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Kategorie: Musik

Serie: Frankfurt liest ein Buch 2013, vom 15. bis 28. April: Siegfried Kracauer GINSTER (Suhrkamp), Teil 12

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Margit Neubauer trug mit dem dominanten Schrei der Constanze „Ich brauche meinen Saal...“ erst einmal alle Aufmerksamkeit auf sich und aus der Studie von Kracauer zu Offenbach dann vier Mal Passagen aus KURTISANEN, LEBEMÄNNER, JOURNALISTEN und drei aus BOULEVARD EUROPA vor, die die Gesellschaft des Zweiten Kaiserreichs (1852-1870) porträtieren, karikieren, dekouvrieren, so daß die Zuhörer sich hier amüsieren.

 

Dabei geht es in der Weltstadt Paris auch um deren Selbstbild, die dem Komponisten Offenbach mit der großen Operette auch deshalb zum Durchbruch verhilft, weil die Akteure die gleichen sind: die Dandys, die Bohemiens, die Kurtisanen, die Finanzaristokratie und das Volk, die auf der Bühne so zu Hause sind wie in den Amüsierbetrieben der öffentlichen Flanier-Boulevards und Cafés und in der privaten Bel-Etage und den Salons.

 

Diese sieben Passagen unterbrachen wohlklingend Marta Herman, Mezzosopran, aus Kanada, Sopranistin Maren Favela, in Mexiko geboren und hierzulande aufgewachsen und ausgebildet, Iuri Samoilov, Bariton, aus der Ukraine und Tenor Francisco Brito aus Argentinien, vier der sechsköpfigen Besetzung des Frankfurter Opernstudios, mit und in dem also Nachwuchsschulung stattfindet. Hermann Hesses berühmte Gedichtzeile: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne...“, gilt also auch für junge Sänger, dachten wir uns, als diese so frank und frei, so verschmitzt und lässig, so tragisch und so glücklich, so keck und beleidigt, wo es nottat, so schräg und so gutbürgerlich, wieder einmal: wo es nottat, insgesamt den Körper- und Gesichtsausdruck auf das Singen der jeweiligen Partien abstimmend ein kleines Gesangsfeuerwerk boten, bei dem man froh war, daß man dabeisein durfte.

 

Da gab es als Solo das Melodram und den Brief sowie Griserie aus LA PÉRICHOLE, aus POMME D'API das Couplet des Rabastens und die Romance des Gustave sowie das Finale im Terzett , in der gleichen Besetzung Trio italien aus MONSIEUR CHAUFLEURI und aus Hoffmanns Erzählungen – diese hat Adorno doch hoffentlich gelten lassen – die Arie des Nicklausse und die Barcarole im Duett von Maren Favela und Marta Herman. Letzteres hatte Offenbach aus seinem Mißerfolg der Oper RHEINNIXEN wie auch das Trinklied in den „Hoffmann“ hinüberrettete, also wiederverwendet. Uns schien, daß auch die rezitierende Margit Neubauer ihren Spaß und tiefe Zufriedenheit mit den Sangeskollegen hatte. Und wir hatten den Spaß an all den Aussagen zur Boheme, zu Paris und Wien, zur Kritikerkaste, zur Rheinromantik, zu Bad Ems, wegen Offenbachs Gicht angesagt, und dem gleichnamigen Sprudel, der Offenbach musikalisch besser sprudeln läßt, oder dem Glücksspiel, das nur deshalb Baden-Baden, Bad Homburg und auch Bad Ems berühmt machte, weil es in Europa nur hierzulande erlaubt war. Aha. Die Deutschen.

 

Spannend übrigens die Unterschiede der vier im Auftreten und auch das Beginnen von Manierismen. Ist es Unsicherheit oder zeugt es von der Arroganz der Rolle, wenn ein Sänger die Hände in den Hosentaschen läßt, ist so etwas souverän oder das Gegenteil? Man macht sich seine Gedanken und auch, ob es richtig ist, den einen hervorzuheben oder nicht. Die Vier waren als Solisten so hervorragend wie im Duett und Terzett und wenn wir dann doch noch einmal auf Maren Favela kommen, so deshalb, weil sie ihr Publikum schon am geschicktesten durch die Manege zieht. Aber auch die Sänger...Wir auf jeden Fall gehen aus dieser Kracauer Veranstaltung mit der Gewißheit hinaus, daß wir die nächsten Auftritte aus dem Opernstudio unbedingt verfolgen wollen. Einfach ein schöner beglückender Abend.

 

P.S. Unverzeihlich wäre es, den in Moskau geborenen Solorepetitor Juri Masurok nicht zu erwähnen, der nicht nur am Abend das Singen am Flügel begleitete, sondern mit den vier jungenKünstlern das Lieder-Und Arienprogramm erarbeitet hatte, und seit 2009 am Opernstudio der Oper Frankfurt für das Rollenstudium der Stipendiaten verantwortlich ist, weshalb er hier das Bild aus dem Hintergrund erhält.

 

Fotos: Wolfgang Becker

 

 

INFO:

 

Siegfried Kracauer, GINSTER, Suhrkamp Verlag 2013

 

Siegfried Kracauer, GINSTER, Hörbuch, 4 CDs, Hörbuch Hamburg 2013

 

Wolfgang Schopf, BIN ICH IN FRANKFURT DER FLANEUR GEBLIEBEN...SIEGFRIED KRACAUER UND SEINE HEIMATSTADT, Suhrkamp Verlag 2013

 

Wolfgang Schopf (Hrsg.), DER RISS DER WELT GEHT AUCH DURCH MICH, Theodor W.Adorno – Siegfried Kracauer Briefwechsel 1923-1966, Suhrkamp Verlag 2008

 

Siegfried Kracauer, Werke in neun Bänden, hrsg. von Inka Mülder-Bach und Ingrid Belke, ab 2004 ff, Suhrkamp Verlag

 

 

www.frankfurt-liest-ein-buch.de