KInder der Emigration aus F 2021Zum Entzug aus den Klauen der Nationalsozialisten wurden 20 000 Kinder in Länder der Fremde verschickt, dabei wurden 600 auch aus Frankfurt gerettet

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Auf diese Rettung bezieht sich eine neu eröffnete Ausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main.


Sinnlich Ausdruck verschafft hierzu das Denk- und Mahnmal ‚The Orphan Carousel‘ der Künstlerin Yael Bartana, eine Holzarbeit. Sie trägt kreisum die Schriftzüge: ‚Auf bald, mein Kind‘, ‚Auf Wiedersehen, Mutter‘, ‚Auf Wiedersehen, Vater‘.

Dies Werk wurde durch Festakt am 02. September 2021, 10 Uhr in dem verkehrstechnischen Eckbezirk öffentlich eingeführt, da wo sich die Frankfurter Kaiserstraße mit der Gallusanlage kreuzt.


Zustandekommen des Projekts Denkmal der emigrierten Kinder

Lee Edwards, 93jährig, eine der glücklich Begünstigten der Emigration zur Rettung vor dem sicheren gewaltsamen Tod hatte zu dem Denkmal angeregt mit den Worten: “Es wäre doch sehr schön, wenn in meiner Heimatstadt ein Denkmal sein würde für die Kindertransport-Kinder“. Dieser Wunsch kam zur Erfüllung.

Die siegreiche Künstlerin sah sich von den folgenden Fragen bewegt: „Was blieb den Eltern von ihren Kindern, nachdem sie abgereist waren? Wie gingen die Eltern mit der Abwesenheit der Kinder um? Besuchten sie die Spielplätze, auf denen sie sich das Lachen ihrer Kinder noch vergegenwärtigen konnten?“

Wie kam das Projekt ins Laufen? „Auf Anregung von damaligen Kindern des Vereins Projekt Jüdisches Leben in Frankfurt am Main sowie des Ortsbeirats für den Ortsbezirk 1 hat sich die Stadt Frankfurt am Main zur Errichtung eines Denkmals für die Kinder und Jugendlichen entschieden, die Frankfurt damals verlassen hatten“. Und weiter: Die Schirmherrschaft für das Projekt hat die in Frankfurt lebende Publizistin und Moderatorin Bärbel Schäfer übernommen. Fünf Künstler*innen wurden zu einem Wettbewerb eingeladen.

Was sich sonst nur in isolierten Einzelfällen abspielt, war zu jener Zeit ein Akt „der Zusammenarbeit einer Vielzahl von Organisationen, Initiativen, Behörden und Privatpersonen“. Für die Kinder bedeutete diese Flucht die Rettung vor unmittelbar drohender Verfolgung. Die wohlorganisierte Emigration, die viele bürokratische Hürden zu nehmen hatte, nahm ihren Ausgang von der rasanten Entrechtung der österreichischen Jüdinnen und Juden nach der Annexion Österreichs und der 1938er Novemberpogrome, die einen Völkermord einleiteten.

Die Ausstellung konzentriert sich auf sechs Biographien. Sie geleitet in wohldosierten Abschnitten über einen Rundgang und illustriert begleitend auch in projizierten Bildsequenzen.

Der ausgestellten Biographien beziehen sich auf: Lili Fürst (später Lili Schneider), Renate Adler (später Renata Harris), Elisabeth Calvelli-Adorno (später Elisabeth Reinhuber-Adorno), Josef Einhorn (später Josef Karniel), Karola Ruth Siegel (später Dr. Ruth Westheimer) und Liesel Carlebach (später Lee Edwards).


Die Trennung werde nur von kurzer Zeit sein, es werde alles gut

So wurde gehofft und versprochen. Doch die Realität war eine andere. „Die meisten Kinder sahen ihre Eltern, Geschwister und Verwandten nie wieder. Diese Erfahrungen aus der Kindheit waren lebensprägend, auch für die später gegründeten eigenen Familien. Die vormalige Rettung gestaltete sich für die Kinder meist traumatisch. Die erfuhren Anpassungsdruck. Die Trennung konnte vielfach auch noch nicht recht verstanden werden. Zurück blieb eine Leerstelle zu Hause, die die Kinder erahnen konnten. Wenn sie selbst später Familien gründeten, geschah dies nicht ohne die Rückerinnerung an das eigene verlorene Zuhause.

DSC04672 bereinigt 2Die Chancen waren unterschiedlich. Junge Mädchen waren leichter, Jungen ab zwölf schwerer vermittelbar. Geschwisterpaare konnten vielfach nicht zusammenbleiben, jüdischen Kindern konnte nicht sicher ein Platz in einer jüdischen Pflegefamilie vermittelt werden. Behinderte Kinder hatten kaum eine Chance. Viele lebten in der neuen Umgebung unter nicht kindgerechten Bedingungen, sie verloren nicht nur die angestammte Familie, sondern auch ihre Schulklasse, Freundinnen und Freunde.

England war das bevorzugte Ziel der Kinderverbringung, denn es hatte weniger strikte Regularien für eine Übersiedlung, im Unterschied etwa zu Neuseeland. Die offizielle Verlautbarung verzeichnet: Mit dem Begriff „Kindertransporte“ wird in der Regel die Emigration von Kindern und Jugendlichen nach Großbritannien in der Zeit zwischen Dezember 1938 und September 1939 verbunden.

