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Kategorie: Messe & Märkte
neonyt 0567Nachhaltige Mode wird normal Teil II

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Zweimal im Jahr findet die Berliner Fashion Week statt, ein aufgeregtes Wirrwarr diverser Modemessen, Catwalks und Partys. Vor einem Jahrzehnt begannen hier auch einige Pioniere „Öko-Mode“, also nachhaltig gefertigte Kleidung vorzustellen. Gefördert von der Frankfurter Messe hat sich daraus mittlerweile die Neonyt mit derzeit 220 Ausstellern entwickelt.

Im Januar fand diese Messe im ehemaligen Flughafen Tempelhof statt, der den Charme seines Verfalls aufweist. Die Kreativen aus Kunst, Mode oder Theater lieben diese hinfälligen Berliner Orte mit den krassen Spuren der Benutzung. Durch die riesige ehemalige Abfertigungshalle gelangt man zum Neonyt-Hangar, in der die Ausstellenden ihre Produkte auf - meist ineinander übergehenden - Marktständen zeigen:

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Zarte Unterwäsche oder robuste Regensachen, grelle Kleider oder edle Kostüme, ausgefallene Taschen oder vegane Schuhe, spezielle Yogakleidung oder Hanfhosen. Die Bandbreite von gehobener Schneiderkunst bis zu schlichten Alltagsklamotten im Hangar ist enorm - und wirkt optisch ebenso normal wie die konventionell produzierten Textilien auf der übrigen Fashion Week. Auch auf dem Catwalks ist kein Unterschied zu sehen. Inzwischen finden sich hier international bekannte Marken wie „Calida“ oder „Jack Wolfskin“. Auch das schrille Kultlabel „Blutsgeschwister“ ist jetzt dabei: „Mittlerweile ist 80% unserer Produktion nachhaltig“, erklärt die Managerin.

Ein junger Designer meint, seine Hemden seien „normal hergestellt“ - und lacht bei der Nachfrage: „Normal?“ Mittlerweile ist es für viele Produzenten und ihre Kunden wirklich normal geworden, dass Kleidung giftfrei produziert und Zulieferer fair behandelt werden, neue umweltschonende Fasern für Textilien aus Zellulose gewonnen oder aus PET-Flaschen recycelt werden können. Und die Preise sind gesunken. Aussteller „Stitchy“ freut sich, dass auch in Fulda die zwei Läden „Catwalk“ und „Ellason“ seine Textilien aus recyceltem Polyester und Biobaumwolle anbieten.

neonyt 0602Einst waren im exquisiten Hotel Adlon Stiefelchen aus Fischleder oder raupenfreundliche Seidenfähnchen noch sündhaft teuer. Sportliche Hosen und Hemden aus Hanf oder Öko-Baumwolle im E-Werk wurden milde belächelt. Doch nun verkündet selbst die Berliner Mode-Ikone Michael Michalsky, es sei notwendig Bekleidung nachhaltig zu produzieren.

Mit dem großen Schriftzug „Hi“ grüßt ein schwarzes Kleid die Besucher am Stand, „Stop waiting for fridays“ ist auf breite Träger eines anderen Kleides gestickt. Die ironische Botschaft macht deutlich, es geht beim Kauf der Garderobe nun auch um das Klima - und nicht nur um eigene vergiftete Klamotten oder ausgebeutete Näherinnen in Bangladesch.

Das Stuttgarter Warenhaus „Die Gerber“ stellt auf der Messe ihren selbständigen Laden für nachhaltige Waren innerhalb des Hauses vor, den das Management eingerichtet hat. Die zweite Generation der „Ökos“ tüftelt gerne und geht neue Wege: „Langbrett“ erforscht  Mikroplastik und entwickelte den Wäschesack „Guppyfriend“, der die Reste filtert. Schneider demonstrieren am Stand von „Nudie Jeans“ die lebenslang garantierte Reparatur ihrer Waren. Afrikanische Künstler gestalten nachhaltig produzierte Kleider für „Rhumaa“. Einige Betriebswirtschaftler meinten, man müsse doch etwas tun und gründeten mit einer Grafikerin ihr Label „Circelstances“.

neonyt 0726Lieferketten, Gütesiegel und Vernetzung wird auf der Neonyt in zahlreichen Foren, Gesprächsrunden und Workshops thematisiert. Viele junge Blogger und Influencerinnen sind beteiligt und widerlegen, dass junge Leute nur in Billigläden kaufen. Die „Berliner Zeitung“ titelte zum Start der gesamten Fashion Week: „Die Modewelt diskutiert Umweltthemen.“ Denn auch in den übrigen Segmenten wird in Veranstaltungen darüber informiert und disputiert. Mit dem „Grünen Knopf“ gibt es nun sogar staatliche Vorgaben für nachhaltige Textilproduktion, die bereits auf der Neonyt im letzten Jahr diskutiert wurden.

Immerhin ein Anfang, der allerdings von Kritikern aufgrund der Freiwilligkeit und nicht weit genug gehenden Forderungen kritisiert wird.

Foto:
(c) Hanswerner Kruse
Oben: Aus Plastikmüll hergestellte Rucksäcke
Mitte:
Mit Malereien afrikaniascher Künstler bedruckte Kleider von „Rhumaa“
Kleiderträger mit "STOP WAITIN G FOR FRIDAYS"
Unten: Gemeinschaftsstand portugiesischer Produzenten nachhaltiger Mode