Ein Vortrag aus dem Jahre 1810

Johann Gottlieb Fichte/Alexander Martin Pfleger

Berlin (Weltexpresso) - Aus Anlaß seines 203. Todestages veröffentlichen wir hier Fichtes „Wissenschaftslehre“ in ihrer spätesten und komprimiertesten Fassung vom März 1810 wieder – geringfügig bearbeitet und dem modernen Sprachgebrauch behutsam angeglichen, soweit dies möglich erschien: Ein philologisches und ein philosophisches Experiment!



Vorrede
Ich habe diese Abhandlung, mit welcher ich meine in diesem Halbjahre gehaltenen Vorlesungen beschloß, zunächst für meine Zuhörer abdrucken lassen, um denselben die Übersicht des Ganzen bei der Wiederholung zu erleichtern. Sollte dieselbe noch in Anderer Hände fallen, und etwa unter anderen auch in die Hände solcher, die über Philosophie mitzusprechen sich berechtigt halten: so könnte diesen bei einiger Erwägung hier ein Licht aufgehen, welch einen verkehrten Begriff sie sich bisher von der Wissenschaftslehre gemacht, und durch welche ungeheuren Irrtümer sie selbst dem philosophierenden Verstande auf den rechten Weg haben helfen wollen. Das werden sie freilich nicht einsehen, daß man, um zu philosophieren, sich zu dem wirklich freien und schöpferischen Denken erheben müsse; keineswegs befangen bleiben dürfe in der Anschauung irgend eines durch das Ungefähre in uns gebildeten Denkens; welches Letztere allein sie bisher vermocht, und dadurch alle ihre Ungereimtheiten zu Stande gebracht haben. Und so werden sie denn, was allein man ihnen anmuten könnte, niemals aufhören, sich in eine Sphäre zu drängen, zu der sich ihnen ihr Potential versagt.

I.
Die Wissenschaftslehre, fallen lassend alles besondere und bestimmte Wissen, geht aus von dem Wissen an sich, in seiner Einheit, das ihr als seiend erscheint; und gibt sich zuvörderst die Frage auf: wie dasselbe zu sein vermöge, und was es darum in seinem inneren und einfachen Wesen sei. Es kann sich ihr nicht verbergen Folgendes – nur Eines ist an sich durch sich selbst: Gott, und Gott ist nicht der tote Begriff, den wir soeben aussprachen, sondern er ist in sich selbst lauter Leben. Auch kann dieser nicht in sich selbst sich verändern und bestimmen und zu einem anderen Sein machen; denn durch sein Sein ist alles sein Sein und alles mögliche Sein gegeben, und es kann weder in ihm, noch außer ihm ein neues Sein entstehen. Soll nun das Wissen dennoch sein, und nicht Gott selbst sein, so kann es, da nichts ist denn Gott, doch nur Gott selbst sein, aber außer ihm selber; Gottes Sein außer seinem Sein; seine Äußerung, in der er ganz sei, wie er ist, und doch in ihm selbst auch ganz bleibe, wie er ist. Aber eine solche Äußerung ist ein Bild oder Schema. Ist ein solches Schema, – wie denn dies nur durch das unmittelbare Sein desselben klar werden kann, da es nur unmittelbar ist, – so ist dasselbe an sich dadurch, daß Gott ist, und es kann, so gewiß er ist, nicht nichtsein. Keineswegs aber ist es zu denken als eine Wirkung Gottes, durch einen besonderen Akt desselben, wodurch derselbe in sich selbst sich verwandeln würde; sondern es ist als eine unmittelbare Folge seines Seins zu denken. Es ist, der Form seines Seins nach, an sich, so wie er selbst an sich ist, ohnerachtet es nicht er selbst ist, sondern sein Schema. Wiederum kann außer Gott an sich nichts sein, denn dieses; kein inneres auf sich beruhendes Sein, denn das ist er allein; nur sein Schema kann sein außer ihm, und ein Sein außer ihm heißt eben sein Schema, und beide Ausdrücke sagen dasselbe.

