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Kategorie: Lust und Leben
KN Heike 2095Die Ausbildung der Altenpflege abgeschlossen

Hanswerner Kruse

Schlüchtern (weltexpresso) - Als das Kaufhaus Langer in Schlüchtern vor über drei Jahren seine Pforten schloss, wurde auch Heike Link arbeitslos. Dreißig Jahre lang hatte die Verkäuferin hier gerne gearbeitet und war traurig, den Job zu verlieren. Doch die fast Fünfzigjährige erkannte die Chance, in ihrem Alter etwas Neues zu wagen.

Da sie gut mit älteren Kundinnen klar kam, beschloss sie - mit Hilfe des Jobcenters - die dreijährige Ausbildung als Altenpflegerin zu absolvieren. Nach einigen Praktika begann sie in Fulda im Berufsbildungszentrum „Medi Campus“ und arbeitete parallel im Steinauer Pflegeheim „Doreafamilie“ (wir berichteten). „Natürlich hätte ich sofort als Helferin anfangen können“, erinnert sie sich, „aber ich wollte wissen und lernen, was ich da mache. Im Praktikum habe ich dann gemerkt, dass  die ausgebildeten Fachkräfte das Bindeglied zwischen den Medizinern, der Reha und den Angehörigen sind. Das wusste ich vorher gar nicht.“

Vor kurzem erhielt Link ihr Zertifikat als staatlich anerkannte Altenpflegerin mit guten bis sehr guten Noten. Beim ersten Treffen danach wirkt sie müde und erschöpft, denn zwischen den Prüfungen und der - nun eigenverantwortlichen - Arbeit, gab es lediglich eine kurze Pause. „Bisher war ich ja ‚nur‘ eine lernende Schülerin, nun muss ich als Fachkraft selber Entscheidungen treffen. Schlagartig war alles anders - aber da wachse ich ’rein“, meint sie optimistisch.

Die Theorie der Altenpflege fand sie im Bildungszentrum immer interessant und hatte viel Freude am Lernen sowie mit der Verknüpfung des Gelernten mit ihrer Praxis. „Doch in den Prüfungswochen bekam ich echtes Lampenfieber“, bekennt die frisch gekürte Altenpflegerin. Nach den anstrengenden Examina braucht sie jetzt eine gute Work-Life-Balance: „Darum habe ich nur eine 3/4-Stelle angenommen, dann kann ich wieder wertvolle Zeit für meine Familie aufbringen.“ Die hatte sie liebevoll während der Ausbildung unterstützt, der große Sohn kümmerte sich um ihre kleine Tochter, die größere Tochter lernte für alle kochen und backen.

Vom Steinauer  Heim bis nach Reinhards fährt sie eine halbe Stunde, das reicht oft, um inneren Abstand zur Arbeit zu bekommen. Zuhause knuddelt sie erst mal die kleinen Katzen im Flur oder geht mit dem Hund zu den Schafen. „Wir haben noch die Landwirtschaft, die mein Mann von seinem Vater übernommen hat“, erzählt sie, „die Beschäftigung in der frischen Luft ist gut zum Abschalten. Es gibt 60 Mutterschafe, Pferde zum Reiten und viele, viele Hühner.“

„Die Pflege ist kein Zuckerschlecken, doch die Ausbildung bereue ich nicht. Ich bin dem sozialen System in Deutschland und den Steuerzahlern dankbar, dass ich in meinem Alter noch mal durchstarten durfte.“ Als sie sich damals in Steinau vorstellte, hörte sie fröhliches Lachen aus dem Raum der Pflegedienstleitung: „Da war mir klar, hier bin ich richtig!“ Gelacht wird immer noch, auch wenn durch Corona und zu wenig Pflegekräfte die Situation recht schwierig ist.

„Die Altenpflege ist immer noch eine Herzensangelegenheit für mich, weil ich gut mit Menschen umgehen kann und will. Aber man muss auch Unangenehmes aushalten können: schlechte Gerüche, offene Wunden, Ausscheidungen.“ Sie will bei „Doreafamilie“ bleiben und hat Lust viel Neues zu lernen: „Das Interesse etwas besser zu machen geht mir nicht verloren.“

Sie engagiert sich in einem regionalen Gesprächskreis und diskutiert dort, wie man die Altenpflege verbessern und verbreitern kann: „Mir kam die Idee, Familien könnten doch einen älteren, nicht bettlägerigen Menschen aufnehmen. So wie es ja auch Pflegefamilien für Kinder gibt.“ Außerdem möchte sie den Nachwuchs in der Pflege mit ihren Erfahrungen unterstützen.

KN Heike 2141
Fotos:
Heike Link (c) Hanswerner Kruse

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