Bildschirmfoto 2021 08 29 um 00.35.51DAS JÜDISCHE LOGBUCH Ende August

Yves Kugelmann

Hamburg (Weltexpresso) - Der Geruch von geröstetem Kaffee ist überall. Die Speicherstadt Hamburgs ist seit 1991 UNESCO-Weltkulturerbe und symptomatisch für Europas Ambivalenzen zwischen Werteagenda und Realität. Die mondäne «Hafencity» wirbt mit Handelsnostalgie, verschweigt die Kolonialsmus-Kausalität, die Basis für den immensen Reichtum der Stadt wurde. Statt Erinnerung an Völkermorde, Unterdrückung, Versklavung werden Seefahrerhelden, Welthoffenheit oder Designerrungenschaften zelebriert.

Die Kolonialzeiten sind längst vorbei – doch ist es der Kolonialsmus? In diesen Tagen schlägt die Vergangenheit wieder einmal auf die Gegenwart ein – und alle geben sich überrascht. Doch wer in den letzten Jahrzehnten mit offenen Augen und Geschichtsbewusstsein Politik gemacht hätte, sollte es nicht sein. Das Scheitern des Westens in Afghanistan ist ein reales Symptom für die Selbstverweigerung im Umgang mit Verantwortung und Geschichte.

Hamburgs Geschichte, so fasst die TAZ zusammen, sei eng mit dem Kolonialismus verbunden. «Durch die Speicherstadt wurden Kolonialwaren in alle Welt vertrieben; Reeder und Kaufleute profitierten stark davon, waren als Politiker konkret daran beteiligt. Die Universität Hamburg entstand erst durch das Hamburgische Kolonialinstitut, und noch heute sind Denkmäler und Strassennamen in ganz Hamburg den damaligen Profiteuren gewidmet.» All das entgeht Touristen ebenso wie der Hamburger Bürgerelite, die stellvertretend für ein Phänomen überall in Europa steht: Negation der Vergangenheit.

Negation der Vergangenheit hat auch mit einer Haltung zu tun, Menschen in oder aus der Ferne unterzuordnen und Kolonialismus längst nicht mehr mit physischer, aber mit virtueller Unterdrückung zu betreiben. Oft ohne Bewusstsein dafür. Bis diese Menschen dann auf einmal an Europas Türen klopfen. In der Speicherstadt hätte es noch viel Platz zwischen Luxuslofts und Start-up-Firmen für Menschen, deren Flucht vor Generationen begonnen hat. Dann würde sich zumindest dieser Kreis schliessen.

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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 27. August 2021
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.