II.
Indem nun ferner der Wissenschaftslehre nicht entgehen kann, daß dennoch das wirkliche Wissen keineswegs als Eins, wie sie dasselbe gedacht hat, sondern als ein mannigfaltiges erscheine, so entsteht ihr die zweite Aufgabe, den Grund dieser erscheinenden Mannigfaltigkeit anzugeben. Es versteht sich, daß sie diesen Grund nicht wo anders her entlehnen, sondern das ihr wohlbekannte Wesen des Wissens als solchen darlegen muß; daß daher die Aufgabe, bei ihrer anscheinenden Zweifachheit, dennoch die Eine und selbige bleibe – die, das innere Wesen des Wissens darzustellen.

III.
Dieses Sein an sich außer Gott kann nämlich keineswegs ein in sich gebundenes, fertiges und totes Sein sein, wie denn auch Gott kein solches totes Sein ist, vielmehr Leben; sondern es muß sein ein bloßes reines Potential, indem gerade ein Potential das formale Schema des Lebens ist. Und zwar kann es sein Potential zur Verwirklichung nur dessen, was in ihm liegt, eines Schemas. Da dieses Potential ein bestimmtes Sein ausdrückt, das Schema des göttlichen Lebens, so ist es freilich bestimmt, aber nur auf die Weise, wie ein absolutes Potential bestimmt sein kann, durch Gesetze, und zwar durch bedingte Gesetze. Soll das und das wirklich werden, so muß unter dieser Bedingung das Potential so und so wirken.

IV.
Zuvörderst also: zu einem wirklichen Sein außer Gott kommt es nur durch die Sich-Vollziehung des absoluten Potentials; dieses aber kann nur Schemen vollziehen, die durch ein zusammengesetztes Verfahren mit ihnen zu einem wirklichen Wissen werden. Was daher außer Gott da ist, ist nur durch das absolut freie Potential da, als Wissen dieses Potentials, und in seinem Wissen; und ein anderes Sein außer dem wirklich in Gott verborgenen Sein ist an sich unmöglich.

V.
Sodann, was die Bestimmung dieses Potentials durch Gesetze betrifft; es ist dasselbe zuvörderst bestimmt durch sich selbst, als Potential eines wirklichen Wissens. Zu einem wirklichen Wissen gehört, daß durch das Potential an sich irgendein Schema vollzogen werde; sodann, daß durch dasselbe Eine Potential in demselben Einen Zustande dieses Schema als Schema, ein Schema überhaupt aber als unselbständig, und zu seinem Dasein eines Seins außer sich bedürftig erkannt werde. Der unmittelbare und konkrete Ausdruck dieser Erkenntnis, die in dem wirklichen Wissen keineswegs zum Bewußtsein kommt, sondern die bloß durch die Wissenschaftslehre zum Bewußtsein erhoben wird, ist nun das wirkliche Wissen selbst in seiner Form; und zufolge der letzteren Erkenntnis wird, mit gänzlicher Übergehung des Schemas, ein objektiv und unabhängig vom Wissen sein sollendes, hinausgesetzt. Da in diesem Wissen von dem Objekte sogar das Schema verdeckt wird, so bleibt umso mehr das Potential, als das Erschaffende desselben, verdeckt und ungesehen. Dies ist das Grundgesetz der Form des Wissens. So gewiß daher das Potential zu einem solchen sich entwickelt, entwickelt es sich, wie wir beschrieben, nicht bloß schematisierend, sondern auch das Schema als solches schematisierend, und es erkennend in seinem unselbständigen Wesen; nicht daß es unbedingt müßte, sondern daß es nur durch diese Weise des Verfahrens zu einem Wissen kommt. Es bleibt diesem zufolge in einem wirklichen Wissen manches unsichtbar, das denn doch wirklich als Äußerung dieses Potentials ist. Sollte nun etwa dieses, und sollte etwa alle Äußerung des Potentials, in das Wissen eingeführt werden, so könnte das Letztere geschehen, nur in einem anderen Wissen, als in dem ersterwähnten; und das gesamte Wissen würde durch den Widerstreit des Gesetzes der Form der Sichtbarkeit, mit dem, daß es sich in seiner Ganzheit sehe, in verschiedene Stücke notwendig zerfallen.

