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Kategorie: Lust und Leben

Deutsche Nahost-Experten über den Gaza-Krieg, Teil 1/2 ·

 

Matthias Küntzel

 

Hamburg Weltexpresso) - Selten wurde das Debakel der deutschen Nahostforschung so kompakt illustriert wie im „Offenen Brief von deutschen Nahost-Experten zur Gaza-Krise“, der seit einigen Tagen kursiert.[1]

 

Zwar fehlen einige wichtige Namen, doch gehört zu den 94 Erstunterzeichnern die Führungsspitze des Berliner „Zentrum Moderner Orient“ (ZMO), das hauptsächlich aus Mitteln des Berliner Senats und der Bundesregierung finanziert wird, um uns den Nahen Osten zu erklären.

 

Zu den weiteren Unterzeichnern gehören Leiter von Universitätsabteilungen und Hilfsorganisationen, Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, seriöse Forscher wie Stefan Wild und Helmut Mejcher und hoffnungslose Fälle à la Michael Lüders und Ludwig Watzal.[2]

 

Angeführt wird die Liste wohl nicht zufällig von Helga Baumgarten, einer Professorin aus dem Westjordanland, die 2006 eine apologetische Schrift über die Hamas veröffentlichte und darin die Hamas-Charta von 1988 dokumentiert. Damals erklärte sie die Charta für „weitgehend überholt“ und berief sich auf „führende Hamas-Mitglieder“, die ihr „in langen Gesprächen“ erklärt hätten, dass die Neuformulierung der Charta längst in Arbeit sei.

 

Doch das war heiße Luft. Das antisemitische Machwerk blieb unverändert. Bis heute beruft sich die Hamas auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ wie auch auf den Befehl des Propheten: „Die Muslime werden sie [die Juden] töten“. Die Charta verspricht, „Allahs Banner auf jeden Zoll Palästinas zu hissen“, Israel also auszulöschen.[3]

 

Frau Baumgarten und ihrer Mitunterzeichner haben sich jedoch nicht an die Bundesregierung gewandt, um sie über die Hamas-Ideologie aufzuklären, wie es sich für Nahost-Experten eigentlich gehört. Sie wollen stattdessen erreichen, dass Berlin sich der Hamas annähert und sich von Israel entfernt.

 

Der „Offene Brief“ fordert auf der einen Seite, dass „der Dialog mit den politischen Vertretern der Hamas … nicht länger verweigert werden (sollte)“. Er verlangt andererseits, „die militärische Zusammenarbeit mit Israel auf den Prüfstand zu stellen“, „die restriktiven deutschen Rüstungsexportbestimmungen“ auch auf Israel anzuwenden sowie eine finanzielle „Kompensation von Israel“ für zerstörte Infrastrukturprojekte im Gazastreifen zu fordern.

 

 

Menschenrechte in Gaza

 

Ich fand zunächst bemerkenswert, was die Gruppe der 94 über sich selber schreibt. Sie bezeichnen sich als Menschen, die sich „mit der Entwicklung in den besetzten palästinensischen Gebieten“ beschäftigen, Punkt. Keiner scheint sich auch mit Israel zu beschäftigen.

 

Diese Abgrenzung entspricht der Arbeitsweise des „Zentrums Moderner Orient“. Es klammert Israel bei seinen Forschungsarbeiten über den „modernen Orient“ aus. Warum aber sollten sich Menschen, die Israel ausklammern, „Nahost-Experten“ nennen?

 

Eher scheint die Bezeichnung „Palästina-Experten“ angebracht. Immerhin brüsten sich die Erstunterzeichner nicht nur damit, dass sie „Demokratie(arbeit), Friedens(arbeit) und Menschenrechtsarbeit vor Ort in den besetzten palästinensischen Gebieten“ leisten. Sondern sie weisen ausdrücklich darauf hin, dass sie „Partner/innen, Kollegen/innen und Freund/innen im Gazastreifen“ haben. Donnerwetter, dachte ich mir, Hut ab! Immerhin werden die Menschenrechte besonders in Gaza permanent verletzt. Einige Beispiele aus dem letzten halben Jahr:

 

Seit Ende 2013 werden Mädchen und Jungen ab 9 Jahren in Gaza-Schulen nur noch getrennt unterrichtet. Bewaffnete Tugendwächter führen seither verschärfte Kleiderkontrollen durch und unterbinden Kontakte zwischen Jungen und Mädchen. Zur gleichen Zeit setzte die Hamas eigene Schulbücher ein – Lehrmaterial, in dem Israel oder das Oslo-Abkommen nicht vorkommen.[4]

 

Im Januar 2014 wurden der Palestinian Independent Commission for Human Rights 55 Beschwerden über Folter und Misshandlungen in palästinensischen Gefängnissen übermittelt; 36 aus dem Gaza-Streifen und 19 aus dem Westjordanland. Zusätzlich gab es 85 Beschwerden über Willkürverhaftungen durch palästinensische Bewaffnete.[5]

 

Im Februar 2014 untersagte die Hamas, dass die von den Vereinigten Nationen geleiteten Gaza-Schulen Unterricht über Menschenrechte erteilen. Dieses Thema widerspräche „auf gefährliche Weise der palästinensischen und islamischen Kultur.“ Die UN-Behörde protestierte, lenkte aber schließlich ein.[6]

