendung:








Der heilige Berg von Chikupo


von George Msumba







George:

Händeklatschen ist ein Ritual, um Respekt gegenüber den Geistern der Vorfahren meines Volkes auszudrücken, den Shona in Zimbabwe, einem Land im südlichen Afrika. Gewöhnlich ist dies mit förmlichen Fragen nach Rat und Erlaubnis der Geister der Gegend verbunden, in der man eingetroffen ist. Selbst in der Stadt, in der ich wohne, ist es üblich, dass man zur Begrüßung in die Hände klatscht. Aber hier, fern der Hauptstadt, in Chikupo, hat es noch eine besondere Bedeutung. Von dieser Gegend waren mir Geschichten von einem Berg zu Ohren gekommen, auf dem es brennt, wenn Regen bevorsteht, von einem Berg, der sprechen kann, von einem Berg, der einen von der Erdoberfläche verschwinden lässt, wenn du ein falsches Wort verlauten lässt. Meine Mission bestand darin, den Mythos dieses Berges zu verstehen. An seinem Fuß traf ich Elias Muchapondwa, der eng im Glauben der Menschen hier verwurzelt ist. Er lud mich in den Schatten eines Baumes unterhalb des Berges.
Elias:
Während der Regenzeit hat der Berg gebrannt, obwohl ein Nieselregen niederging. Das Feuer konnte dadurch nicht gelöscht werden. Man hat nur die übermächtigen Flammen gesehen, die ohne Unterlaß gezüngelt haben. Zur selben Zeit hat es geregnet. Das war ein Zeichen, daß in diesem Jahr eine riesige Bohnenernte bevorstehen wird.

George:
Der Berg ist ein riesiger, nahezu kahler Granitbuckel, an dessen Ränder sich verstreut einige Bäume befinden. In Zimbabwe gibt es viele solcher Berge, die als heilig angesehen werden. Wie Elias mir erzählte, seien die Ureinwohner dieser Gegend in Höhlen des Berges begraben worden.
Elias:
Es sind deren Seelen, die all diese Dinge bewirken, die im Umkreis dieses Berges geschehen.
George:
Ich selbst fühlte mich wie ein Außenseiter in der Erzählung über meine Vergangenheit. In der Schule wurde mir gelehrt, dass es für jedes Problem eine wissenschaftliche Begründung gibt. Meine traditionelle Vergangenheit lässt hingegen Freiraum für unerklärte und unnatürliche Ereignisse im Leben der Menschen. Gab es vielleicht noch andere Zeichen für die übernatürlichen Kräfte des Berges?
Elias:
Zum Sonnenuntergang konnte man das Muhen der Kühe und die Gespräche von Personen hören, die unsichtbar waren. Wir konnten ihre Gespräche verstehen, sie zu sehen, war allerdings unmöglich.
George:
Die Idee von Tönen ohne Quelle war für mich kaum fassbar. Aus diesem Grund bat ich Elias, mir dieses Phänomen zu erklären.
Elias:
Unsere Vorfahren nannten solche Stimmen Madzimuzagara. Heute kann ein Radio mit einem Sender verknüpft werden, der weit entfernt ist. Und man kann hier hören, was Leute dort sprechen. Kann man sie sehen? Nein. Ich kann sie nicht sehen. Wenn man die Musik dort spielt, dann können wir hier danach tanzen. Und genau auf diese Weise können die Stimmen unserer Vorfahren an unsere Ohren dringen. Jeder kann die Stimmen hören.

George:
Um den Glauben an die Geister zu verstehen, der eigentlich mein eigener Glaube sein sollte, war es für mich wichtig, zu den Grundüberzeugungen unserer Religion zurückzugehen. Danach bleibt die Seele eines Verstorbenen unter den Lebenden. Seine Seele findet eine Person, die sein geistiges Zentrum wird. Durch dieses Medium können die Hinterbliebenen mit dem Verstorbenen kommunizieren. Der Tote wird dann Kontakt zwischen den Lebenden und Mwari aufnehmen, so heißt unser Gott. Im Fall des heiligen Berges funktioniert das so: Mwari sendet seine Mitteilungen zu den Bewohnern von Chikupo über die Seelen der Verstorbenen. Die Geister sind der Grund für die übernatürlichen Ereignisse, die an dem Berg zu beobachten sind.
Elias:
Mwari möchte einzig und allein nur die Wahrheit. Die Welt würde viel besser sein, wenn jeder das wüsste. Autos und Paläste verändern die Menschen nicht zum Guten. Mwari möchte eine heilige Person, die gute Taten vollbringt, die nicht durch das Blut eines anderen Menschen beschmutzt wurden.
George:
Dieser Glaube türmte sich vor mir auf wie Nyaumbwe, der heilige Berg. Noch einmal warf ich einen Blick zu dem Granitfelsen. Verfügt er tatsächlich über außergewöhnliche Kräfte?
Elias:
Unsere Stärke, die Stärke des schwarzen Mannes, ruht in den Geistern unserer Ahnen. Als die Weißen kamen, mussten sie feststellen, dass die Quelle unserer Kräfte in unserem Gott liegt. Sie hatten ihren eigenen Gott, einen Gott, den wir nicht kannten, einen Gott, der im Himmel lebt. Unser Gott war niemals weit entfernt.
George:
Die Beschreibungen von Elias erweckten bei mir den Eindruck, dass der Berg seine Kräfte verloren habe. Dann erzählte er mir allerdings eine Geschichte über zwei Söhne und einen Neffen. Seine Söhne, so berichtete er, waren auf dem Weg zum Gipfel, um Vogeleier zu sammeln. Der Neffe entschied sich kurzerhand, ihnen zu folgen, ohne jedoch die notwendigen Rituale vollführt zu haben.
Elias:
Als meine zwei Söhne auf dem Weg ins Tal waren, hatte mein Neffe sie als Gespenster gesehen. Vom Rande des Berges stürzte er ab und verletzte sich so sehr, dass wir ihn ins Krankenhaus bringen mussten. Später hatte ich ihn gefragt, was hast du auf einem Berg zu suchen, über den du nichts weißt?
George:
War der Sturz vom Gipfel durch die Kraft des Berges verursacht? Die Begegnung mit den Menschen von Chikupo ging ihrem Ende entgegen. Wenig später befand ich mich auf der Fahrt zurück zur Stadt. Da war der Granitdom, mächtig und schweigend. Die Distanz zwischen ihm und mir wuchs wie die Kluft zwischen traditionellem Denken und modernem westlichem Leben. Zurück bleibt das Dilemma afrikanischer Menschen, sich und ihre Spiritualität neu zu definieren.
Elias: Du musst an unsere Tradition glauben, um diese Dinge verstehen zu können – du musst daran glauben!


Fotos:
KJS / zitierte Webseiten

Info:
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