Drucken
Kategorie: Unterwegs
ta Die WutachSerie: Unterwegs auf dem Schluchtensteig, Teil 2/4

Thomas Adamczak

Südschwarzwald (Weltexpresso) Das Automobil, schreibt Le Breton, ist »der Erzfeind des Gehenden«. Am ersten Tag führt der Schluchtensteig etliche Kilometer ab Stühlingen bis zum Bahnhof Weizen, der Endstation der »Sauschwänzlebahn« (Museumsbahn), ziemlich dicht an der Bundesstraße 314 entlang.

Das Getöse der vorbeihetzenden Autos wird vom Wanderer als störender Angriff empfunden, der keine Verteidigung zulässt. Ein Lärm, der die Vorfreude auf die Wanderung erheblich dämpfen kann. Mir ging es jedenfalls so.

Das Dröhnen der Autos steht für den Drang, schnellstmöglich zur Arbeit oder von der Arbeit nach Hause zu kommen. Der Wanderer dagegen möchte schnellstmöglich den lästigen Konsequenzen des technischen Fortschritts, der uns auf der Landstraße in Gestalt von Autos, Motorrädern, Lastwagen, Mofas, Bussen, Krankenwagen-oder Polizeisirenen begegnet, entkommen. Weg, bloß weg von dieser permanenten Überfülle an Lärm!

Endlich die ersehnte Ruhe der Waldeinsamkeit, die erhoffte Enklave der Stille, Erholung vom Tumult der Zivilisation. Unter anderem deswegen hat man sich ja zu solch einer Fernwanderung aufgerafft.

Endlich die Erfahrung der Stille als Abwesenheit von Lärm. Le Breton spricht vom »Gefühl einer Annäherung an die Stille«. Man hört das dahinplätschernde Wasser des Flusses, das Knacken eines Astes oder Tannenzapfens, auf die man tritt, hört die Vielfalt der Stimmen zwitschernder Vögel.

»Es ist nicht das Verschwinden der Laute, das die Stille hervorruft, sondern die Art und Weise des Zuhörens, das leichte Pulsieren der Existenz, das den Raum belebt.« Verbunden mit der Faszination der Landschaft ist die erfahrene Stille ein Weg, »der zu sich selbst führt«. Stille »kennzeichnet einen Moment der Einfachheit, der es erlaubt, Bilanz zu ziehen, Vorbereitungen zu treffen, einen inneren Zusammenhalt zu finden, eine schwierige Entscheidung in Angriff zu nehmen«, schreibt der Soziologe Le Breton.

»Allein oder in Gesellschaft?«

Le Breton zitiert aus Robert Louis Stevensons »Fußwanderungen«: »Nun, um eine Fußwanderung richtig genießen zu können, sollte man sie alleine unternehmen. Ist man in einer Gesellschaft oder selbst zu zweit unterwegs, so handelt es sich nur noch dem Namen nach um eine Fußwanderung; es ist etwas anderes, das eher einem Picknick gleicht. Eine Fußwanderung sollte man allein unternehmen, denn Freiheit ist von entscheidender Bedeutung; man muss in der Lage sein, zu verweilen und weiter zu gehen, und diesem oder jenem Weg zu folgen, wie es einem gerade in den Sinn kommen möge; und weil man seinem eigenen Rhythmus folgen muss, anstatt neben einem Meisterläufer einherzutraben oder in den Trippelschritt eines Mädchens zu verfallen.«

William Hazlitt („Liber amoris – or, the new Pygmalion“, Cambridge 2009) stimmt Stevenson weitgehend zu. Gesellschaft schätze er in geschlossenen Räumen, in der Natur aber sei er gern allein. Allerdings räumt Hazlitt ein, wisse er einen Reisegefährten durchaus zu schätzen, wenn es sich um längere Wanderungen handele und landschaftlich besonders eindrucksvolle Orte aufgesucht würden. Denn dann sei es wichtig, die eigenen Eindrücke und Empfindungen im Gespräch teilen zu können.

Diese Schluchtensteigwanderung unternahm ich, wie für mich üblich, allein. Zur gleichen Zeit waren einige andere Wanderer unterwegs. Das bekommt man auf einer sechstägigen Wanderung zwangsläufig mit. Zu Beginn der Wanderung gehören Gesichter noch zu dem »Gesichterwald«, der uns aus der Stadt vertraut ist. G. Simmel beschreibt den Blick des Großstädters, der so viele Menschen sieht, dass »eine emotionale Reaktion auf jeden Einzelnen unmöglich ist«. Wenn sich aber Wandersleute auf einer solchen Wanderung mehrfach treffen, erkennen sich die einander Begegnenden und können eine Beziehung anbahnen. Zunächst einmal wird gegrüßt, das nächste Mal bleibt man stehen und wechselt ein paar Worte und dann, wenn man Glück hat, beide Seiten es wollen und es passt, wird man ins Gespräch kommen, eine Erfahrung, die in der Stadt in dieser Art unwahrscheinlich ist.

Genauso ging es mir diesmal wieder. Eine junge Frau unternahm diese Wanderung wie ich allein. Wir begegneten uns im Laufe der Zeit ein paar Mal und gingen eine Passage des Weges zusammen, wobei wir uns über unsere Erfahrungen bei dieser Wanderung und beim Wandern generell austauschten. Sie ist Wissenschaftlerin, Meteorologin, an einem Institut in Karlsruhe forschend tätig ist. (Schwerpunkt: atmosphärische Katastrophenszenarien). Sie stellte in Aussicht, mir ein paar der etwa dreihundert Fotos, die sie während der Wanderung gemacht hat, zu schicken. (Fortsetzung folgt)

Foto: Die Wutach © manfred.neeb

Info: http://www.sauschwaenzlebahn.de/de/home.html