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Kategorie: Zeitgeschehen
hz Neue Linke und Israel Sechstagekrieg opt 2017Internationale Tagung zum Thema ‚Der Sechstagekrieg und das Israelbild der deutschen Linken‘ Teil 1/2

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der politische Diskurs ist mit steigender Tendenz an Klientelismus und Tribalismus verloren gegangen, Aufklärung und Vernunft sind in Verruf gekommen. Der Kampf um schwindende Ressourcen, die sich der gemeine Raub geholt hat, tobt. Freier Geist wird verneint. Der Begriff Nation, die Dummheit des 19. Jahrhunderts, wird wieder gepriesen, obwohl sie eine Sackgasse ist. Der Populismus ist seine neueste Variante.

Die Zivilisation zerfällt, sagen viele

Wo kann ein Besuch im fremden Land sich noch erfreulich anlassen - die Türkei ging verloren, nun ist‘s mit ihr erst mal vorbei, 2015 gerade nochmal Glück gehabt mit ihr! - Überall droht Lebensgefahr, wenige Gegenden garantieren noch Geborgenheit. National-religiöser und ethnischer Tribalismus tritt verstärkt auf. Menschen suchen Sündenböcke. Globalisierung und Deregulierung haben unzählige Abgehängte produziert, deren Wut steigt.

Kürzlich lief der Tatort zu den imaginären ‚Rostocks‘, den manisch-aggressiv Ausgeflippten des Fußballs, in einer Funktion des dürftigsten Lebensersatzes. Nach diesen und ähnlichen Vorbildern geht‘s zu in der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Welt, nämlich gewalttätig, hinterhältig und verschlagen (‚Im Garten Eden der Spekulanten‘, FR 30.05.2017; mitten in Frankfurt am Main - mit Geldern aus Geldwäsche, Mord inklusive). Dies geschieht in Verfolgung der lächerlichen männlichen Logik von Herrschaft, Geld und Macht, was nur mit nicht auskurierten Profilneurosen des männlichen Egos zu erklären ist. Weibliche Ausführungen des Elends sind auch schon in diese Schule ‚der Männlichkeit‘ gegangen.

Die Warlord-, Milizen-, Greifer- und Pistolero-Mentalität des Stammeskriegertums wächst, reicht bis in höchste politische Kreise. Putin ist der Diplomat der Warlords, Milizen und oligopolistischen politischen Epizentren. Merkel hält die vernünftige Stellung, gut dass die CDU sie hat. So viele Mannsgestalten sind nicht zu ertragen, sammeln sich als gestrandeter Irrwitz, irrlichternd als Trump, Putin, Erdogan, Netanjahu, Orban und Kaczynski. Die Bluts-Lösung wird präferiert, Aufklärung ade. All diese Wandelnden sind Getriebene ohne Identität, halten sich aber für legitime Weltbestimmer. Erreichen tun sie für ihre Länder kein Gutes. Das primitive Denken ist in die Weltelite eingezogen, die Karre überall verfahren, nur Dilettieren im Tollhaus garantiert das Jetzt-erst-recht-und-weiter-so - wie lange noch?


Die beliebte Methode der Denunziation

Das Treffen am vergangenen Wochenende zum Thema ‚Der Sechstagkrieg und das Israelbild der deutschen Linken‘ lief ohne Inspiration ab, der zweite Tag bot Klientelbeiträge, der Historiker Wolfgang Kraushaar blieb seine ganz eigene Klientel. Sein Dreh bestand darin, die Neue Linke - besser hätte er von Sechzigern oder Achtundsechzigern gesprochen - allein von den großen und kleinen Obermackern und Leitfiguren herzuleiten, die den Normalachtundsechzigern herzlich gleichgültig waren und äußerst distanziert betrachtet wurden. Kurze Hospitationen in Polit-Sekten gerieten zur Offenbarung. Nur der Slogan des SDS: ‚Alle reden vom Wetter, wir nicht‘, war für unsere Lebenszeit Programm. Kraushaar will verkennen, welch eine Zeitenwende 68 für die Kinder der in Vernichtungskrieg und Holocaust verstrickten Väter war. Hätte 68 nicht stattgefunden, hätte das für die Nach-Holocaust-Generation ein elendes Leben bedeutet – bis heute und darüber hinaus!

