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Kategorie: Wissen & Bildung

Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preisverleihung 2017 in der Frankfurter Paulskirche, Teil 4/4

Hubertus von Bramnitz

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ein großes Lob den Herstellern der Hintergrundinformationen zur Verleihung der Preise, die auch dem Normalbürger es zumindest möglich machen, zu verstehen, um was es geht, welche Auswirkungen die ausgezeichneten Forschungen auf unser Leben haben und wie das Ganze einzuordnen ist.


Der diesjährige Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreisträger Dr. Volker Busskamp ist Biotechnologe, Neurowissenschaftler und Stammzellforscher. Aus diesen drei Perspektiven blickt er seit einem knappen Jahrzehnt auf die Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten der Retinitis pigmentosa, einer erblich bedingten Form der Blindheit, und verknüpft Nervenzellen im Labor zu künstlichen Schaltkreisen. Als Biotechnologe geht er dabei sehr anwendungsorientiert vor. Er hat die Grundlagen für eine mögliche Gentherapie bei der Retinitis pigmentosa gelegt und seine künstlichen Schaltkreise sind ein robustes und reproduzierbares Werkzeug für eine Fülle von Anwendungen. Busskamp ist derzeit Nachwuchsgruppenleiter am DFG-Forschungszentrum für regenerative Therapien der TU Dresden (CRTD).

 

Die Karriere des diesjährigen Nachwuchspreisträgers begann im Labor von Prof. Botond Roska am Friedrich Miescher-Institut in Basel. Roska ist einer der weltweit führenden Spezialisten für die Erforschung der Retinitis pigmentosa. Die Netzhaut des Auges besitzt zwei Formen von Sinneszellen, die Stäbchen und die Zapfen. Die Stäbchen sind für das Sehen in der Dämmerung und bei Nacht zuständig. Die Zapfen werden für das Sehen bei Tag benötigt, für das Erkennen von Farben und für das scharfe Sehen, also auch für das Erkennen von Gesichtern und Buchstaben. Die Sinneszellen verwandeln die aufgenommen Lichtenergie in ein elektrisches Signal, das dann von den inneren Netzhautzellen bearbeitet und über den Sehnerv ans Gehirn geleitet wird. Bei der Retinitis pigmentosa sterben die Stäbchen durch eine Mutation ab. Im weiteren Verlauf verlieren auch die Zapfen ihre lichtempfindlichen Antennen, verharren noch eine Weile in der Netzhaut und sterben dann allmählich ab.

 

Roska und Busskamp haben Gentherapien entwickelt, mit denen blinden Mäusen ein Teil ihrer Sehkraft zurückgegeben werden konnte. Bei der ersten Gentherapie, an der Busskamp beteiligt war, erhielten die Zellen der inneren Netzhaut ein fremdes lichtsensitives Gen. Da diese Zellen normalerweise nicht in die Wahrnehmung des Lichtes involviert sind, machte sie das zu künstlichen Sinneszellen. Die Wahrnehmung des Lichtes ist bei dieser Form der Gentherapie also von den defekten Sinneszellen der Netzhaut auf die innere Netzhaut verschoben worden. Dadurch wurde etwa die Hälfte der Signalwege in den Netzhäuten der blinden Mäuse wiederbelebt.

 

Bei der zweiten Gentherapie wurden die defekten Sinneszellen der blinden Mäuse direkt therapiert. Busskamp hatte herausgefunden, dass die Zapfen nach dem Verlust der lichtsensitiven Antennen langsamer zugrunde gehen als angenommen. Er beschloss daher, die Phase, in der die Zapfen keine Funktion mehr haben, aber auch noch nicht abgebaut worden sind, für eine Gentherapie zu nutzen. Busskamp schleuste ein lichtsensitives Gen in diese funktionslosen aber noch nicht degenerierten Zapfen ein und stellte dadurch die verlorengegangene Lichtempfindlichkeit wieder her. Durch diesen Eingriff wurden auch alle nachgeschalteten Signalwege wieder aktiv. Die Mäuse konnten wieder so gut sehen, dass sie verschiedene visuelle Verhaltenstests meisterten. Busskamp zeigte des Weiteren, dass dieses Konzept auch für eine Gentherapie bei Patienten mit Retinitis pigmentosa in Frage kommt. Inzwischen treibt das französische Startup-Unternehmen „Gensight“ die klinische Anwendung dieser Gentherapie voran.

 

Busskamp interessiert sich zudem für die Umstände, die zum Untergang der lichtsensiblen Zapfen führen. Kritisch sind offenbar eine Reihe kleinerer Ribonukleinsäuren. Diese sogenannte mikroRNAs oder miRNAs können andere Botenribonukleinsäuren abfangen und verhindern dadurch, dass diese in Proteine übersetzt werden. Busskamp fand heraus, dass offensichtlich zwei spezielle miRNAs vorhanden sein müssen, damit die Sinneszellen lichtempfindlich bleiben. Wenn diese beiden Schnipsel gezielt aus dem Verkehr gezogen werden, verlieren die Zapfen ihre Antennen. Erhalten die Sinneszellen diese miRNAs wieder zurück, werden sie auch wieder lichtempfindlich. Die Schnipsel funktionieren damit wie ein An- und Ausschalter. Sie kommen daher auch für eine Gentherapie in Frage.

 
„Wir haben mit unseren Laborversuchen gezeigt, dass eine Gentherapie bei der Retinitis pigmentosa möglich ist und Strategien entwickelt“, sagt Busskamp. „Wir können jetzt nur hoffen, dass die klinischen Studien ähnlich vielversprechend sein werden wie unsere Tierexperimente“.

 

 

Nervenzellen aus induzierten Stammzellen

Die Netzhaut des Auges ist ein bemerkenswertes System. Sie erhält neben dem Licht keine weiteren Reize, auch nicht aus dem Gehirn. Busskamp stellte sich daher die Frage, ob Nervenzellen auch im Labor zu überschaubaren Schaltkreisen verknüpft werden können. Dafür müsste man allerdings auf größere Mengen von Nervenzellen und verschiedene Nervenzelltypen zurückgreifen können. Es gibt nämlich insgesamt 320 verschiedene Typen. Um dieser Frage nachzugehen, wechselte Busskamp 2011 in das Labor von Prof. George Church an der Harvard Medical School in Boston. Church gehört zu den renommiertesten und vielseitigsten Forschern der Welt.



Gesteuert wird die Differenzierung von Stammzellen in verschiedene Nervenzelltypen durch sogenannte Transkriptionsfaktoren, die das zelluläre Programm in die eine oder andere Richtung lenken. Statt den alten, komplizierten Protokollen zu folgen, setzte Busskamp auf einzelne Transkriptionsfaktoren. Mit den richtigen Faktoren im Schlepptau konnte er innerhalb kürzester Zeit eine nahezu reine Population von bipolaren Nervenzellen aus induzierten menschlichen Stammzellen herstellen. Im Folgenden entschlüsselte Busskamp die Signalwege, die zu dieser Differenzierung führen und erstellte ein zusammenhängendes Modell für die Erzeugung bipolarer Nervenzellen aus induzierten Stammzellen – eine Blaupause sozusagen. Busskamp zeigte des Weiteren, dass diese Blaupause abgewandelt werden kann, so dass andere Nervenzelltypen entstehen. „Im Grunde wäre es wünschenswert eine Blaupause für jeden der 320 Nervenzelltypen zu haben“, sagt Busskamp. „Dann hätten wir einen einzigartigen Werkzeugkasten für die Forschung.“


 

Präzise Nervenschaltkreise

Busskamp macht heute neuronale Schaltkreise aus diesen in der Petrischale erzeugten Nervenzellen, quasi kleine biologische Computer. Diese Schaltkreise können als Modelle für Erkrankungen oder für die Grundlagenforschung genutzt werden. Gefördert wird Busskamps Forschung am CRTD durch ein Freigeist-Fellowship der VolkswagenStiftung. „Es ist sehr wichtig, dass wir diese Schaltkreise reproduzierbar herstellen können“, sagt Busskamp „Normalerweise vernetzen sich die aus Stammzellen hergestellten Nervenzellen willkürlich. Wir brauchen aber ein reproduzierbares System, damit wir die gewonnen Informationen zu einem großen Bild zusammenfügen können. Nur so können wir tatsächlich etwas über die neuronalen Prozesse lernen“.

 

Weil Busskamp möglichst viele der 320 verschiedenen Nervenzelltypen herstellen und verwenden will, warb er auch einen renommierten Starting Grant des European Research Council (ERC) ein. Mit dieser Finanzierung wird Busskamp alle menschlichen Transkriptionsfaktoren unabhängig von ihrer entwicklungsbiologischen Funktion auf ihre neurogene Wirkung testen. Die Faktoren, die aus induzierten Stammzellen Nervenzellen machen, wird Busskamp weiter untersuchen. Er arbeitet dabei mit George Church zusammen. Busskamp will letztlich ein Schaltbrett für die Neurogenese entwickeln. Auf diesem Schaltbrett wären dann alle relevanten Faktoren verzeichnet, die gezielt angesteuert werden müssen, um die Differenzierung in die eine oder andere Richtung zu lenken. Das würde die Herstellung der verschiedenen Nervenzelltypen enorm erleichtern.

 
Foto: (c) medizin.uni-tuebingen.de