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Kategorie: Lust und Leben
Eine persönliche Erfahrung in Pandemie-Zeiten

Klaus Jürgen Schmidt

Norddeutschland (Weltexpresso) – Abends hatten es etwa 20 Menschen geschafft bis in die Bremer Stadtbibliothek, die mich zu einer Lesung aus meinem neuen Buch „Wie ich lernte, die Welt im Radio zu erklären“ eingeladen hatte. Immerhin 20! Die meisten: Freunde, Verwandte, alte Bekannte, eben jene, die sich trotz Pandemie-Einschränkungen zu dieser öffentlichen Veranstaltung trauen mochten. Wir haben es zusammen gut zwei Stunden ausgehalten. Am nächsten Morgen eine Email von einem Freund, den ich vermisst hatte. ...


Er schrieb:
"Lieber Klaus-Jürgen, es ist 18:35 uhr und ich sitze jetzt zu Hause am PC, statt im Wallsaal bei Deiner Lesung. Es tut mir leid (auch um mich, weil ich gerne Dich zu sehen und zu hören den Wunsch hatte), aber einem Menschen wie mir stadtbibliothekarisch zuzumuten, mich an die 3 Gs zu halten - sprich 'geimpft' zu sein oder mich einem 'Test' zu unterziehen oder erst mal infiziert und dann genesen zu sein -, das ist dann doch zu viel des Guten bzw. der Zumutung. Als 68er Antiautoritärer und späterer Uni-"Kaderschmied" (im tiefsten Grunde meines roten Herzens leicht anarchistisch und immer noch die Miniausgabe eines Rebellen) mache ich diesen Unfug nicht mit. Sterben müssen wir alle, und das Schutzgeschwafel von Merkel und Spahn und Söder macht mich mehr krank als jedes Virus. So, mehr notiere ich nicht zur Lage der Nation und meiner erzürnten Einstellung dazu. Ich kenne die Deinige nicht, hoffe aber, dass Du nicht zum Hygiene-Klerus gehörst, der sich vorerst mit drei Geboten (3-G) begnügt, um weitere sieben nachzuschieben, wenn die drei nicht genügen.
Vielleicht kommen bessere Zeiten, in denen öffentliche Lesungen besucht werden können, ohne sich als gehorsamer Untertan ausweisen zu müssen. Dann komme ich bestimmt, wenn mich dann nicht das Virus dahingerafft hat. Ist alles so absurd und Godot-mäßig.
Mit herzlichem Gruß und Dich (abstandslos!) umarmend ..." – der Freund, dessen Name hier unerwähnt bleiben soll.

Noch am selben Tag antwortete ich:

"Lieber Freund, wir sind heil zurück in unserem Landhäuschen, das Du ja kennst. Ich betone 'heil', weil wir gestern zuvor am Hillmannplatz die Evakuierung des Hotels samt Köchen erleben mussten mit Anfahrt von Feuerwehren und Polizei. Es war die Folge einer Staubexplosion bei Bauarbeiten im Keller. Danach aber am Anfang der Stresemann-Straße Riesenstau und heranrasende Ordnungshüter: An der Kreuzung ein über Kopf liegender Notarztwagen, davor der zerstörte PKW, mit dem er zusammengeprallt war. ... Heute gelernt: 4 Leichtverletzte ... Puh!
Zu Deiner 'Entschuldigung': Ungefähr 20 Hörer meiner Lesung, meine Frau und ich litten nicht unter obrigkeitlicher Freiheitseinschränkung. Ich kann da nur für mich sprechen: Ich schätze das Privileg, mich vor den Folgen einer weltweiten Pandemie u.a. durch rechtzeitige Impfungen schützen zu dürfen.
Ich habe mir die Argumente in deinem Video angehört, ich habe die Rezension Deines Buches zum Thema mit ausführlichen Zitaten gelesen. Auch ich sehe das Ende der gegenwärtigen Weltordnung voraus, aber anders als Du und Deine Kolleginnen und Kollegen nicht bloß als Folge von Manipulation durch Konzerne und Nutznießer von Digitalisierung etc. Ach je, die Maske als Symbol von Unterwerfung ... Die es wollen, mögen sich damit noch eine Weile schützen können. Die fortschrittlich denken und immer gedacht haben, wie Du, mag ich nicht mehr jammern hören über das böse System von Profiteuren und deren politischen Handlangern.
'Links' muss nach meiner Auffassung heute heißen, endlich machbare gesellschaftliche Modelle für ganz unterschiedliche Kulturen zu entwickeln, die sich nicht mehr gegenseitig ausbeuten und schon gar nicht mehr die Ressourcen der längst ausgebeuteten Erde. Die verhandelt nicht mehr! Sei gegrüßt vom Klaus"

Der Freund hatte nicht bloß an der "Roten Kaderschmiede" in Bremen gelehrt, sondern auch vor langer Zeit am Fremdsprachen-Institut Nr. 1 in Peking.
In den Siebziger Jahren hatte dort auch eine Lehrerin aus Hamburg gearbeitet. In einer frühen Phase meiner journalistischen Laufbahn hatte ich sie als einen Menschen wahrgenommen, der einsam und konsequent lernte und — ihrer überprüften Wahrnehmung folgend — einem fremden Volk diente, ihm half, sich der Welt zu öffnen. Durch ihre knapp zehnjährige Arbeit in der deutschsprachigen Abteilung des Pekinger Fremdsprachen-Instituts ist — bis heute unerkannt — eine Basis gelegt worden für die florierende deutsch-chinesische Zusammenarbeit in Handel, Wissenschaft und Kultur. Lisa Niebank war im Übersetzerkollektiv dieses Instituts verantwortlich für die deutschsprachige Version der "Ausgewählten Werke Mao Tse-tungs".
In ihrer Sprache aus dessen "Vier Philosophischen Monographien" folgendes Zitat:
"Kein Mensch kann ein Ding erkennen, wenn er nicht mit ihm in Berührung kommt ... wenn sein eigenes Leben nicht in dem Milieu dieses Dinges verläuft."

Mein Freund, der sich nicht einer "stadtbibliothekarischen Zumutung" stellen mochte, hatte mir mit seiner Mail Links zu dem notiert, was nun sein Milieu ist: "Wissenschaft steht auf" - eine Kampagne von zahlreichen Experten aus Wissenschaft und Praxis, die seit Mitte Juli 2020 untersuchen, warum die Bundes- und Landesregierungen im Rahmen des Coronavirus-Geschehens – wie es heißt – beispiellose Beschränkungen verhängt haben und welche Folgen diese für die Menschen hatten und haben.
Ein paar Klicks weiter landete ich dann auf einer Website sogenannter "Querdenker", die offenbar in den Mitmachern von "Wissenschaft steht auf" Mitdenker erkannt und deshalb zu deren Website einen Link hergestellt haben.

Was las ich vor einiger Zeit in der "taz"?
Karl-Martin Hentschel ist Mathematiker, war neun Jahre lang bis 2009 Fraktionschef der Grünen in Schleswig Holstein und ist Mitglied von "Attac", einer globalisierungskritischen Nichtregierungsorganisation. Das Zitat:
"Linke Parteien werden schon lange von Akademikern und Akademikerinnen beherrscht. Rechtspopulistische Parteien profitieren davon."

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©KJS-Archiv

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