VI.
Ferner ist innerhalb dieses seines formalen Seins das Potential durch ein unbedingtes Soll bestimmt. Es soll sich als Schema des göttlichen Lebens sehen, was es ursprünglich ist, und durch welches Sein allein es Dasein hat: somit ist dies seine absolute Bestimmung, durch die es selbst als Potential vollendet erschöpft ist. – Es soll sich sehen als Schema des göttlichen Lebens; nun aber ist es ursprünglich nichts mehr denn ein Potential, wiewohl ganz sicher dieses bestimmte Potential des Schemas von Gott; sollte es sich nun als solches Schema sehen in der Wirklichkeit, so müßte es selbst durch Vollziehung des Potentials sich wirklich dazu machen.

VII.
Das sich Sehen als sollendes und könnendes Potential, und die wirkliche Vollziehung dieses Potentials, falls auch die letztere gesehen werden soll, fallen auseinander, und die faktische Möglichkeit des letzteren ist durch die geschehene Vollziehung des ersteren bedingt. Es soll sich ja sehen als göttliches Schema nicht durch sein bloßes ihm gegebenes Sein, wie es denn kein solches gegebenes Sein ist, sondern durch Vollziehung des Potentials. So muß ihm, daß es ein solches Potential sei, und woran es in der Vollziehung desselben sich erkenne, schon vorher bekannt sein, damit es hierauf seinen Blick richten und nach jenen Kennzeichen die Vollziehung beurteilen könne. Oder sehe man es so an: durch die Vollziehung des Potentials wird ihm ein Schema entstehen, und ein Bewußtsein desjenigen, was im Schema liegt, und mehr durchaus nicht. Der über den unmittelbaren Inhalt des Schemas hinausgehende formale Beisatz, daß es Schema Gottes sei, liegt darin nicht, und könnte nur zufolge eines an der unmittelbaren Vollziehung wahrgenommenen Kennzeichens darauf übertragen werden. Dieses Kennzeichen aber ist gerade das, daß das Potential mit absoluter Freiheit, zufolge des erkannten allgemeinen Solls, sich vollziehe.

VIII.
Soll es sich sehen, als sollend, so muß es vor diesem bestimmten Ersehen seiner als Prinzip voraus schon überhaupt sehen; und da es nur durch seine Sich-Entwicklung sieht, es muß sich entwickeln, ohne als Prinzip in dieser Entwicklung unmittelbar sich sehen zu können. Das ausgesprochene Muß liegt in der Absicht, daß das Soll ihm sichtbar werde; man kann es darum nennen ein Sollen des Solls, nämlich ein Soll seiner Sichtbarkeit: mithin liegt dieses Soll in der ursprünglichen Bestimmung des Potentials durch sein Sein aus Gott. Da, wenn es sich überhaupt nicht sieht als Prinzip, es in demselben Einen Zustande sich nicht zugleich als solches sehen kann, so ist klar, daß diese beiden Weisen des Wissens auseinanderfallen. Wir nennen das Wissen durch das unmittelbar unsichtbare Prinzip Anschauung.

