bunter sommer. . .und die vier Jahreszeiten

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Eines Tages kam ein Vogel geflogen, der aussah wie ein Rabe, aber einen Schnabel hatte fast so groß wie ein Pelikan. Geflogen kam er in Wirklichkeit nicht, denn er war aus Holz und hatte auch nur ein Bein. Das war aus Eisen und überstand deshalb die vielen, vielen Jahre, die der hölzerne Rabe nun schon im Blumenbeet meines Gartens steht, ohne Schaden.

Wind und Wetter haben das bunte Kleid des stummen Gastes, den unser Sohn aus einem  Urlaub im Harz mitgebracht  hatte, zunächst ausgebleicht und dann ganz verschwinden lassen. Begonien und Geranien nahmen den  Wettstreit mit den grellen Ölfarben gern auf und blinzelten der weißen Wolke am Himmel  immer wieder frohgemut zu.

Rabe mit TulpeWie ein Märchenprinz aus dem Morgenlande sonnte sich der hölzerne Rabe  in der Farbenpracht, bis er nicht umhin konnte, sich das allmähliche Verschwinden seines bunten Äußeren einzugestehen und den Wettkampf mit Geranien und Begonien aufzugeben.  Giersch und Storchenschnabel  hatten sich  breit gemacht. Einer einsamen Tulpe blieb es im Frühjahr überlassen, dem tristen Bild einen warmen Glanz zu verleihen.

AkeleiKahlköpfig geworden nahm der Rabe dankbar zu Kenntnis, dass eine Akelei die Blöße durch eine Krone aus  geheimnisvoll strahlendem Blau überbedeckte. Die scheelen Blicke seiner fliegenden Artgenossen, die im Sommer aus dem Nussbaum im Garten des Nachbarn die ersten Früchte zupften, bekümmerten ihn wenig. Schadenfroh kicherte er vor sich hin, als ein Buntspecht auf der Suche nach Maden am ausgetrockneten Gestänge des Vogelhäuschens  zu hämmern begann.

Dem farbenfrohen Teppich des Herbstes, der irgendwann an einem nebligen Morgen vom nahenden Winter kündete, konnte er nicht viel abgewinnen, mochten die Amseln mit den Blättern  am Boden noch so übermütig um sich werfen. Missmutig zog er die Schultern zusammen und versuchte sich rabe schneevorzustellen, wie grimmig der Winter es wohl diesmal meinen würde mit seinen  frostigen Nächten.

Als dann weißer Flaum Rücken und Schnabel des Raben  bedeckte und ein verirrter Sonnenstrahl zum Träumen vom nächsten Frühling verlockte, nahm es der alte Knabe gelassen. Geduldig ließ er sich von der Hoffnung auf bessere Zeiten umschmeicheln, und wer genau hinsieht entdeckt ein leichtes Lächeln um seinen riesigen Schnabel.


Fotos:
KN