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Kategorie: Lust und Leben
berliner woche
DAS JÜDISCHE LOGBUCH, Anfang März

Yves Kugelmann
 

Basel, (Weltexpresso) -  Die Laterne der Märtplatz-Clique leuchtet in die kalte Fasnachtsmittwochsnacht und lädt ins Welttheater, «syt eh und jeh ai Varieté». «Hesch gnueg Laid uff Ärde gseh / Denn kumm ze uns ins Variété.» Im Schaufenster der Libelle daneben leuchtet «Die letzten Tage der Mensch», eine schöne Ausgabe von Karl Krauss, und wird zum Programm der Krisenzeiten im Schatten des europäischen Kriegs.



Ein wunderbares Laternen-Jahr ohnehin in Basel. «Sturm auf die Demokratie» der Breo mit toter Friedenstaube über der Waage der Justiz oder dann poetische Prachtswerke wie jene von «Barabara Club» oder «Sans Gêne» zeigen die befreiende Kraft des offen Suberversiven. Das, was Freiheit ausmacht, und das Gegenteil von Autokratie, Diktatur und totalitärem System ausmacht. Der Humor ist ihnen feind. «Ich habe eine Tragödie geschrieben, deren untergehender Held die Menschheit ist. Weil dieses Drama keinen anderen Helden hat als die Menschheit, so hat es auch keinen Hörer.

Woran aber geht mein tragischer Held zugrunde? War die Ordnung der Welt stärker als seine Persönlichkeit? Nein, die Ordnung der Natur war stärker als die Ordnung der Welt. Er zerbricht an der Lüge. Er vergeht an einem Zustand, der als Rausch und Zwang zugleich auf ihn gewirkt hat» schreibt Kraus im 1915 bis 1922 entstandenen satirischen Werk. Die Tragödie in fünf Akten ist eine bitterböse Realsatire, die an Relevanz nichts eingebüsst hat. Man wünschte sich die Collage mit den Elementen der Gegenwart nochmals zusammengeführt.

Derweil am Basler Rümelinsplatz die Literatur- mit der Gegenwartsgeschichte kulminiert. Neben Krauss die Briefe von Elias Canetti und Werner Helwigs Triologie «Reise ohne Heimkehr». Mit ihrem Riesenzug, krachend, zieht die BMG vorbei und macht klar, um was es geht und was auf dem Spiel steht: «Lieber schwyyge, alles schlugge / Statt uffstoh – lieber katzebuggle …». Am Vorabend von Purim wird klar, Fasnacht ist nicht keine Austreibung des Winters, sondern des Faschismus. Das Buch Esther ist das Manifest der Diaspora im Widerstand gegen den drohenden Genozid des Perserreichs. Es ist das jüdische Buch der Gegenwart.

Foto:
Die letzten Tage der Menschehit
©Berliner Woche

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 3. März 2023
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.