riesengebirge plus.deErinnerungen angesichts der Verwüstungen in der Eifel und an der Mosel

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) -  Jedes Mal, wenn im Frühjahr der Schnee auf den Bergen rings um die Schneekoppe zu schmelzen begann, erlebte Adamstal ein Hochwasser. Die erdbraunen Fluten standen dann jeweils  ein paar Zentimeter unterhalb unserer Haustür und die alte Tilde nahm dann immer ihr Federbett und ihre Katze und wartete das Geschehen auf dem Fußweg hinauf zum Tunnelberg ab .

Der hieß so, weil die eingleisige Bahnstrecke aus dem Innerböhmischen in die Industrieregion an der nördlichen Grenze der Tschechoslowakischen Republik direkt oberhalb von Adamstal  durch den Berg geführt werden musste. Das Federbett und die Katze waren  für Tilde das Wichtigste. So lange sie mit ihrer Habe nicht auf der Flucht  vor dem Wasser war, machten sich die Bewohner des kleinen Ortes im Aupatal keine Sorgen. Dabei riss das Wasser jedes Mal am Ende des Ortes große Stücke Ackerlandes weg.

In den Ausläufern des Riesengebirges führte die Schneeschmelze zwar auch zur Überschwemmung von Wiesen und Feldern, aber die Kraft des Wassers  konnte hier nicht die verheerende Gewalt entwickeln, wie das jetzt in den lieblichen Tälern an der Mosel und in der Eifel geschehen ist. Zu beiden Seiten der Aupa, die einen Kilometer flussabwärts in die Elbe mündete, war Platz genug für das mit mäßiger Geschwindigkeit  daher fließende Wasser. Wenn sich das Naturgeschehen beruhigt hatte, suchten wir Kinder die Ufer  nach leeren Schuhcremedosen ab. Die nagelten wir auf einen dicken Ast, füllten sie mit Baumharz und zündeten die klebrige Masse an. Im Dunkeln liefen wir damit zwischen den Häusern hin und her wie die Fackelträger bei Olympischen Spielen,

Niemand dachte damals daran, der Aupa ein Korsett anzulegen, wie das heute mit den Eindeichungen der Flüsse vielerorts an der Tagesordnung ist. Dabei glich der liebliche Fluss streckenweise einer Kloake. Nicht nur die Abwässer aus den Häusern, sondern auch die Industriefarben aus den Textilfabriken der Region wurden in den Fluss geleitet.  Bis das Wasser unsere einsame Gegend erreichte, hatte es die Verunreinigungen zum großen Teil abgebaut und wir Kinder nutzten jede sich bietende Stelle, um darin zu baden. Niemandem hat das geschadet.

Kein Bauer kam auf die Idee, seine Wiesen oder seine Felder zu schützen. Der Sand, den das Hochwasser hinterließ, sickerte mit dem nächsten Regen in den Boden und schon ihm Herbst erinnerte nichts mehr daran, das weite Flächen vor nicht allzu langer Zeit überschwemmt gewesen sind.  Verglichen mit den Bildern von heute geradezu paradiesische Zustände. Ein bäuerlicher Feldweg führte quer durch die Aupa. Zwar zuckten die Pferde jedes Mal scheinbar zusammen, wenn sie die Furt mit einer Fuhre Heu oder hoch beladen mit  den Garben eines Kornfeldes durchqueren mussten, aber kein Hochwasser konnte dem kurzen Weg je etwas anhaben.

Leben wir heute in einer anderen Welt, dass demolierte Autos und zertrümmerte Waschmaschinen eine Straße über Kilometer hinweg unpassierbar machen, wenn sich die Naturgewalt ausgetobt hat und niemand glauben möchte, was  für eine Kraft Wasser hat.  Tonnenschwere Betonröhren eines Schmutzwasserkanals liegen verstreut, wie leere Streichholzschachteln, in einer von Trümmern übersäten Landschaft, herausgerissen mit Urgewalt tief aus dem Boden, in den Menschen sie einst mit Sorgfalt und großer Mühe eingebettet hatten? Gedankenlos werden Vergleiche mit den Trümmerlandschaften einer Bombennacht im Zweiten Weltkrieg gezogen. Ich habe als Soldat in Berlin gegnerisches Geschützfeuer erlebt, ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn eine Luftmine in der Nähe explodiert und ganze Häuserzeilen ins Wanken  bringt, nichts von all dem  erzeugte in mir das Gefühl von Ohnmacht, das mich heute  beim Betrachten der grausamen Folgen eines Hochwassers befällt, dass letzten Endes einen banalen Grund hat: Es hat geregnet, es hast stark geregnet.

Und das reicht, eine Katastrophe nie gekannten Ausmaßes zu bewirken?  Irgendetwas muss schief gelaufen sein. Vielleicht hat sich das auch die alte Tilde gefragt, wenn sie vor dem Hochwasser der Aupa auf den Tunnelberg floh. Von Klima sprach damals niemand.

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