Kraushaars Intention war, die Neue Linke und die Achtundsechziger mit terroristischen Figuren à la Baader, Ensslin, Hans-Joachim Klein und Horst Mahler in eine direkte Linie zu stellen, obgleich derartige Verirrungen - sofern dafür überhaupt angemessene Bezeichnungen zur Verfügung stehen - die Sache weniger waren, wobei tragische Irrtümer in adoleszenten Bewegungen leider kaum ganz auszuschließen sind. Krass Irren und Fehlen gehört zur Tragik des ‚moralistischen‘ Enthusiasmus spätadoleszenter Bewegungen und ihrer Selbstfehlinterpretation. Es ist auch nicht der wiedergekehrte faschistische Papa, der den Terror der RAF oder der Tupamaros Westberlin (und München) zu erklären vermag.

Die angemaßten Führer und Verkünder der hohl gestanzten Revoluzzer-Phrasen wurden vom Normalachtundsechziger gar nicht für voll genommen. Man und frau merkte schnell: der infantile Extremismus ist multipel, frei flottierend, was sich mit dem späteren Übergleiten von Horst Mahler in den Rechtsextremismus dann auch bestätigte. Es ging um den Extremismus per se und per Exzess. Diesem war alles subordiniert. Kraushaar bezeichnete Mahler zutreffend als „Universalextremist“. Über die einzelne Psychologie ist er gut im Bilde.


Die Linke von 68 und das antisemitische Vorurteil

Kraushaar begreift die Neue Linke bzw. 68 nicht als soziale Bewegung, sondern erkennt sie lediglich als Protestbewegung an. Wäre 68 wirklich so wenig wirkmächtig gewesen, wie weit lägen wir heute zurück. Sechzigerjahre-Klänge und Achtundsechziger Politik haben uns zu dem gemacht, was wir wurden und darin fühlen wir uns bestätigt, wenn auch im nüchternen und selbstkritischen Modus. 68 in Politik und Musik war die Rettung vor dem Überdauern der schlechten Vergangenheit und beendete die Adenauer-Erhardsche Restaurationszeit. Heutige zivilgesellschaftliche Bewegungen leiten sich zum wesentlichen Teil von 68 her.

Es hätte mehr an systematischen Erkenntnissen gebracht, wenn die Moderatorin Silja Behre den zweiten Tag allein bestritten hätte. Sie war mit ihren wenigen, sehr präzisen und luziden Ausführungen die ungekrönte Kapazität in der Behandlung des gestellten Themas, während sie gleichzeitig wohl die Jüngste der Anwesenden war. Sie bewegte sich vorne außerhalb von angetipptem oder ausgeführtem Klientelismus unterschiedlicher Provenienz, wozu auch leider die institutionelle Wissenschaft gehört. Wesentlich für den abschließenden Tag war, dass Kraushaar den Antisemitismus genauso grundsätzlich links verorten wollte wie rechts.

Das antisemitische Vorurteil, das allgemeinste aller Vorurteile, taucht in seiner banalen Schlichtheit regelmäßig aus dem breiten Strom verwirrten Geistes auf. Der Antisemitismus ist der Fall der Fälle des allgemeinsten Vorurteils. Leider ist es kein Boxsack, sondern ausgesucht und perfide gegen eine Menschengruppe in Mord- und Raubabsicht gerichtet. Es trifft eine Gemeinde von Menschen, die sich als vermeintlicher Grund allen Übels am wohlfeilsten ‚eignen‘, weil sie als kosmopolitischste aller Gemeinden sich am ehesten dazu eignen als Sündenböcke für Versäumnisse und Defizite anderer Gemeinschaften herzuhalten; als Treteimer für den jeweiligen Abfall und Auswurf.


Wie 1967 auf den Sechstagekrieg reagiert wurde

Die These war: der Sechstagekrieg soll eine antisemitische Wende im Verhältnis von Linke und Israel herbeigeführt haben. Über die Tage des Sechstagekrieges darf aus der Zeit als Lehrling in einem Betrieb des Grafischen Gewerbes beurkundet werden. Günstiger Weise ging es nicht von der Schulbank direkt an die Uni. Dadurch war manchem politischen Irrtum vorgebaut.- Der Sechstagekrieg war im Betrieb oder an der Berufsschule mitnichten mit antiisraelischen oder antisemitischen Reflexen verbunden, weder bei Alt noch bei Jung, auch in keinem der diversen Lager, abgesehen vom rechten. Wir hatten einen Lehrer, der sich offen als Rassist und Antisemit outete. Die große Mehrheit erkannte den Krieg als präventive Reaktion auf die Bedrohung durch das Nasserische Regime. Äußerungen der Bewunderung über den Sieg waren zu vernehmen. Viele waren nicht sonderlich gut informiert, reagierten situativ; die meisten begriffen sich als ambivalent, wiegten auch schon mal den Kopf. Gefragt wurde: wie geht‘s denn nun weiter? Wie könnte eine Lösung des Konflikts aussehen?

Fortsetzung folgt

Foto: (c) Heinz Markert