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Kategorie: Wissen & Bildung
... können nur wir Menschen!

Klaus Jürgen Schmidt

Nienburg/Weser (Weltexpresso) – Ich habe das Schreiben noch in der Steinzeit gelernt, mit Schiefertafel und Schiefergriffel, 1950 in der Karl-Liebknecht-Schule zu Bernsdorf. Das konnte gefährlich sein, und ich wäre beinahe daran gestorben. Ein jähzorniger Mitschüler hatte mir seinen Schiefergriffel in den Hals gerammt. Der Stift verfehlte eine Ader, aber das abgebrochene Stück musste herausoperiert werden.

Ich habe heute noch den grünen Füllfederhalter aus DDR-Produktion. 
Der kleckste schlimmer als die nach den Schiefergriffeln benutzten Stahlfedern, die am Innenrand des in die Schulbank eingelassenen Tintenfässchens abzustreichen waren. Der erste DDR-Kugelschreiber hinterließ blaue Flecken wenn man ihn versehentlich in die Hemdtasche steckte. Aber ich lernte das Schreiben mit der Hand, und ich kann es heute noch – obwohl ... auch dieser Text entsteht auf einer Tastatur. Warum? Der Text geht nicht mehr weg per Brief!

Was muss heute noch unbedingt mit der Hand geschrieben werden? Richtig: Die Unterschrift unter Dokumenten und auf Plastikkärtchen. Aber so wie wir demnächst kein Bargeld mehr in die Hand nehmen müssen, wird es demnächst auch nicht mehr nötig sein, mit der Hand eine Unterschrift zu leisten. Algorithmen und Automaten für Künstliche Intelligenz werden einen ganzen Berufsstand aussterben lassen.

Die Graphologie (gemäß neuer Rechtschreibung auch Grafologie) ist die Lehre von der Handschrift als Ausdruck des Charakters. Wissenschaftlich nicht unumstritten, hatten sich Fachleute darauf spezialisiert, aus der Handschrift eines Menschen bestimmte Bereiche seiner Persönlichkeit herauszulesen. Weil Erpresser und Verleumder das wussten, verzichteten sie freiwillig auf handschriftliche Nachrichten und wurden überzeugte Nutzer von gedruckten Buchstaben, die sie allerdings noch per Hand aus möglichst unterschiedlichen Druckerzeugnissen herausschneiden mussten.

Heute verlieren sich deren Spuren in unsozialen Netzen, digital verschlüsselt aber enorm werteschöpfend :
– für eine Handvoll individueller Besitzer entsprechender Patente im real existierenden Privatkapitalismus des Westens, dessen Parameter längst von ihren Interessen bestimmt werden
– für einen ideologisch überwachten Kontrollapparat im real existierenden Staatskapitalismus des Ostens, der dafür gerne ein paar parasitäre Existenzen erlaubt.

Ist Schreiben mit der Hand eine veraltete Kulturtechnik – ein Relikt aus prä-digitalen Zeiten, das dank neuer Medien und Technologien früher oder später überflüssig wird? In Heroldsberg, nahe Nürnberg, gibt es als eingetragenen Verein ein „Institut für Schreibmotorik“. Dessen Geschäftsführerin sagt: „Schreiben mit der Hand unterstützt das Lesen- und Schreibenlernen nachhaltig. Denn Handschreiben ist ein sehr komplexer Vorgang, bei dem zwölf Hirnareale aktiv sind, mehr als 30 Muskeln und 17 Gelenke zusammenwirken und von den Schreibenden – unbewusst – koordiniert werden. Beim Tippen handelt es sich dagegen immer um die gleiche Bewegung, egal, ob ich ein A, ein S oder ein B drücke.Von Hand zu schreiben bedeutet, dass wir charakteristische Buchstabenformen schreiben. Der damit verbundene Bewegungsablauf wird im Gehirn verarbeitet.“ (https://www.schreibmotorik-institut.com/index.php/de/)

Schreiben mit der Hand können nur wir Menschen!

Als Schrift nicht mehr bloß in Stein gehauen oder in Lehm geritzt wurde, als Pinsel, Federkiel und Tinte das Schreiben erleichterten, mussten dafür Regeln her. Und die wurden erfunden und benutzt von Privilegierten, um Werte zu schöpfen für Kirche, Krone und für Kapital.

Die Verwendung von beweglichen Lettern ab 1450 revolutionierte die herkömmliche Methode des Abschreibens von Hand. Gutenbergs Erfindung löste in Europa und später in der ganzen Welt eine Medienrevolution aus. Um gedruckte Bücher verkaufen zu können, musste jedoch der Allgemeinheit die Kunst des Lesens zugänglich gemacht werden. Um lesen zu können, war es erforderlich, das Alphabet zu kennen. Das lässt sich nach wie vor am besten durch Schreiben lernen.

Und dabei lernten Menschen: Schreiben macht schlau!

Diese Chance scheint aber gerade verloren zu gehen! Dass sich Schülerinnen und Schüler beim Schreiben schwer tun, liegt nach Einschätzung von Lehrkräften vor allem an der zu geringen Routine, an schlechter Motorik und Koordination sowie an Konzentrationsschwierigkeiten. Vor allem die fortschreitende Digitalisierung der Kommunikation und den zu starken Medienkonsum halten mindestens die Hälfte der befragten Lehrerinnen und Lehrer für problematisch. Nicht bloß tippen oder „wisch und weg“, sondern mehr feinmotorische Aktivitäten wie Basteln, Malen, Kochen, aber auch mehr schreibmotorisches Training, individuelle Förderung von der Familie über die KiTa bis in die höheren Klassen hinein könnten Abhilfe schaffen.

Übrigens: Aus dem schreibenden Schulmädchen, dessen Schreib-Resultat in der Grafik zu lesen ist, wurde eine Architektin.

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© Klaus Jürgen Schmidt

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