m thielemannChristian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle brachten in Dresden ihren ersten Schumann-Zyklus

Kirsten Liese

Dresden (Weltexpresso) - Warum ist Thielemann so gut? So überschrieb einmal der österreichische Feuilletonist Wilhelm Sinkovicz ein Essay über den berühmten Dirigenten. Sein treffendes Resümee trifft beim jüngsten Schumann-Zyklus mit der Sächsischen Staatskapelle immer noch zu: die äußerste Hingabe beim Musizieren und die Pflege von Klangidealen, die weit zurückreichen zu Karajan und Furtwängler. Das hat, vor allem in jüngeren Generationen und in einer seltsam- verrückten Zeit, in der alles Deutsche einen schweren Stand hat, kein anderer zu bieten.

Thielemann-Konzerte sind mithin besondere Konzerte, stellt sich doch an ihnen noch das Gefühl von Erhabenheit ein, das den meisten jüngeren Dirigenten schon lange abhanden gekommen ist. Der Schumann-Zyklus ist der dritte der Sächsischen Staatskapelle nach Brahms und Bruckner.

Mit großem Ernst wird da musiziert, getragen von dem unverwechselbar warmen, dunklen, herrlichen Klang der Sächsischen Staatskapelle.

Wenn man die seltene Gelegenheit nutzt, alle vier Sinfonien dicht nebeneinander zu hören, wird einem bewusst, dass in den meisten teils scharf punktierten und rhythmisierten oder kontrapunktisch ausgefeilten Sätzen der Ton des Kraftvollen, Energischen, Forschen, Feurigen überwiegt. Das Melos, das zu Thielemanns besonderen Spezialitäten zählt, gewinnt eigentlich nur in der Romanze der Vierten und vor allem in dem von melancholischer Schönheit und schwermütigen Seufzen durchdrungenen Adagio espressivo der in Dresden entstandenen C-Dur-Sinfonie, der Zweiten, größeren Raum. Und das umso mehr mit einer zutiefst berührenden Empfindsamkeit. Bisweilen tief in der Kniebeuge schraubt Thielemann da mit der Linken noch minutiös an haarfeinen Stellschrauben der Dynamik.

Und natürlich werden auch die melodisch- lyrischen Seitenthemen in den Ecksätzen zur Offenbarung: Die exponierten lyrischen Melodien und Linien der ersten Violinen in der Vierten wird man, vergleichbar lieblich vorgetragen, so schnell nicht wieder hören.

Bei alledem erscheint es bewundernswert, wie Thielemann bei überwiegend recht zügigen, schnellen Tempi, ganz besonders in den Finalsätzen, trotz komplexester Strukturen eine glasklare Transparenz gewährleistet. Selbst so vermeintlich unscheinbare Nebeninstrumente wie das Triangel, das in Schumanns Erster an einigen Stellen zu Ehren kommt, lässt sich da im polyphonen Dickicht noch bestens heraushören.

Vom ausgestreckten Zeigefinger bis in kleinste Zuckungen des Ringfingers hinein reichen die plastischen Zeichen des Dirigenten. Das Anziehen und leichte Ausbremsen von Übergängen sind ein weiteres Markenzeichen von Thielemann, und wenn sich dann beim feierlichen Choral in der „Rheinischen“ aus dem Massiv strahlend wie die Sonne das Blech erhebt, versinkt man in tiefer Andacht.

Wenn man bedenkt, dass solche einzigartigen Konzerterlebnisse auch die Attraktivität der Osterfestspiele Salzburg enorm gesteigert haben, wo die Sächsische Staatskapelle seit 2013 mit ihrem Chefdirigenten residiert, erscheint es unfassbar, was dort unlängst entschieden wurde: Dass Nikolaus Bachler als neuer Intendant die Nachfolge von Peter Ruzicka antreten soll, mit dem Thielemann aus nachvollziehbaren Gründen ganz und gar nicht einverstanden ist. Denn abgesehen davon, dass man Thielemann andere Regisseure wünscht als die von Bachler präferierten, steht zu befürchten, dass es der derzeitige Intendant der Bayerischen Staatsoper darauf anlegen könnte, die Berliner Philharmoniker mit ihrem neuen Chef Kirill Petrenko nach Salzburg zurückzuholen.

Damit aber verlöre Salzburg sein Zugpferd, kein anderer Nicht-Österreicher hat derzeit eine so große Fangemeinde in Wien und Salzburg wie Thielemann. Den Entscheidungsträgern des Aufsichtsrats ist offenbar der fulminante Neustart der zuvor stark abgewirtschafteten Osterfestspiele unter Thielemann in Vergessenheit geraten. Ich erinnere mich noch, wie 2013 auf der ersten Pressekonferenz der neuen Ära großer Beifall aufbrandete, als der damalige geschäftsführende Intendant Peter Alward bemerkte, die Berliner Philharmoniker habe nach dem grandiosen Einstand der Sachsen niemand vermisst. So erfolgreich setzte sich die Ära auch fort,

Der großartige Schumann Zyklus, mit dem das Orchester in wenigen Tagen auf Asientournee geht, kommt so gesehen einem Ausrufezeichen gleich: Besinnt Euch!


Foto:
© Staatskapelle Dresden

Info:

Dresden Semperoper
und 17. Oktober 2018
Schumann-Zyklus
Sächsische Staatskapelle Dresden
Christian Thielemann

Der MDR sendete die Konzerte in Aufzeichnungen am gestrigen Freitag, 19.10., ab 20:05 Uhr im Hörfunk.