hqdefaultSerie: „Ohne Verschulden?“ Alles richtig gemacht und trotzdem haften? Wer will das verstehen? Wer soll das versichern?, Teil 3/4

Jan-Philip Utech

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - In Teil 1 und 2 der vierteiligen Serie wurden anlässlich einer höchstrichterlichen Entscheidung des BGH einige grundlegende Wertungen des deutschen Zivil- und Strafrechts vorgestellt. In Teil 3 und 4 soll nun die Entscheidung dargestellt und besprochenkommentiert werden.

Am 09.02.2018, knapp sechs Jahre nach dem Tag des Ereignisses, erließ der BGH ein Urteil (BGH, Urt. v. 9.2.2018 – V ZR 311/16), welches an den Grundfesten eines im BGB fundamentalen Prinzips rüttelt: Dem Verschuldensprinzip. Am 08.12.2011 hat sich nach den Feststellungen des Landgerichts Magdeburg folgender Sachverhalt ereignet:

Am besagten Tag führte ein Handwerker im Auftrag der Eigentümer – einem älteren Ehepaar – Reparaturarbeiten am Flachdach ihres Wohnhauses durch, welches undicht geworden war. Die erforderlichen Heißklebearbeiten führte er mithilfe eines Propangasbrenners aus. Dabei verursachte er unter den aufgeschweißten Bahnen schuldhaft ein Glutnest. Erst am Abend waren Flammen zu bemerken. Der von dem Ehepaar alarmierten Feuerwehr gelang es nicht das Haus zu retten. Es brannte vollständig nieder. Das unmittelbar angebaute Haus der Nachbarin wurde durch den Brand und die Löscharbeiten erheblich beschädigt. An ihrem Haus entstand ein Schaden iHv 97.800 Euro, welchen ihre Versicherung aber vollständig regulierte.

Die Versicherung machte daraufhin ihrerseits den Schaden geltend. Als potentielle Anspruchsgegner kam nicht nur der Handwerker, sondern – für Nichtjuristen vielleicht überraschend – auch das ältere Ehepaar in Betracht. Der Schadensersatzanspruch gegen den Handwerker konnte ohne Weiteres bejaht werden, weil er den Schaden schuldhaft verursacht hatte. Allerdings wurde der Handwerker noch während des Gerichtsverfahrens  clause 67401 960 720insolvent. Er fiel als potentieller Schuldner weg. Daher rückte die Frage nach der Haftung des älteren Ehepaares in den Mittelpunkt des Verfahrens. Während das Landgericht, und ihm folgend das Oberlandesgericht, die Haftung des Ehepaars noch ablehnte, bejahte der BGH diese hingegen. Dies traf das Ehepaar hart. Sie hatten nicht nur das eigene Haus ohne Aussicht darauf verloren, sich beim Handwerker schadlos halten zu können, sondern mussten nun auch noch die Schäden am Nachbarhaus ersetzen, und dies, obwohl sie – was auch der BGH nicht in Abrede stellte – alles richtig gemacht hatten.

Wäre nicht vielmehr die Feststellung des BGH zu erwarten gewesen, dass weder ein Verschulden des Ehepaares vorliegt, noch ein besonderer Gefährdungshaftungstatbestand gegeben ist? Es waren ja weder Tiere noch Fahrzeuge beteiligt. Worauf stützte der BGH seine Entscheidung?



Aufopferungshaftung

Wie im ersten Teil angesprochen, kennt das Haftungssystem des BGB noch eine weitere Form der Haftung ohne Verschulden. Sie ist auf Ausnahmefälle eng begrenzt und tritt als dritte Form der außervertraglichen Haftung neben die Verschuldens- und Gefährdungshaftung und nennt sich Aufopferungshaftung. Gerechtfertigt ist diese Form der verschuldensunabhängigen Haftung nicht, weil eine besondere Gefahr geschaffen wurde; das Gesetz gewährt einen Anspruch, weil ein Grundstückseigentümer eine Beeinträchtigung seines Grund und Bodens ausnahmsweise dulden muss. Ihm wird ein sog. Sonderopfer abverlangt. Daher der Name Aufopferungshaftung. Für die zu erduldende Einbuße an Eigentümerbefugnissen erhält der beeinträchtigte Eigentümer im Gegenzug verschuldensunabhängig einen Ausgleich in Geld. Das Gesetz sieht dies etwa zu Gunsten eines Grundstückseigentümers vor, der einen Überbau (§ 912 II BGB), einen Notweg (§ 917 II BGB) oder Immissionen wie starken Geruch oder großen Lärm (§ 906 II 2 BGB) dulden muss. Als Beispiel: Verstopfen die von Kiefern abfallenden Nadeln die Dachrinnen und Dacheinläufe des Nachbarhauses und muss dies der beeinträchtigte Nachbar ausnahmsweise dulden, so kann er von dem Eigentümer des anderen Grundstücks als Ausgleich die Reinigungskosten nach § 906 II 2 BGB – verschuldensunabhängig – ersetzt verlangen. Eine faire Sache, nur was hat dieses harmlose und alltägliche Beispiel mit einem Hausbrand gemeinsam? Nach Ansicht des Autors, nicht viel.

Fortsetzung folgt.
 
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Autoreninfo:
Dipl. jur. Jan-Philip Utech ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am universitätsinternen Repetitorium der Goethe Universität in Frankfurt. Tätig im Bereich Zivilrecht und Zivilprozessrecht.

 
Serie:
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