Drucken
Kategorie: Wissen & Bildung

ansolut endbereinigtWas dem Sigmund-Freud-Institut und dem „Institut für Sozialforschung“ verloren ging

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Kürzlich fiel dem Schreiber dieses Betrags beim Blättern im Archiv ein Artikel aus den Tagen um den 18. November 1990 in die Hände. Der Artikel textete herausfordernd mit: ‚Vertanes Erbe? – Streit am Frankfurter „Institut für Sozialforschung‘“. Er muss auch als Klage bezeichnet werden..



Zum andern fand sich am Samstag, dem 30. Juli 2022 im Rahmen der periodischen Kolumne von Dr. med. Bernd Hontschik in der Frankfurter Rundschau (FR) ein Beitrag, der mit ‚Die Unwirtlichkeit eines Platzes – Über den Niedergang der psychoanalytischen Profession‘ betitelt war. Hier wurden also Institutionen bedacht, die offenbar schon einmal bessere Tage gesehen haben.

Freud, Marx, Horkheimer, Adorno, Herbert Marcuse, das waren Geister, die das Jugend- und frühe Erwachsenenleben ungemein inspiriert und bereichert haben. Längst war registriert worden, dass die große Zeit (bzw. Wiederaufnahme-Zeit hinsichtlich auch eines Sigmund Freud) sich in die Vergangenheit davongemacht hatte. Das Ende-Siebziger-Studium war noch durch die gefühlte Reminiszenz hinsichtlich einer schon zurückliegenden Zeit, die eine Zeitenwende war, geprägt.

Normative Orders

Unter diesem Titel fanden – übrigens auch einst gekrönt durch einen Vortrag des greisen, aber ungemein noch lebhaft vortragenden Habermas – eine erkleckliche Anzahl von Vorträgen und Podiumsdiskussionen an unterschiedlichen Orten und Plätzen des Frankfurter Kultur- und Wissenschaftslebens - auch im Dienst des Wiederaufgreifens grundsätzlicher Überlegungen und Kontroversen - im Kontext akademischer und stadtnaher Themen und Kontroversen statt.

Einer der Hintergründe ist wohl nicht alleine, aber doch noch klar identifizierbar und flammt an Frankfurter Örtlichkeiten kurz auf, die Kritische Theorie der Frankfurter Schule. Heutige wache Studentinnen und Studenten stimmen mit ein, wenn der Ältere trotzdem vermerkt, dass die Tradition – wie gesagt - schon bessere Tage gesehen hat und alles etwas leer zu laufen scheint.

Wie angedeutet: es handelt sich in Frankfurt um Ikonen der gesellschaftlichen und philosophischen Wissenschaft. Die neue akademische Jugend möchte nach Möglichkeit durchaus nicht versäumen, auch am Institut für Sozialforschung an einem Workshop teilnehmen zu können. Jedoch wird ihr schnell bewusst, dass die Große Zeit fast abgelaufen ist. Übrigens mutet der Reste-Titel ‚Normative Order‘s sehr nach Tautologie an. Es wird vor Konkretem und Heiklem zurückgewichen. Es gibt keinen mehr die Zeit auf den Begriff bringenden Terminus oder Impuls mehr. Das aber wäre den Dioskuren nicht unterlaufen. Denn sie waren unerbittlich, vor allen andern der assoziierte Leo Löwenthal, wie zur Verleihung des Theodor-Adorno-Preises 1989 an ihn - von ihm nochmal klargestellt.

Ein Diskurs weniger um die Sache als um Indizien

Der anfangs angeschnittene Artikel ‚Vertanes Erbe‘ aus dem Jahr 1990 ist eine unverhüllte Klage hinsichtlich des Zustands der renommierten Forschung und Lehre der Gründer des Instituts für Sozialforschung, das 1952 neu gegründet wurde. „Doch der Streit um das wahre Erbe der Frankfurter Schule reicht weit zurück. Von früh an herrschte ‚eine Arbeitsteilung, die die von der Kritischen Theorie reklamierte Einheit von theoretischer Reflexion und empirischer Forschung‘ aufgegeben“ hatte.

Institut fuer Sozialforschung fcmDoch der Artikel berichtet auch von folgendem: „Bis 1969 war das Haus gleichermaßen Forschungsstation und Theorieschmiede. Mit dem Tod von Adorno [1969] zerfiel die Einheit von Sozialphilosophie und empirischer Forschung“. Anlass für den Artikel war auch der schief hängende Haussegen in diesen späteren Tagen. Denn „Fünf Mitarbeiter ... haben ihrem Haus ein Armutszeugnis ausgestellt“. Nach Adornos Ableben hätte sich die Einrichtung „zunehmend auf ökonomische und industriesoziologische Themen konzentriert“. Dem für die Unterzeichnung des Thesenpapier-Aufrufs maßgebliche Rainer Erd wurde gekündigt. Gerhard Brandt, der auf der Forderung nach einer Zusammenfassung der Resultate der Einzelforschungen bestand, beging 1987 Selbstmord.

So kam es, dass längst schon keine Philosophen mehr am Institut arbeiteten. Grund dafür war wohl auch ein personeller: Der damalige geschäftsführende Direktor Ludwig von Friedeburg bestand vornehmlich darauf, eine penible empirische Forschung zu betreiben. Max Horkheimer hatte ihn bereits in den Fünfziger Jahren ans Institut geholt. Vom heutigen Standpunkt betrachtet ist evident, dass im Zuge der Grenzen des Wachstums die globale Umweltzerstörung schon damals als drängendes Thema aufgegriffen gehört hätte. Womöglich, so argumentiert der besagte Artikel, wäre etwa eine Soziologie der Oper – ganz in der Tradition von Benjamin und Kracauer – eine gute Sache für die nun noch immer erst geplante Akademie der Künste gewesen. Hier nun bietet sich erneut der Begriff der Zerfallsgeschichte an, auf den die Gründer der KT immer bestanden haben, ohne sich jedoch vom irrationalen Ganzen des Bestehenden dumm machen zu lassen.

Von der Unwirtlichkeit eines Mitscherlich-Platzes und die degradierte psychoanalytische Profession

Um eine weitere Legende und Ikone der neuzeitlichen Aufklärungswissenschaft handelt es sich mit Freud und also, wie bereits angedeutet, auch mit Alexander Mitscherlich, der sozusagen sein entschiedener Gefolgs- und Gewährsmann wurde. Mitscherlich hatte die Kollektivschuld der Ärzteschaft aufgearbeitet und die Nazimedizin detailliert ihrer Unmenschlichkeit überführt. Sie neigte dazu, sich herauszureden. Mitscherlich war ein Wissenschaftler des Aufbaus einer psychoanalytischen Medizintheorie und Praxis in Gestalt der Psychosomatik. Er gründete das Sigmund-Freud-Institut und wurde Professor an der Philosophischen (!) Fakultät. Bedeutende Titel seiner Schriften lauteten: ‚Krankheit als Konflikt‘, ‚Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft‘, und ‚Die Unwirtlichkeit unserer Städte‘. 1967 erschien die gemeinsam mit Margarete Mitscherlich formulierte Schrift: ‚Die Unfähigkeit zu trauern‘. Das waren Meilensteine der wissenschaftlichen Profession. Daraus ergibt sich summa summarum und generell: Inspiration vorausgesetzt liefern gemeinschaftlich und kollektiv angezettelte Projekte - Verbünde - der Menschheit rare Perlen der wissenschaftlichen Leistung durch die ganz unerwarteten Weisen des Wahrnehmens, der luziden Kunst der Formulierung und der daraus hervorspringenden Meilensteine der Erkenntnis.

Margarete Mitscherlich arbeitete am gemeinsamen Werk fast dreißig Jahre weiter und kritisierte eine männerzentrierte Freudsche Theorie, die das Weibliche mit einem Defekt identifizierte. Schon seit einiger Zeit beschlich uns der Verdacht, dass das, was die menschliche Misere ausmacht, unter den Teppich gekehrt werden soll und nicht auf seine auch äußeren Ursachen befragt werden möge, die in den gesellschaftlichen Verhältnissen wurzeln. In Frankfurt wurde das Sexualforschungsinstitut der Universität trotz Protesten gestrichen, nachdem der Gründer und Direktor in Pension versetzt wurde. Volkmar Sigusch vertrat bis 2006 eine kritische Sexualwissenschaft, die gegen den neoliberalen Zeitgeist gerichtet war.

Wieder also: Vorrang der Verwaltung von Geist

Hontschik kritisiert, dass die an Stelle getretene psychologische Verhaltenstherapie kostengünstig sei, die Psychoanalyse dagegen als von gestern betrachtet werde, insofern sie ausdrücklich noch an der „Einmaligkeit des Individuums“ festhalte.

Nun aber zum aktuellen Konflikt um das Haus in der Frankfurter Myliusstraße: Hontschik spricht die kleine Grünfläche mit dem Kreisel in der Mitte an, die in Frankfurt am Main als Mitscherlich-Platz fungiert. Insofern das umgebende Gelände einem Inverstor gehöre, quäle dieser die Umgebung mit einer endlosen Modernisierung, die den Platz in einen erbärmlichen Zustand versetzt habe. In einem fort kreisen Autos auf der Suche nach Parkplätzen und Kunden-Anwesen um das Institut. Mitscherlich hätte sowas als unwirtlich befunden. Nun ja, ein Protestredner sprach dieserart vor einem Publikum, das die siebziger Lebensjahre überwiegend überschritten hatte und im allgemeinen Verstande eben den Anschluss an den heutigen wissenschaftlichen Diskurs und Zeitgeist verloren habe. Wer den Geist nun aber wirklich verloren hat, darf das aufgeweckte Publikum selbst entscheiden.

Es waren singuläre Individuen, die als Adorno, Horkheimer und Mitscherlich das Land geistesgeschichtlich zu dem gemacht haben, was es insgeheim ist und bleiben wird. Und nicht zu vergessen sei ein Marx, der vielleicht auch in Teilen gefehlt hat, aber ein Werk hinterlassen hat, das jederzeit noch der kritischen Aufarbeitung harrt. Doch wer könnte, wollte diese je übernehmen. Kleine Geister? - Fazit bleibt leider die Nur-Einmaligkeit dieser wenigen Individuen, die Bedeutendes, wenn nicht Einzigartiges geschaffen und dieser Welt – die immer noch in großer Unordnung ist - als Stein des Anstoßes hinterlassen haben.

Wo liegt also das Problem?

Im Rahmen der Bürgeruniversität bzw. im Umkreis von Normative Orders fand um 2018 eine Veranstaltung im Chagall-Saal des Schauspielhauses Frankfurt statt. Der letzte Teil wurde zum atemlos vorgetragenen Tagesausklang. Alles zeitliche Davor - der erste Teil - ging in Ordnung. Das beschrieb 2018 der Artikel „Vorrang der Verwaltung von Geist vor dem Summum“ (siehe Link am Ende).

Prof. Dr. (jur.) Klaus Günther ließ am Ende eine Gruppe Mitarbeiterinnen auflaufen, die eine Zugabe gaben. Sie sprachen, wie angedeutet, wortreich und schnell. Das ging aber in Ordnung. Nur leider eben waren das nur Splitter in voneinander abgegrenzten Feldern. Der Bezug zu einem Ganzen (dem womöglich „Unwahren“) und einem auf den Nägeln Brennenden, erschloss sich nicht. Ich kannte Professor Dr. Klaus Günther aus der Studienzeit. Er hatte im Proseminar zu Hofmannsthal in komplett Adornoscher Diktion seinen Teil dem erstaunten Saal vorgetragen. Das war sehr gut gemacht und könnte auch heutigentags wiederholt werden. Etwas seltsam aber war es schon auch. Heutigentags gehört Klaus Günther zur Dritten Generation der Frankfurter Schule.

Etwas perplex geworden, fragte ich ihn spontan noch vor dem Chagall-Saal (anders war es vorher nicht möglich, weil die Versammlung schnell geschlossen wurde), ob er schon mal - gleich jener einschlägig benannten Truppe der Siebziger Jahre Frankfurts - in einem Betrieb, wie im bekanntesten Fall der Fälle, nämlich Opel-Rüsselsheim - hospitiert habe. Er verneinte es. Was will ich damit sagen, da ich von Splittern sprach? – Das Kardinalproblem der heutigen Philosophie, Soziologie und der Sozialwissenschaften besteht darin, dass die Philosophie und Soziologie die Dialektik aufgegeben und sich dem Strukturalismus hingegeben hat. Günther meinte zuletzt noch: „Also doch Politische Ökonomie!“

Das denkerische Niveau ist gefallen. Wie ich kürzlich vernahm, auch an der Fachhochschule Frankfurt am Main, die jetzt einen internationalen Namen trägt.

Foto 1 © Heinz Markert
Foto © Wikipedia.org (2015)

Info:
Artikel „Vertanes Erbe? – Streit am Frankfurter Institut für Sozialforschung“, Michael Mönninger, FAZ, 18. November 1990

Vergleiche: Weltexpresso - Vorrang der Verwaltung von Geist vor dem Summum