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Kategorie: Lust und Leben

Oder: Alles schon mal da gewesen

 

Kurt Nelhiebel

 

Bremen (Weltexpresso) - Was sich auf Pegida-Veranstaltungen abspielt, erinnert an die ersten Jahre der Weimarer Republik. Damals hat sich Kurt Tucholsky die Finger wund geschrieben in der Hoffnung, die Justiz zu einer härteren Gangart gegen die Rechten bewegen zu können. Als die uniformierten Mörder von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg kein Hehl aus ihrem Hass gegen die Demokratie machten, schrieb er: „Der Militarismus ist nicht tot. Er ist nur verhindert.“

 

Das war 1919. Inzwischen ist die Welt dabei, zu vergessen, was der deutsche Militarismus angerichtet hat. Aber bleiben wir bei der Sache.

 

Als kürzlich der Pegida-Vorsitzende Lutz Bachmann Bundesjustizminister Heiko Maas mit dem Nazipropagandaminister Joseph Goebbels verglich, hielten manche die Zeit für gekommen, dem Hetzer das freche Mundwerk zu stopfen. Aber so einfach ist das nicht. Was manche für Volksverhetzung halten, war in diesem Fall nur eine Beleidigung. Weil der sozialdemokratische Minister dem Pöbler kein Forum bieten wollte, verzichtete er auf eine Anzeige, zumal da die Justiz ohnedies gegenüber rechten Schreiern Milde walten lässt. Das hat eine lange Tradition.

 

Wenn Heribert Prantl, ein Jurist von hohen Graden, in der Süddeutschen Zeitung vom 4. November schreibt, es sei rechtlich entschieden, dass Rufe wie „Ausländer raus“ in Verbindung mit „Sieg Heil“ den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen, dann ist das nicht ganz richtig. Der Bundesgerichtshof hat dazu in letzter Instanz eine haarspalterische Entscheidung gefällt. (AZ 3 StR – 36/84). Anlaß war ein Urteil des Landgerichts Würzburg, das einen 30 Jahre alten Mann wegen Volksverhetzung mit 26 Monaten Haft bestraft hatte. Der Mann hatte Parolen wie „Ausländer Raus“ und „Türken raus“ an die Wände gesprüht und daneben das Hakenkreuz angebracht. Deswegen kam das Gericht zu dem Schluss, dass der Angeklagte eine gewaltsame Vertreibung der in der Bundesrepublik lebenden Gastarbeiter und deutschen Juden gemeint habe.

 

Der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf und erklärte zur Begründung, dass zwar vor dem geschichtlichen Hintergrund der nationalsozialistischen Judenverfolgung diese Auslegung bei der Parole „Juden Raus“ auf der Hand liege. Sie sei aber nicht ohne weiteres auf die anderen Äußerungen übertragbar. Wohl seien sie ihrem Wortsinn nach als an Ausländer gerichtete Aufforderung zu verstehen, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Bei ihnen fehlten aber allgemein bekannte gerichtliche Erfahrungen, die sie darüber hinaus ohne weiteres als – im Sinne des § 130 Nr. StGB strafbare – Aufforderungen zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen erscheinen ließen.

 

Nachdem zahlreiche Mordanschläge auf Türken die vom BGH vermissten allgemein bekannten gerichtlichen Erfahrungen sozusagen nachgeliefert hatten, erkundigte ich mich beim Bundesgerichtshof, ob er sich jetzt nicht korrigieren wolle. Der Präsident ließ mich wissen, dass es dem Bundesgericht allein schon aus organisatorischen Gründen nicht zumutbar sei, „zur Entwicklung seiner Rechtsprechung in Einzelfragen sozusagen gutachterlich Stellung zu nehmen“. Es dauerte etwa zehn Jahre, ehe der BGH die Zügel etwas anzog, (1 AtR 583/94), aber an seiner Milde gegenüber dem Missbrauch der Meinungsfreiheiten änderte sich grundsätzlich nichts. Rückendeckung bekam er vom Bundesverfassungsgericht, das in einem besonders gravierenden Fall das Recht der NPD auf freie Meinungsäußerung höher bewertete, als den Schutz von Opfern des Rassenwahns vor Verunglimpfungen durch rechtsradikale Hetzer.

 

Nachdem eine Reihe von Gerichten 2004 eine Protestveranstaltung der NPD gegen den Bau einer Synagoge in Bochum verboten hatten, machte das Bundesverfassungsgericht in einem Eilrechtsverfahren die Bahn für die geplante Kundgebung schließlich frei. Zur Begründung erklärte es: „Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist ein Recht auch zum Schutz von Minderheiten; seine Ausübung darf nicht allgemein und ohne eine tatbestandliche Eingrenzung, die mit dem Schutzzweck des Grundrechts übereinstimmt, unter den Vorbehalt gestellt werden, dass die geäußerten Meinungsinhalte herrschenden sozialen oder ethischen Auffassungen widersprechen, Beschränkungen der Meinungsfreiheit dürften nicht darauf gestützt werden, was in einer Versammlung möglicher Weise gesagt werden würde, sondern ob sich die Versammlungsteilnehmer gegenüber anderen Bürgern aggressiv und provokativ verhalten würden.“ (1BvQ 19/04).

 

Der Direktor der Berliner Stiftung Topographie des Terrors, Rabbiner Andreas Nachama, wertete die Entscheidung damals als Zeichen eines gesamtgesellschaftlichen Paradigmenwechsels. Wie recht er hatte, zeigt das immer frecher werdende Auftreten des rechten deutschen Sektors, der sich nicht mehr damit begnügt, Ausländer zur Zielscheibe seines Ressentiments zu machen, sondern immer häufiger auch die gewählten Vertreter des eigenen Volkes beschimpft - wie damals während der Weimarer Zeit, als Kurt Tucholsky mit Blick auf die Justiz dichtete: „Du gibst dich unparteilich am Strafgesetzbuchband … Du bist es nicht. Nur freilich: Juristen sind gewandt.“