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Kategorie: Lust und Leben
deutschlandfunk judenDAS JÜDISCHE LOGBUCH Mitte Februar 

Yves Kugelmann

Paris (Weltexpresso) -  Januar 2023. Alles wird gut! In der Auslage von L’Écume des pages liegt ein Essay von Jacques Derrida und erinnert an den Satz des französischen Philosphen: «Die Verantwortung beginnt genau dann, wenn man keine Gewissheit mehr hat.» Ist dieser Zustand schon eingetreten?

Vor den Augen der jüdischen Weltgemeinschaft dekonstruiert sich das liberale demokratische Israel. Ein Prozess, der seit Jahrzehnten daherschleicht, wird derzeit in Realtime umgesetzt. Zwar steigt die Sorge innerhalb der jüdischen Gemeinschaft und Ungemach, doch mehrheitlich heisst es immer noch: Wird alles nicht so schlimm, abwarten, Netanyahu ist ein Demokrat – und so fort. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit stellt Israels Regierung Freiheitsrechte, Grundrechte, Pressefreiheit, Minderheitenschutz zur Disposition, rechtstaatliche Demokratie inklusive.

Die Empörung innerhalb der jüdischen Gemeinschaft begrenzt sich auf jene, die schon vor der Wahl der Regierung empört waren. Alles wird gut! Wer in diesen Tagen Webseiten der jüdischen Verbände, Gemeindeverbänden oder zivilgesellschaftlicher Organisationen durchstöbert, findet viel zu Antisemitismus, zur Bedrohung jüdischen Lebens, Forderungen nach allem möglichen – und dann doch kaum etwas zur Situation in Israel und somit der Juden. Das grosse Schweigen der letzten Jahre wird in diesen Tagen eines der Mitschuld.

In Max Frischs «Biedermann und die Brandstifter» heisst es: «Die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise die glaubt niemand.» Jene Faschisten, Rassisten und Antisemiten in Israels Regierung haben ihre Wahrheit offen verkündet und rennen mit brennenden Fackeln durchs Gehölz. Alles wird gut!


Foto:
Juden in Paris
©Deutsschlandfunkkultur

Info: 
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 16. Februar 2023
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.