IX.
Da in der Anschauung weder das Potential an sich als solches, noch auch das göttliche Leben, schematisiert wird, indem die Anschauung erst die faktische Möglichkeit eines solchen Schematisierens herbeiführt, so ist klar, daß derselben nichts übrigbleibe, denn die bloße Gestalt des Potentials in seiner Gegebenheit. Es ist ein Potential des Hinschauens, und zwar ohne die Richtung auf das Eine göttliche Leben, die auf diesem Standpunkte verborgen bleibt, ein unbestimmtes und durchaus ungebundenes, jedoch absolutes Potential, also ein unendliches. Es schematisiert sich darum als hinschauend ein Unendliches in einem Blicke (den Raum); sich schematisiert es also, demnach als in derselben ungeteilten Anschauung sich zusammennehmend und zusammenziehend auf ein in der ersten Unendlichkeit Begrenztes, in sich selber gleichfalls unendlich Teilbares, einen verdichteten unendlichen Raum, in einem anderen einfachen unendlichen Raum, oder Materie; – auch hier als ein unendliches Potential, sich zusammenzuziehen, und so eine unbegrenzte materielle Welt im Raum: welches Alles nun zufolge des angeführten Grundgesetzes des Wissens ihm als ein wirklich und an sich daseiendes Sein erscheinen muß. Ferner, es ist eben durch sein bloßes formales Sein Potential, absolut anfangendes Prinzip. Um sich als solches für die Anschauung zu schematisieren, muß es, vor seiner Wirksamkeit voraus, ein mögliches Wirken erblicken, das es, – so nämlich müßte es ihm erscheinen, – vollziehen könnte, oder auch nicht. Dieses mögliche Wirken kann es nicht erblicken an dem absoluten Soll, das in diesem Standpunkte unsichtbar ist: sonach nur an einer gleichfalls blind schematisierten Kausalität, die doch nicht unmittelbar Kausalität ist, die aber an sich durch die erscheinende Vollziehung des Potentials, es zu werden, erscheine. Eine solche Kausalität aber ist ein Trieb. Es müßte sich getrieben fühlen zu diesem oder jenem Wirken; ohne daß jedoch die Wirksamkeit dadurch unmittelbar gegeben sei, indem eine solche Unmittelbarkeit ihm die Erscheinung seiner Freiheit, auf die es ja hier ankommt, verdecken würde. Diese durch den Trieb geforderte Wirksamkeit kann nur eine Wirksamkeit auf die Körperwelt sein. Der Trieb zur Wirksamkeit wird daher angeschaut in einer unmittelbaren Beziehung auf die Körper; diese werden demzufolge in dieser unmittelbaren Beziehung gefühlt, und erhalten, durch diese Beziehung, ihre innere, mehr als raumfüllende Qualität; und es wird durch diese Bemerkung die oben unvollendet gebliebene Bestimmung der Körper vollendet. Sollte zufolge dieses Triebes, und der Erscheinung der Selbstbestimmung, das Potential sich als in der Tat wirkend erblicken, so würde es in dem Erblicken dieser Wirksamkeit mit der Körperwelt in dieselbige Eine Form der Anschauung zusammenfallen: es würde darum in dieser mit der Körperwelt vermittelnden Anschauung sich selbst als einen Körper erblicken; in seiner doppelten Beziehung zur Körperwelt, teils als Sinn, um die Beziehung derselben auf seinen Trieb zu fühlen, teils als Organ, um seine Wirksamkeit darauf anzuschauen. In dieser Wirksamkeit ist es sich nun gegeben als das Eine und selbige Potential in der Selbstbestimmung, aber durch kein Wirken zu erschöpfen, und so Potential bleibend ins Unendliche. Es entsteht ihm in dieser Anschauung seines Einen unendlichen Potentials eine Unendlichkeit, nicht wie die ersterwähnte, in Einem Blicke, sondern eine solche, in der es sein unendliches Wirken anschauen könne; eine unendliche Reihe aufeinanderfolgender Glieder: die Zeit. Da diese Wirksamkeit ins Unendliche fort nur auf die Körperwelt gehen kann, so wird in der Einheit der Anschauung auch auf diese die Zeit übertragen, ohnerachtet diese Welt ihren eigentümlichen Unendlichkeitsausdruck schon hat an der unendlichen Teilbarkeit des Raumes und aller seiner Teile. Es ist klar, daß der Zustand, da das Potential sich lediglich der Anschauung der Körperwelt hingibt, und in derselben aufgeht, mit demjenigen, da es auf seinen Trieb auf die schon erkannte zu wirken aufmerkt, auseinanderfällt; daß jedoch auch in dem letzten Zustande ein Schema der vorhandenseinsollenden Dinge bleibt, damit der Trieb auf sie bezogen werden könne: und dies bildet den Zusammenhang zwischen diesen beiden auseinanderfallenden Zuständen der Anschauung. Dieses ganze Gebiet der Anschauung ist, wie gesagt, Ausdruck und Schema des bloßen Potentials. Da das Potential, ohne Schema des göttlichen Lebens, nichts ist, hier aber dasselbe in dieser seiner Nichtigkeit schematisiert wird, so ist dieses ganze Gebiet nichts, und nur in seiner Beziehung auf das wirkliche Sein, indem dessen faktische Möglichkeit dadurch bedingt ist, erhält es eine Bedeutung.

