Drucken
Kategorie: Unterwegs
"HOLÁ SEBASTIAN!", ... Eine Erinnerung an Zeiten als Reisen erlaubt war, Teil 3/3

Klaus Jürgen Schmidt

Nienburg/Weser (Weltexpresso) – ... Zum Frühstück bloß schwarzer Kaffee mit viel Zucker, aber ohne Brandy.
Zur Morgentoilette ein bisschen heißes Wasser in einer Blechschüssel. Sebastian drängelt zum Aufbruch.
Einer von den drei Köhlern fehlt, der mit dem Husten. Wir treffen ihn am Ende des Ziegenpfades wieder, dessen Anblick in der Morgensonne mich grausen lässt, kein Halten für bestimmt fünfhundert Meter, sollte man ins Leere stolpern.
Der Köhler hat nächtens zwei große Säcke Holzkohle hierher geschleppt. 


Doch nun scheint sein Plan nicht aufzugehen, die Autofahrt für den Weitertransport nutzen zu können. Die Säcke passen nicht in den Mini-Seat. Nach einem mühsamen Wendemanöver Sebastians landen sie dann schließlich auf dem Autodach, festgehalten von vier Armen durch zwei geöffnete Seitenfenster!!!

Sebastian braucht eine Dreiviertelstunde bis zum Markt an der Küste, wo er den Köhler samt seiner Säcke absetzen will. Aber da lege ich mein Veto ein. Das wird etwas umständlich, weil zunächst nicht verständlich. Ich huste, schlage mir auf die eigene Brust, dann auf die Brust des Köhlers, der nun auch wieder hustet.

„Médico!“ huste ich, „Hospital!“, tippe dem Hustenden mit dem Finger auf die Brust und zeige mit dem Daumen in imaginäre Richtungen.

Die Kommunikation klappt. Sebastian kapiert und weiß auch gleich, wohin und wieviel das kosten wird. Als wir den Kranken bei einem médico abgeliefert und diesem einen Teil meines Geldbeutels ausgeliefert haben, fallen Sebastian noch ein paar soziale Taten ein, die uns Zeit und mich noch ein bisschen Geld kosten: Einige Laibe frischen Weißbrots, ein paar Stangen Seife, einen Sack mit Kaffeebohnen, einen anderen mit Zucker, zwei weitere Literflaschen Brandy und vor allem – ein gut gefüllter Rotwein-Ballon im Korbgeflecht.

Das alles nimmt der Mini-Seat mit zurück, bis zum Beginn des Ziegenpfades. Dort finden wir ein absturzsicheres Plätzchen für das schwere Gepäck. Den verbliebenen beiden Köhlern wird es vermutlich nicht schwer fallen, von dort den Wein-, Brandy, Kaffee-, Zucker-Nachschub selber abzuholen. Für uns ist der Fußweg zu ihnen mit Brotlaiben und Seifenstangen unter vier Armen Balanceakt genug.

Als Sebastian den Seat endlich wieder auf der Teerpiste aufsetzen kann, sind die Schatten schon lang geworden. An Gomeras Horizont geht abermals die Sonne unter, für mich Anlass zu einem neuen Kommunikationsversuch: „Dormir?“ – „Sleep?“

Das scheint nun auch Sebastian für eine gute Idee zu halten. Er braust die Serpentinen aufwärts, weg von der Küste, nimmt den einen und den anderen Abzweig, bis wir in einem neuen Bergdorf Halt machen – neu für mich, nicht für Sebastian. Der weiß, wo er hier ein Gästezimmer kriegen kann. Als ich es endlich zu sehen bekomme, ist es ein Doppelzimmer! Und Sebastian hat schon ein Bett belegt! Ich bin zu müde, um ein Veto einzulegen.

Aber dann stelle ich doch eine Bedingung – und erfülle sie eigenhändig: Sebastians Schuhe und Socken müssen vor die Tür. Und um ihn nicht zu kränken, packe ich meine dazu.

Nach einem ordentlichen Frühstück am folgenden Morgen steht mir der Sinn nach einer ordentlichen Rasur, und wie ich rasch merke, Sebastian ebenfalls. Der kennt natürlich einen ordentlichen Friseur am Ort, der es noch mit einem Messer macht!!!
Sebastian ist als Erster dran. Als ich mich der Tortur unterziehe, ist er schon wieder draußen. Von da ertönt plötzlich der Ruf: „Holá Sebastian!“

Als meine Tortur beendet ist, ist auch meine Begegnung mit Sebastian zu Ende. Er winkt mir aus einem LKW zu, der gerade losfährt – offenbar hat er jemanden getroffen, der ihn ans Lenkrad gelassen hat.

Ich winke auch und rufe: „Muchas gracias! – Sebastian!“
Dann gehe ich zurück in den Laden und zahle für zwei Nassrasuren.

GOMERA vierundvierzig Jahre später:

(www.dahmstierleben.de/unterwegs/la-gomera)
Empfehlenswert sind geführte Wanderungen, auf denen umfangreiche Details zum Nationalpark, zu den Pflanzen und Tieren und zu den Inselbewohnern erläutert werden. Diese mussten ihre Lebensweise seit der Deklaration zum UNSECO-Weltkulturerbe im Jahr 1986 und der nachfolgenden Erklärung zum Europäischen Vogelschutzgebiet 1988 völlig verändern. Während Sie früher mit dem Wald gelebt haben, ihre Tiere dort einstellten, ihr Brennholz aufsammelten, Beeren und Blätter ernteten und Holzkohle herstellten, ist der Wald seitdem tabu. Während weltweit immer mehr Wälder abgeholzt werden, um die Flächen kommerziell zu nutzen, haben sie ihre Wälder stets nachhaltig gepflegt und dafür gesorgt, dass wir diesen Wald auch noch heute bestaunen können. Und das trotz der stets schwierigen Lebensbedingungen auf La Gomera. Und nun dürfen sie ihren eigenen Wald nicht mehr nutzen. Für viele Einheimische eine schwierige Situation.

Foto:
Grafik:© Klaus Jürgen Schmidt

Info: www.radiobridge.net