Die möglichen Bestimmungsländer waren: Großbritannien, Belgien, Niederlande, Frankreich, Schweden, Schweiz, Palästina, Kanada, USA, Australien.



Schicksalshafte Streiflichter für das Vor- und Insgesamtverstehen

Lili Schneider (vorm. Lili Fürst, Eltern umgebracht): Am Anfang der Ausstellung ist auf die amtliche Prozedur verwiesen (abgesehen von der noch recht einfachen Zusammenstellung des Gepäcks und einer vorhergehenden schweren Entscheidung).- Dann die leidigen Devisen; nur, was dem deutschen Volksgenossen keine Schmerzen mehr bereitete, ging durch. Welche wäre wohl die rechte Hilfsorganisation, ist denn die Frage der Konfession umsetzbar? Auch die Gesundheitsbescheinigung war zu erbringen. Die Ausstellung verzeichnet an einer Stelle: „Zur ärztlichen Behandlung ausschließlich von Juden berechtigt“. In Schweden angekommen, Pflegeltern nicht so gut, Entschädigungsakten protokollieren: als Dienstmädchen eingesetzt, physische Gewalt. Briefkontakt noch mit Eltern, spätere Ausbildung zur Modistin. Mit Eltern und angestrebtem Amerika - hat nicht funktioniert (Entfremdung). Nicht nach Deutschland zurückgekehrt. Judentum konnte nicht nach England mitgenommen werden. Ist nur ein Beispiel.

DSC04659 bereinigtDSC04662 bereinigtDr. Ruth Westheimer (vorm. Karola Ruth Siegel). Ist als eine durchgehend Aufgeweckte bekannt. Gibt an, sie hatte eine gute Zeit. Alle Nachweise sind vorhanden. Registrierung, Reihenfolge der Einordnung, Pflegeeltern, Orientierung: nach welchem Land sie komme, der Gesundheitsausweis aus jüdischer Hand. Von ihr sind kurze filmische Takes zu sehen; einer zeigt sie mit dem Waschlappen, der aus der untergegangenen schlimmen Zeit überdauert hat. Sie ist immer mal wieder als Talk-Show-Gast*in zu erleben. Dann fungiert sie irgendwann auch als Sexexpertin und Sexualaufklärerin, bringt jede Umgebung in Schwung.




Utensilien und Zurückgelassenes

DSC04666 bereinigtSind vielfach zu besichtigen. So die Original-Truhe von Renata Harris (vorm. Renate Adler), in guterhaltenem Leder. Sehr gelungen sind alle Faksimiles, auf die auch der Zahn der Zeit übernommen wurde. So eben auch die kleinen Kinderausweise. Zu Harris: stammte aus einem liberal-orthodoxen Elternhaus. Es war die Mutter, die nach England vermittelt hatte, 1942 deportiert; kam mit Mutter wieder zusammen. Aber es heißt vorher auch: Noch Kontakt mit Mutter gehabt, doch plötzlich kamen keine Briefe mehr. Vater deportiert. Sie kam in Internat. Hat irgendwann kein Deutsch mehr gesprochen. War 70 Jahre nur noch Engländerin. Deutschland war Erbfeind. Hat in Deutschland keine Verwandten mehr. Hat später in Schulen von ihrer Lebensgeschichte vor Klassen berichtet.

Elisabeth Calvelli-Adorno: Elisabeth Reinhuber-Adorno wurde 1925 in Frankfurt geboren und ist 2016 gestorben. Sie stammte aus Familienkreisen mit berühmten Mitgliedern als da war der Philosoph Theodor W. Adorno und dem Historiker Theodor Mommsen (Garding, Schleswig-Holstein, der 1902 mit dem Nobelpreis für Literatur geehrt wurde, für seine ‚Geschichte des Römischen Reiches‘).

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Von Elisabeth Calvelli-Adorno ist noch erwähnenswert, dass sie sich in Oberursel-Oberstedten über Jahre in der Kommunalpolitik engagiert hat. Erhielt den Ehrenrief des Landes Hessen. Betroffen macht daher umso mehr, dass sie sich als Parteimitglied der CDU veranlasst sah, einen Beschwerdebrief an das Bundeshaus zu senden, weil ein CDU-Kollege sich zu unglaublichen Äußerungen hinreißen ließ, da dieser über ihren Antrag auf Entschädigung herzuziehen sich herabließ. Sie schrieb im Protestbrief den Satz: „Ich brauche Sie sicher nicht daran zu erinnern, dass Tausenden von Juden von ihren deutschen Mitbürgern die Zähne aus dem Mund gebrochen wurden, nur weil das Gold glitzerte“.


Abschließend sei auf die Silberdekoration (s.o.) in einer Vitrine hingewiesen, die so exemplarisch von den oftmals überlieferten kleinen Gegenständen kündet. Sie zeigt, als Ensemble, einen Damen-Aschenbecher, eine Windmühle, Tisch und Stühle sowie ein Pferd mit Schlitten, hintendrauf eine Schale.





Fotos ©
Heinz Markert (auf Führung)

Info:
Kinderemigration aus Frankfurt, Eine Ausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek, 02. September 2021 – 15. Mai 2022, DNB, Adickesallee 1, 60322 Frankfurt am Main, www.dnb.de