... zum Fragen, zum Helfen, zum Streiten ...

Klaus Jürgen Schmidt

Norddeutschland (Weltexpresso) – Wann hat Sie zuletzt mal wieder jemand um Rat gefragt? Nach dem Weg zu einem bestimmten Ort? Nach dem Titel von einem Buch? Nach dem Ergebnis eines Fußballspiels? Nach dem Namen von einer Schauspielerin, die gerade im Fernsehen agiert? Brauchen Sie selber nicht mehr einen anderen Menschen zu fragen? Ich immer noch! Weil, ich habe nur ein Handy zum Telefonieren und kein Smartphone. Und das macht mir langsam Sorgen.


Dass ich meine Texte in einen Computer schreibe, der mit dem Internet verbunden ist, über das ich auch Bilder und Töne verschicken und empfangen kann, praktizierte ich schon zu einer Zeit, da war das Internet auf dem Kontinent, auf dem ich seinerzeit lebte, noch weitgehend unbekannt. Ich rede von den frühen Neunziger Jahren und von der Einführung digitalisierter Tontechnik bei „Radio Bridge Overseas“, meiner kleinen Medienorganisation in Harare, Zimbabwe.

Als dort im Dezember 1998 der „Ökumenische Rat der Kirchen“ seine 8. Vollversammlung mit Vertretern aus aller Welt abhielt, hatte die Deutsche Welle vergessen, rechtzeitig Telefon-Leitungen für ihre Reporterin zu bestellen. Um ihre Berichte nach Köln loszuwerden, musste sie fragen, Kolleginnen und Kollegen, die aber auch keine Leitung nach Köln frei hatten. Schließlich landete sie bei der Deutschen Botschaft, und die wusste, dass es da einen Deutschen gab, der zusammen mit afrikanischen Kolleginnen und Kollegen irgendwas macht, das Radio-Programme über das Internet schickt.

Im Garagen-Studio von „Radio Bridge Overseas“ kam endlich eine Tonverbindung mit der Deutschen Welle zustande. Deren Technischer Direktor wurde dann aus Afrika eingewiesen, wie aus dem Internet ein Programm heruntergeladen werden könnte, das es der Reporterin erlauben würde, ihre Berichte samt Original-Tönen aus Harare nach Köln zu schicken.

Schön und gut: „Radio Bridge Overseas“ erhielt als einzige Medien-Organisation aus Afrika eine Einladung zur EXPO 2000, zur Weltausstellung in Hannover. Aber wenn ich in Harare Zeit fand, nachmittags mit dem Hund spazieren zu gehen, bemerkte ich die ersten unfreundlichen Auswirkungen dieser neuen Kommunikationsmöglichkeit. In der städtischen Gesellschaft Zimbabwes waren die ersten Versionen des Smartphones angekommen. Anfangs waren es nur wenige, die sich dieses neue Spielzeug leisten konnten. Dann aber war es ein schwarzer Unternehmer, der als Erster das Profit-Potential erkannte und sich den Zugriff auf die langsam wachsenden technischen Netzwerke sicherte.

Unfreundlich war aber nicht nur die Tatsache, dass ein schwarzer Unternehmer sehr rasch von weißen Vorbildern gelernt hatte, als unfreundlich empfand ich vor allem die persönlichen Auswirkungen, die ich bei meinen Spaziergängen zu spüren bekam.

Diese hatte ich – wenn möglich – immer so einzurichten versucht, dass ich mit von der Arbeit heimkehrenden Frauen und Männern ins Gespräch kommen konnte. Ein Weißer mit einem verspielten Hund an der Leine war gern akzeptierter Partner für einen Plausch auf dem jeweiligen Heimweg.

Jetzt aber traf ich immer öfter Frauen und Männer mit einem Smartphone am Ohr. Gelegentlich konnte ich schon nicht mehr unterscheiden, ob mich da gerade einer überholte, der bloß irgendwas vor sich hinbrabbelte, oder ob es eine Smartphone-Kommunikation war, denn inzwischen gab es die Kabelhörer mit Knopfmikrofon, die mich nun auch in Deutschland auf Straßen, in Cafés, in Parks, in der Eisenbahn verzweifeln lassen.

Ich hatte mir ja schon abgewöhnt, bei Autofahrten vorher aus einem Atlas die Zwischenstationen für meine Route bis zum Ziel aufzuschreiben. Eine Navi-Stimme führte mich in der Regel problemlos hin.

Obwohl: mein Navi-Programm scheint mittlerweile veraltet. Immer öfter sagt mir die Stimme, ich führe durch „unbekanntes Gebiet“.

Und immer öfter stelle ich fest, das ich bei Debatten gar nicht mehr gefragt werde. Fremde, Freunde, Verwandte, sogar Kinder legen das Ding gar nicht mehr aus der Hand, das Smartphone ist zum Navigator durch ihre Welt geworden, in der weggedrückt werden kann, was nicht in ein Weltbild passt, das „unbekannte Gebiete“ nicht mehr zu kennen scheint.

Und weshalb mache ich mir langsam Sorgen? Weil ich merke, selber im Internet immer öfter jene Auskunftsdienste zu Rate zu ziehen, die dabei möglichst viel von meinem Profil abgreifen, um Stück für Stück davon an jene Konzerne zu verkaufen, deren Algorithmen ausrechnen, was ich schön und nützlich zu finden habe.

Es ist keine Frage mehr, dass ich noch erleben muss, ohne Smartphone gar nicht mehr an öffentlichem Leben teilhaben zu können.

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