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Kategorie: Musik
Reqiem f Auschwitz m Sahiti u E Mangelsdorf 06.06.2018 optGeschrieben steht: „...blieben ‚Fremde‘“, „...durften sich nicht niederlassen“ - das „Requiem für Auschwitz“ erinnert an die Deportation der Sinti und Roma Wiesbadens

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Im Juni 2018 ist das „Requiem für Auschwitz“ zum Gedenken an die Deportation der Sinti und Roma Wiesbadens in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau „mit den Roma und Sinti Philharmonikern, Gesangssolisten, Chor und Orgel im Großen Haus des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden zu hören“.

Diese sind "ein Projektorchester unter dem Dach des Philharmonischen Vereins der Sinti und Roma Frankfurt am Main e.V". Sie musizieren als professionell ausgebildetes roma- und sintistämmiges Orchester unter der Leitung des Dirigenten Riccardo M Sahiti. Im Hauptberuf sind sie in Sinfonie- und Opernorchestern Europas engagiert.

Die Deportation der Wiesbadener Sinti und Roma fand am 8. März 1943 statt, seitdem sind 75 Jahren vergangen. Das Gedenken mit dem vom Komponisten Roger Moreno Rathgeb geschaffenen Requiem bringt - so die Ankündigung für den Abend des 19. Juni 2018 - „ein lebendiges Denkmal der Versöhnung und des gegenseitigen Respekts“ auf die Staatstheater-Bühne. Es ist ein musikalischer Beitrag zur Erinnerung an alle Opfer - ganz im Namen der Sinti und Roma. Der Komponist „hat die Emotionen und wesentlichen Fragen über Auschwitz in eine ebenbürtige Menge von Motiven umgewandelt, die sich in verschiedenen Instrumenten und Gesang ausdrücken“.

Die Ankündigung verzeichnet darüber hinaus: „Die Komposition enthält Gebete für und von den Opfern selbst. Schülerinnen und Schüler werden im Konzert beispielhaft die Namen der Wiesbadener Sinti verlesen, die am 8. März 1943 nach Auschwitz deportiert wurden“. Das Konzert hat zahlreiche Unterstützer. Es werden begleitend auch Gesprächskonzerte für Kinder und Jugendliche im Rahmen der Proben am 18. und 19. Juni angeboten.

Emil Mangelsdorf, der über den Jazz mit dem Einfluss der Sinti und Roma auf eine Befreiung vom deutschnationalen Muff auslösende Musik der Swing-Ära (mit dem Sinti-Swing) verbunden ist – Nazis brachten Hörer dieser Musik um – hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das musikalische Gedenken auf die Bühne zu bringen. Im Kontext von so unendlich vielem, das uns aus Konzertsälen zur Verfügung steht, stellt das Requiem für Auschwitz eine Ausnahme dar, die nicht versäumt werden sollte.

Das Gedenken an die ermordeten Sinti und Roma wurde lange nicht zum Gegenstand

Wir erinnern uns: erst am 25. Oktober 2012 wurde das zentrale Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck in Berlin eingeweiht. Weil aber Soziopathen stets einen Anlass suchen, um Hasskübel über eine Minderheit, die immer noch Ablehnung erfährt, auszuschütten, begab es sich umgehend, dass am 29. Oktober 2012 Unbekannte im Eingangsbereich des Denkmals großformatig ein Hakenkreuz und den Schriftzug »Vergasen« anbrachten.

Darauf weist eine der Schrifttafeln der sehenswerten Mobilen Ausstellung „Der Weg der Sinti und Roma“ hin, die im Stadtmuseum Wiesbaden, 65183 Marktplatz 3 noch bis zum 22. Juni 2018 gezeigt wird. Im Vorfeld zur Aufführung des Requiems erläuterte der künstlerische Leiter des Orchesters, der Dirigent Riccardo M Sahiti wie weltläufig das Orchester zusammengesetzt ist. Es hat eine Vorgeschichte, die ihm schon auf so viele der großen Bühnen der Welt verholfen hat. Wenn es nicht auftritt, lebt es verteilt auf die ganze Welt. Nun steht am 19. Juni eine Premiere an. Wenn dann alle wieder zusammenkommen, ziehen sie vereint an einem Strang.
 