 

Ende März 2014 verschärfte die Hamas ihr Scharia-Strafrecht. Es sieht in seiner neuen Version bei kleineren Vergehen mindestens 20 Peitschenhiebe und bei größeren mindestens 80 Peitschenhiebe vor, weitet die mögliche Anwendung der Todesstrafe aus und ahndet Diebstähle mit Handabhacken. Die PFLP (Popular Front for Liberation of Palestine) verurteilte das neue Strafrecht scharf.[7]

 

Im Mai 2014 ließ die Hamas einen 33-jährigen durch ein Erschießungskommando und einen 40-jährigen am Galgen töten, da sie angeblich mit Israel kooperiert hätten. Damit stieg die Zahl der ohne gesetzliche Grundlage durchgeführten Hinrichtungen seit 2007 auf 23.[8]

Im Juli 2014 stellte die Hamas 250 Fatah-Mitglieder nach Kriegsbeginn unter Hausarrest. Jedem, der diese Anordnung verletzte, wurden die Knie mit Gewehrschüssen zertrümmert. 125 Fatah-Mitglieder machte die Hamas zu Krüppeln. Protesterklärungen der Fatah blieben wirkungslos.[9]

 

Im August 2014 warfen Hamas-Militante den Leichnam des von Kugeln durchsiebten ehemaligen Pressesprechers ihrer Organisation, Ayman Taha, vor das Shifa Krankenhaus. Hier ließ man ihn eine Weile liegen. Der Sohn des prominenten ehemaligen Direktors der Gaza-Universität war im gesamten Gaza-Streifen bekannt. Es war das erste Mal, dass ein Mitglied der Führungsriege der Hamas verhaftet und hingerichtet worden ist. Der Vorwurf: Er habe für Ägypten spioniert.[10] Kurz darauf fand eine Protestdemonstration gegen die Hamas statt, „bei der palästinensische Sicherheitskräfte mehr als ein Dutzend Teilnehmer erschossen“, so ein Bericht der FAZ. Ein Fernsehteam wurde daran gehindert, diese Demonstration zu filmen.[11]

 

Diese unvollständige Liste zeigt, dass der Terror der Islamisten gegen die eigene Bevölkerung eskaliert. Hat in den letzten Monaten einer der 94 „Palästina-Experten“ und „Menschenrechtsarbeiter vor Ort“ dafür gesorgt, dass einer dieser Menschenrechtsverstöße untersucht, bekannt gemacht, skandalisiert wurde?

 

Ich jedenfalls habe hiervon nichts bemerkt, bin aber für Hinweise dankbar. Im Moment drängt sich der Eindruck auf, dass Verstöße gegen Menschenrechte nur dann Gegenstand des Interesses sind, wenn jüdische Israelis sie begehen, während Verbrechen palästinensischer Regierungsstellen weitgehend unbeachtet bleiben. Sollte man anstatt von „Palästina-Experten“ vielleicht besser von „Anti-Israel-Experten“ reden? Fortsetzung folgt.

 

 

ANMERKUNGEN

 

[1] https://sites.google.com/site/nahostexpertengaza/.

[2] Mit Lüders beschäftigte ich mich hier: http://www.matthiaskuentzel.de/contents/michael-lueders-und-die-reichen-new-yorker-juden , mit Watzal hier: http://www.matthiaskuentzel.de/contents/tag-watzal-darf-ich-sie-antisemit-nennen .

[3] Helga Baumgarten, Hamas, Kreuzlingen 2006, S. 188 und 206. Frau Baumgarten schreibt: „Während wir die abschließende wissenschaftliche Antwort auf die Frage, welche Relevanz die Charta in der aktuellen Politik in Palästina im ersten Jahr der Intifada hatte, noch nicht haben, können wir doch sagen, dass diese äußerst gering war.“ Ebd., S. 199. Der amerikanische Historiker Jeffrey Herf sieht in Charta ein „faschistisches“ Dokument: Siehe auf http://www.the-american-interest.com/articles/2014/08/01/why-they-fight-hamas-too-little-known-fascist-charter/ .

[4] Fares Akram, Jodi Rudoren, To Shape Young Palestinians, Hamas Creates Its Own Textbooks, in: New York Times, 3. November 2013.

[5] Khaled Abu Toameh, Palestinian Authority Human Rights Violations Ignored by Media, West, auf: www.gatestoneinstitute.org, 11. Februar 2014.

[6] Khaled Abu Toameh, Hamas: Teaching Human Rights is Against Palestinian, Islamic Culture, auf: www.gatestoneinstitute.org , 27. Februar 2014.

[7] Steven Emerson, Hamas Imposes Radical New Law: Lashings, Amputations, and Massive Executions, in: the algemeiner, 30. März 2014.

[8] Fares Akram, Judi Rudoren, Hamas Executes 2 Men Accused of Aiding Israel, in: New York Times, 7. Mai 2014.

[9] Elhanan Miller, Hundreds of Fatah members under Hamas house arrest in Gaza, in: Times of Israel, 17. August 2014.

[10] Khaled Abu Toameh, Hamas Executes One of Its Leaders – Then Blames Israel, auf: www.gatestoneinstitute.org , 8. August 2014.

[11] Hans-Christian Rössler, Die Raketenwerfer soll man nicht sehen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. August 2014.