wpo fischer 7243Tim Fischer in der osthessischen Provinz

Hanswerner Kruse

Schlüchtern (Weltexpresso) - „Schöne alte Lieder“ - so hieß das Konzert von Sänger und Schauspieler Tim Fischer in der Schlüchterner Stadthalle. Mit wilden Songs, angemessen begleitet vom Pianisten Thomas Dörschel, riss er das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin, berührte es aber auch mit leisen tragischen Chansons.

Erst sehr, sehr spät stimmte der Berliner Sänger eines der alten Lieder an, die vielleicht manche Besucher erwartet hatten: Er zersang, trällerte, rappte die „Capri Fischer“, den Welthit Rudi Schurikes, und ließ den gefühlsseligen Refrain, „...bella, bella Marie, vergiss' mich nie...“, vom Publikum schmettern (Foto oben). Das war jedoch die einzige nostalgische Schnulze in diesem Konzert, das mit bitterbösen Liedern aus Österreich begann: „Was hier abgeht!“ erzählte er mit Stakkato-Gesängen zu hämmernder Klavierbegleitung. Es folgte Georg Kreislers rabenschwarze Politsatire, in dem ein Furz zum Gesetz wird: „...kriecht ein Furz durch den Mund / ganz ohne Grund / stinkt sich gesund...“

Alsdann präsentierte Fischer Songs von Bertolt Brecht und Hanns Eisler, etwa „Die Legende der Dirne Evelyn Roe.“ Die zeigte er singend im Brecht’schen Sinne und trug sie keineswegs pathetisch oder schlüpfrig vor: „Sie tanzte nachts, sie tanzte tags / Da ward sie wie ein Leichnam matt / Und vom Kapitän bis zum jüngsten Boy / Hatten sie alle satt.“ Das vertonte Gedicht des romantischen Dichters Ludwig Bechstein, „Ich bin verdrießlich / weil ich verdrießlich bin / bin ich verdrießlich“, zierte er überraschend mit einem Schuhplattler.

Kurz vor und nach der Pause wurde es ruhiger und nachdenklicher, etwa mit Ilse Webers Lied, das sie im KZ Theresienstadt schrieb: „Ein Koffer spricht / ich suche meinen Herrn.“ Diese behutsamen Chansons durften auch mal weiblich berlinerisch sein: „Mit enem Oge / kiekt der Mond mir an“, sang er als Somnambule oder „Wenn ick mal tot bin / mach ick wat ick will!“ als Philosophin.

Fischer präsentierte ein außerordentliches, breites Repertoire, das achtsam zwischen den Genres oder Zeiten wechselte und trug immer wieder Freches, Absurdes und Laszives vor. In Kreislers Kreuzworträtsel-Lied etwa gab er die frustrierte Frau: „Kreuzworträtsel ausfüll'n / Oh, wie sinnig! / Aber frage ich mich / bin ich selber ausgefüllt?“

Bei den mehr als zwei Dutzend Liedern schlüpfte er ohne theatralisches Gehabe in diverse Rollen. Mit seiner abwechslungsreichen Stimme, intensiver Mimik, heftiger Gestik - bei paraphrasierender Klaviermusik und wechselndem Licht - zeigte er die jeweiligen Figuren: Auch Frauen und Mädchen ohne peinliche Travestie. Einige der ruhigen, unter die Haut gehenden Songs bot er fast bewegungslos dar, nur seine Stimme rief Gänsehaut hervor: „Küss mir das taube Gefühl von der Haut!“

„Morgen wird Schlüchtern wieder rau sein“, reimte Fischer einen Chanson um. Was für ein wunderbarer Abend, der dem Entertainer selbst sichtbar Freude bereitete. Das tobende Publikum bekam mehrere Zugaben und hörte zum Schluss: „Bleiben Sie so wie Sie sind, ich hab’ Sie richtig gerne.“ In dieses, vom Schlüchterner KuKi organisierte Konzert, hätten noch weitere Besucher in den Saal gepasst. Manche kamen von weit her, für sie war Tim Fischer kein Geheimtipp, so wie möglicherweise für viele Schlüchterner. Aber wie hieß es in einem von Fischers letzten Liedern: „Die Hauptsache ist / dass man sagen kann / es hat mir Spaß gemacht.“

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Fotos:

(c) Hanswerner Kruse