X.
Es liegt im Potential ferner die Bestimmung, sich zu erheben zum Ersehen des Solls, dessen faktische Vollziehung nun, nachdem das gesamte Gebiet der Anschauung da ist, unmittelbar und an sich möglich ist. Wie aber und auf welche Weise wird diese Erhebung geschehen? Was in der Anschauung festhält, und die eigentliche Wurzel derselben ist, ist der Trieb; diesem zufolge hängt das Potential am Anschauen, und bleibt in demselben gefangen. Die Bedingungen und der eigentliche Akt des nun vollziehbaren Potentials wäre daher das Sichlosreißen vom Triebe, die Vernichtung desselben, als unsichtbaren und blinden Triebes des Schematisierens; und so würde, da das Prinzip wegfällt, auch die Folge, das Gehaltensein in der Anschauung, wegfallen. Das Wissen stände nun da, als Eins, so wie die Wissenschaftslehre bei ihrem Beginnen es erblickt; es würde in dieser seiner Wesens-Einheit eingesehen als unselbständig und bedürftig eines Trägers, des Einen, das da ist an sich durch sich. – Ein Wissen in dieser Form ist kein Anschauen mehr, sondern ein Denken, und zwar das reine, oder das Intelligieren.

XI.
Ehe wir dies weiter verfolgen, müssen wir von diesem Mittelpunkt aus der erst dargelegten Sphäre der Anschauung eine ihr noch ermangelnde Bestimmung hinzufügen. – Lediglich durch den blinden Trieb, der der einzig möglichen Richtung des Solls ermangelt, wird das Potential in der Anschauung zu einem unbestimmten; wo es als absolut schematisiert wird, unendlichen, wo es als bestimmtes, wie als Prinzip, gegeben wird, wenigstens zu einem mannigfaltigen. Von diesem Triebe reißt nun durch den eben angegebenen Akt des Intelligierens das Potential sich los, um sich zu richten auf Eins. So gewiß es nun zur Hervorbringung dieser Einheit, und zwar zuvörderst innerlich und unmittelbar im Potential selbst, weil nur unter dieser Bedingung sie auch äußerlich im Schema erblickt werden konnte, eines besonderen Aktes bedurfte, so gewiß war in der Sphäre der Anschauung das Potential nicht als Eins angeschaut, sondern als ein Mannigfaltiges; dieses Potential, das nun durch die Selbstanschauung zum Ich geworden ist, war in dieser Sphäre nicht Ein Ich, sondern es zerfiel notwendig in eine Welt von Ichen. Dies zwar nicht in der Form der Anschauung selbst. Das ursprünglich schematisierende, und das dieses Schema unmittelbar und in der Tat seines Werdens als Schema erkennende Prinzip sind notwendig numerisch Eins, nicht zwei; und so ist denn auch auf dem Gebiete der Anschauung das unmittelbar sein Anschauen Anschauende nur ein einziges, in sich verschlossenes, gesondertes, in dieser Rücksicht jedem anderen unzugängliches: das Individuum eines jedweden, deren aus diesem Grunde jedweder nur Eins haben kann. Wohl aber muß diese Trennung der Iche einfallen in derjenigen Form, in welcher allein auch die Einheit hervorgebracht wird, in der des Denkens: daß daher das beschriebene Individuum, so einzeln es auch in der unmittelbaren Selbstanschauung bleibt, wenn es sich im Denken auffaßt, in diesem Denken sich finden würde als ein Einzelnes, in einer Welt ihm gleicher Individuen; welche letztere, da es dieselben nicht als freie Prinzipe, so wie sich selbst, unmittelbar anschauen könnte, es als solche nur durch einen Schluß aus ihrer Wirkungsweise auf die Sinnenwelt erkennen könnte. Aus dieser weiteren Bestimmung der Sphäre der Anschauung, daß in ihr das durch sein Sein aus Gott einige Prinzip in mehrere zerfalle, folgt noch eine andere: Dieses Zerfallen selbst in dem Einen Denken, und die dabei dennoch stattfinden müssende gegenseitige Anerkennung wäre nicht möglich, wenn nicht das Objekt der Anschauung und des Wirkens aller Eine und die selbige, ihnen Allen gleiche Welt wäre. Die Anschauung einer Sinnenwelt war nur dazu da, daß an dieser Welt das Ich, als absolut sollendes, sich sichtbar würde. Dazu bedarf es nicht mehr, als daß eben die Anschauung einer solchen Welt nur an sich sei; wie sie sei, darauf kommt durchaus nichts an, indem zu jenem Zwecke jede Gestalt derselben gut ist. Aber, das Ich soll noch überdies sich als Eines in einer gegebenen Vielheit von Ichen erkennen, und dazu gehört, außer den schon angegebenen allgemeinen Bestimmungen der Sinnenwelt, auch noch diese, daß sie für jedes anschauende Individuum dieselbe sei. Derselbe Raum, und dieselbe Erfüllung desselben für alle; ohnerachtet es der individuellen Freiheit überlassen bleibt, diese gemeinsame Erfüllung in einer eigentümlichen Zeitfolge aufzufassen. Dieselbige Zeit und ihre Ausfüllung durch sinnliche Begebenheiten für alle; ohnerachtet in seinem eigenen Denken und Wirken es jedem freisteht, sie auf seine eigene Weise auszufüllen. Das Soll der Sichtbarkeit des Solls, wie es aus Gott ausgeht, ist ja an das Eine Prinzip gestellt, wie denn aus Gott nur Ein Prinzip ausgeht; und so ist es denn, zufolge der Einheit des Potentials, jedem Individuum an sich möglich, zu schematisieren, – und es muß jedes, unter der Bedingung, daß es auf dem Wege der Erblickung des Soll befindlich sei, schematisieren – seine Sinnenwelt nach dem Gesetze jener ursprünglichen Übereinstimmung. Ich könnte sagen: es kann an sich und es muß, unter der angegebenen Bedingung, die wahre Sinnenwelt konstruieren; diese nämlich hat, außer den oben abgeleiteten allgemeinen und formalen Gesetzen gar keine andere Wahrheit und Realität, als diese allgemeine Übereinstimmbarkeit.