„Sie sind zwar getauft, aber...“
 
Das Gedenken erscheint um so wichtiger, als die gegen Sinti und Roma gerichteten Vorbehalte und Affekte sich auch immer wieder verstärken, wenn nicht, wie verbreitet, Gleichgültigkeit vorherrsche -, wie der musikalische Leiter beklagte.

Die Ausstellung im Stadtmuseum liefert hierzu einen Beleg, der auf ein Interview von 2010, in das sich eine Sintezza des Jahrgangs 1975 begeben hatte, zurückgeht. Nachdem sie ihre Sintizität offenbart hatte, wechselte die Lehrerin die Haltung ihr gegenüber und schaltete auf tiefsitzende Klischees und hartnäckige Vorurteile um: „...und daraufhin war die Lehrerin halt schlecht zu mir geworden...“ - dass sie dann in der Klasse über S. hergezogen hat und gesagt hat: „die Zigeuner stinken und die sind dreckig“. - „Und da wollt' ich nicht mehr in die Schule gehen, weil es hat mir so weh getan, dass ich hab´ dann gesessen und geweint“.
 
Die Ausstellung gibt einen sehr umfangreichen Überblick über den Weg der Ausgrenzung und Verfolgung der Sinti und Roma über die Jahrhunderte, seitdem sie 1407 als christliche Pilger ersterwähnt wurden. Die Abwertung dieser Menschen ist ein unfassliches Zeugnis der Niedrigkeit und Erbärmlichkeit einer hochmütigen Mehrheitsgesellschaft, die sich auf Kosten einer Minderheit schändlich abreagiert und aufspielt.

Die Ausstellung konzentriert an einer Stelle auf den Kern des Unheils, begangen an einer christlichen Minderheit, von der sich übrigens so mancher Musikprofessor unter der Hand herleitet:

„Andere Ethnie, andere Lebensform“ – „das kostete ihnen das Leben“
 
Das Anderssein kann in einer am dürftigsten Funktionalismus ausgerichteten Zivilisation mit der allergrößten Gefahr verbunden sein. Denn das ungewohnte Anderssein duldet und verkraftet der Pfahl- und Spießbürger einfach nicht.
 
Die Vorgeschichte lieferten Inquisition und Hexenverfolgung. Die Verfolgung der Sinti und Roma in der beginnenden Neuzeit war besonders ein Projekt von örtlichen Ämtern und Verwaltungen, nicht nur kirchlicher Repräsentanten und Funktionäre, obgleich Luther durch seine Hetztiraden die neuzeitliche Blaupause geliefert hat. Dem mörderischen Kalkül der Vernichtung durch die Nazis ging eine zunehmende Kriminalisierung und Ausgrenzung der Sinti und Roma schon in der Weimarer Republik voraus. 1929 wurde in Hessen das ‚Zigeunergesetz‘ erlassen.
 
Im Nachkriegsdeutschland lebte der Antiziganismus fort und das, nachdem in Europa 500 000 Sinti und Roma das Leben geraubt wurde; in Deutschland waren es 17000, in Hessen 800 und in Wiesbaden über 100. „Die nationalsozialistische Verfolgung wurde nicht als solche anerkannt, geschweige denn als Völkermord - weder von der Politik und der Justiz noch von den Kirchen und auch nicht in den Wissenschaften“ (Faltblatt der Wiesbadener Ausstellung). Als rassisch Verfolgte konnten nur gelten: „...sofern sie heute einer geregelten Berufsausübung und einen festen Wohnsitz haben“. Das weitverbreitete Nichthaben eines Wohnsitzes ist auch eines der hartnäckigen Vorurteile im zerrütteten Verhältnis zu den Sinti und Roma.

Foto:
©Heinz Markert

Info:
„Requiem für Auschwitz“, 19. Juni 2018, Hessisches Staatstheater Wiesbaden, Großes Haus, 20 Uhr, Vorverkauf: 0611-132-235.

Ausstellung „Sinti & Roma in Hessen“, ‚sam‘ – Stadtmuseum am Markt, 29. Mai bis 22. Juni 2018, Marktplatz 3, 65183 Wiesbaden (Schlossplatz), dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr.