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Kategorie: Wissen & Bildung
Bildschirmfoto 2022 05 14 um 02.38.58Am 11. Mai 1952 schoss die Polizei erstmals mit scharfer Munition auf Demonstranten, Teil 1/6

Kurt Nelhiebel

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wie sah es wohl um den Wissensstand des Verfassers aus, der den Lesern suggerierte, die Teilnehmer der Friedenskarawane hätten »mit Steinen und Schüssen« demonstriert? Offensichtlich nahm er für bare Münze, was andere hinausposaunt hatten. Die eigene Zeitung hatte er anscheinend nicht gelesen.

Am 12. Mai veröffentlichte die »Süddeutsche Zeitung« auf der zweiten Seite eine Meldung der Nachrichtenagentur AP, in der es am Schluss hieß: »Die Polizei machte dabei rücksichtslos von Gummiknüppel und Schlagstock und, durch Steinwürfe herausgefordert, schließlich auch von der Schusswaffe Gebrauch.« Damit stellte die Agentur den Sachverhalt so dar, wie Polizeibeamte ihn als Zeugen später vor Gericht beschrieben, als das Lügengebäude über den Hergang des Geschehens wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrach. Hätte das den Verfasser des »Streiflichts« nicht nachdenklich stimmen müssen?

Offensichtlich war er sich seiner Voreingenommenheit gar nicht bewusst. Gegen Kommunisten musste nun mal hart durchgegriffen werden. Deshalb funktionierte das Kartell des Schweigens und der Desinformation wie von selbst. 

So wie einst Karl Kraus als einziger seine Stimme erhob, als überforderte Polizisten in Wien ein Blutbad unter demonstrierenden Arbeitern anrichteten, so durchbrach auch jetzt wieder nur ein einziger mit Namen das Tabu, Ralph Giordano, der als Demonstrant in Essen dabei war. In seinem Buch »Die Partei hat immer recht« schilderte er in packenden Worten den Ausbruch der Gewalt vor der Gruga: »Der Eingang war schwer bewacht. Die Berittenen trugen lange Stahlruten und die zum Zerreißen gespannte Atmosphäre teilte sich den Tieren mit – sie tänzelten, warfen die Köpfe hoch, schnaubten. Und dann, als, kurz angeleint, Hunde erschienen, explodierte die Menge in furchtbarer Erregung – Sprechchöre, Schreie, herabsausende Gummiknüppel, stürzende Körper, durch die Luft geschleuderte Tschakos. Der Kampf war, von einer Sekunde auf die andere, in vollem Gange. Nach einiger Zeit wichen wir, noch zusammengeballt, vor der bewaffneten Übermacht zurück. An ein allmähliches Auslaufen des Zusammenstoßes war bei der ungeheuren Erbitterung, die sich beider Seiten bemächtigt hatte, nicht mehr zu denken. Auf einem freien Platz lockerte sich die Masse der Demonstranten etwas auf. Es lag jetzt eine größere Strecke zwischen der Polizeikette und uns. Steine flogen. Und plötzlich knallte es, mehrere Male, trocken, nicht anders, als wäre ein Tesching mit Platzpatronen abgefeuert worden. Mit etlichen anderen lief ich auf ein Gestrüpp zu, das einen tiefer liegenden Bahnkörper säumte. Wir hockten da und warteten, dass die Polizisten kommen würden, Aber sie kamen nicht.

Nach einiger Zeit erhoben wir uns. Der Platz war leer. Auf der Rückfahrt hieß es, einer der Unseren sei bei der Schießerei getroffen und getötet worden.«

Fortsetzung folgt

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