XII.
Kehren wir zurück zum reinen Denken oder Intelligieren. – Das Wissen ist durch dasselbe eingesehen, als sein könnend allein Schema des göttlichen Lebens. In diesem Denken habe ich das Wissen nicht unmittelbar, sondern nur in einem Schema; noch weniger unmittelbar das göttliche Leben, sondern dieses nur in einem Schema des Schema, in einem doppelt ertöteten Begriffe. Besinne ich mich, – und ein solches Potential unmittelbar mich zu besinnen muß, um des sogleich anzugebenden Grundes willen, im allgemeinen Potential liegen – besinne ich mich, daß ich das soeben gesagte einsehe, daß ich es daher einsehen kann, daß, da laut der zu Stande gebrachten Einsicht das Wissen Ausdruck Gottes ist, auch dieses Potential selbst sein Ausdruck ist, daß das Potential da ist, um vollzogen zu werden, daß ich demnach, zufolge meines Seins aus Gott, es einsehen soll. Nur auf dem Wege dieser Besinnung komme ich zur Einsicht, daß ich an sich soll; aber ich soll zu dieser Einsicht kommen; es muß daher, wie erwiesen werden sollte, ein absolutes Potential dieser Besinnung, gleichfalls zufolge meines Seins aus Gott, im allgemeinen Potential liegen. Diese gesamte jetzt beschriebene Sphäre offenbart sich demnach als ein Soll des Ersehens: daß ich, das in der Sphäre der Anschauung schon ersehene Prinzip, daß ich soll. In ihr ist das durch die bloße Besinnung unmittelbar als Prinzip sichtbar zu machende Ich Prinzip des Schemas, wie sich dies an der hervorgebrachten Einsicht vom Wissen in seiner Einheit, und vom göttlichen Leben, als dem Träger desselben, zeigt, wo ich, nach unmittelbarer Besinnung, hinzuzusetzen vermag: ich denke das, ich bringe hervor diese Einsicht. Dieses Wissen durch das unmittelbar als Prinzip sichtbare Prinzip heißt, wie gesagt, reines Denken, zum Unterschiede von dem durch das unmittelbar unsichtbare Prinzip, dem Anschauen. Beide, das reine Denken und das Anschauen, fallen also auseinander, daß das letztere durch das erstere bis in sein Prinzip aufgehoben und vernichtet wird. Ihr Zusammenhang aber wird dadurch gebildet, daß das letztere die faktische Möglichkeit des ersten bedingt; auch daß das in dem letzteren erschienene Ich in seinem bloßen Schema (denn in seiner Wirklichkeit ist es zugleich mit dem Triebe vernichtet) auch im ersteren bleibt, und darauf sich besonnen wird.

XIII.
In diesem beschriebenen Denken denke ich bloß das Wissen, als Schema des göttlichen Lebens sein könnend, und da dieses Können der Ausdruck Gottes ist, der auf das Sein geht, als dasselbe sein sollend; keineswegs aber bin ich es. Es wirklich zu sein, kann keine Gewalt mich nötigen; wie denn auch früher keine mich nötigen konnte, auch nur die Anschauung der wahren sinnlichen Welt zu vollziehen, oder zum reinen Denken, und dadurch zur wirklichen, aber leeren Einsicht des absolut-formalen Soll mich zu erheben. Dies steht in meinem Potential; aber nun, da alle faktischen Bedingungen schon vollzogen sind, steht es auch unmittelbar in meinem Potential. Wenn ich nun, von einer Seite fallen lassend das nichtige Anschauen, von der anderen das leere Intelligieren, mit absoluter Freiheit und Unabhängigkeit davon, mein Potential vollziehe, was wird erfolgen? Ein Schema; ein Wissen demnach, das durch das Intelligieren ich schon kenne, als das Schema Gottes, das aber in dem jetzt vollzogenen Wissen unmittelbar mir erscheint als das, was ich an sich soll. Ein Wissen, dessen Inhalt weder hervorgeht aus der Sinnenwelt, denn diese ist vernichtet, noch aus der Betrachtung der leeren Form des Wissens, denn auch diese habe ich fallen lassen; sondern das da ist durch sich selbst, an sich, wie es ist, sowie das göttliche Leben, dessen Schema es ist, an sich durch sich selbst ist, wie es ist. Ich weiß nun, was ich soll. Aber alles wirkliche Wissen führt durch sein formales Wesen seinen schematischen Beisatz mit sich, ohnerachtet ich also nun weiß von dem Schema Gottes, so bin ich dennoch noch nicht unmittelbar dieses Schema, sondern ich bin nur Schema des Schemas. Das geforderte Sein ist noch immer nicht vollzogen. Ich soll sein? Wer ist dieser Ich? Offenbar der seiende, der in der Anschauung gegebene Ich, das Individuum. Dieser soll sein. Was bedeutet sein Sein? Als Prinzip in der Sinnenwelt ist er gegeben. Der blinde Trieb ist zwar vernichtet, und statt dessen steht nun das hell ersehene Soll da. Aber die Kraft, die erst den Trieb in Bewegung setzte, bleibt, daß nun das Soll sie in Bewegung setze, und ihr höheres bestimmendes Prinzip werde. Durch diese Kraft soll ich daher darstellen in der Sphäre dieser Kraft, der Sinnenwelt, und in ihr anschaubar machen, was ich als mein wahres Wesen anschaue in der übersinnlichen Welt. Die Kraft ist gegeben als ein Unendliches; was daher in der Einen Welt des Gedankens an sich Eins ist, das was ich soll, – wird in der Welt der Anschauung für meine Kraft eine unendliche Aufgabe, an der ich zu lösen habe in alle Ewigkeit. Nur in der Anschauung kann diese Unendlichkeit, die eigentlich eine Unbestimmtheit ist, stattfinden, keineswegs in meinem wahren einfachen Sein, das, als Schema Gottes, so einfach und so unwandelbar ist, wie er selbst. Wie kann, innerhalb der doch fortdauernden, und durch das absolute Soll, als gerichtet an mich Individuum, ausdrücklich geheiligten Unendlichkeit, diese Einfachheit hervorgebracht werden? Wenn in dem Ablaufe der Zeit in jedem neueintretenden Momente das Ich durch den Begriff dessen, was es soll, in einem besonderen Akte sich bestimmen müßte, so wäre es in seiner ursprünglichen Einheit allerdings unbestimmt, und lediglich in der unendlichen Zeit immerfort bestimmbar. Es könnte aber ein solcher bestimmender Akt in der Zeit möglich werden nur im Gegensatze mit einem Widerstande. Dieses Widerstehende aber, und durch den Akt der Bestimmung zu Bezwingende, könnte nichts Anderes sein, denn der sinnliche Trieb; es wäre darum die Notwendigkeit einer solchen fortzusetzenden Selbstbestimmung in der Zeit der sichere Beweis, daß der Trieb nicht durchaus ertötet worden, wie wir dies doch bei der Erhebung zum Leben in Gott vorausgesetzt haben. Durch die wirkliche und gänzliche Ertötung des Triebes ist jene unendliche Bestimmbarkeit selbst vernichtet, und in eine einzige absolute Bestimmung aufgenommen. Diese Bestimmung ist der absolut einfache Wille, der das ebenso einfache Soll zum treibenden Prinzip der Kraft erhebt. Laßt diese Kraft nun ablaufen ins Unendliche, wie sie muß; der Wandel ist nur in ihren Produkten, keineswegs in ihr selbst, sie ist einfach, und ihre Richtung ist Eine, und diese ist mit einemmale vollendet. Und so ist denn der Wille derjenige Punkt, in welchem Intelligieren und Anschauen oder Realität sich innig durchdringen. Er ist ein reales Prinzip, denn er ist absolut, und unwiderstehlich die Kraft bestimmend, haltend aber und tragend sich selbst; er ist ein intelligierendes Prinzip, er durchschaut sich, und er schaut das Soll an. In ihm ist das Potential vollständig erschöpft, und das Schema des göttlichen Lebens zur Wirklichkeit erhoben. Das unendliche Wirken der Kraft selbst ist nicht um seiner selbst willen, und als Zweck; sondern es ist nur, um das Sein des Willens in der Anschauung zu dokumentieren.

XIV.
So endet denn die Wissenschaftslehre, welche in ihrem Inhalte die Vollziehung des soeben ausgemessenen absoluten Potentials zu intelligieren ist, mit der Erkenntnis ihrer selbst, als eines bloßen Schemas, jedoch als eines notwendigen und unentbehrlichen Mittels, in einer Weisheitslehre, das ist in dem Rat, nach der in ihr erlangten Erkenntnis, durch welche ein sich selbst klarer und auf sich selbst ohne Verwirrung und Wanken ruhender Wille allein möglich ist, sich wieder dem wirklichen Leben hinzugeben; nicht dem in seiner Nichtigkeit dargestellten Leben des blinden und unverständigen Triebes, sondern dem an uns sichtbar werden sollenden göttlichen Leben.

 

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