hz Barry McGuire Psychedelisized.com 1Internationale Tagung zum Thema ‚Der Sechstagekrieg und das Israelbild der deutschen Linken‘ Teil 2/2

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Immer und überall gibt es die antisemitische Minderheit, gerade so wie dahingestreut. Wer aufgrund des im Einzelfall vielleicht unverständlich erscheinenden sechstägigen Präventionskriegs des noch jungen jüdischen Staates gegen hochgefährliche Gegner zum Antisemiten und Israelfeind wird oder dieser bleibt, hat ein Problem mit dem psychischen Apparat.

Da lagert etwas im Geheimen, das zutage treten möchte, sobald die Gelegenheit günstig ist. Dass an einem Krieg Kritik geübt wird, ist legitim - und nötig; wenn diese aber in Antisemitismus und Israelfeindschaft mündet, anstatt in Nachdenkstellung zu bleiben, dann liegt ein Krankheitsbild vor. Wobei die klinische Erklärung zum Problem würde, wenn sie der Verniedlichung diente, denn Antisemitismus ist das ausnehmend ‚radikale Böse‘ – dies als die gängige Formulierung, die als Verkürzung für etwas nicht eigentlich Verstehbares fungiert.


Kraushaar und die Neue Linke

Gegen die Tendenz von Kraushaars Negativzeichnung der Neuen Linken und von 68 - er hat eine persönliche Rechnung offen - ist einzuwenden: Die Neue Linke war keine genuine Entstehungsbedingung für Antisemitismus, konnte es aber im Einzelfall werden, weil Antisemitismus ein Standard ist, aufgrund seiner billigen Funktion für Abfuhr und Auswurf. Es ist billig die 68er Neue Linke auf einen ihr intrinsisch innewohnenden Antisemitismus zurückführen zu wollen. Antisemitismus verläuft auch nicht parallel zur Revolutionsromantik oder zu einer kruden Befreiungsideologie zugunsten der Dritten Welt. Der Antisemitismus ist eine anthropologische Konstante. Das Dritte-Welt-Thema und die geknechtete Menschheit sind allerdings ernste wissenschaftliche Sachgebiete, die nicht in Verruf kommen sollten.

Moralistischer Befreiungsenthusiasmus ist kein genuiner Entstehungsgrund für Antisemitismus und daraus abgeleiteter Israelfeindschaft. Antisemitismus findet immer irgendwo die Möglichkeit, als grenzenloses Vorurteil zu dienen. Ein anthropologischer Mechanismus ist die Ursache, der zu erforschen ist. Ihm liegt ein Problem im Baugrund einer fragwürdigen Spezies zugrunde. Aber keine irgendwie noch so plausible Erklärung kann irgendeiner rechtfertigenden Begründung dienen.

Antisemitismus wird von Kraushaar auch mit dem RAF-Terror in eine Linie gezeichnet, der gleichsam ein Seitenstück zu jenem sei. Der RAF-Terror ist aber - im Unterschied zum Antisemitismus - der Ausbund des Scheiterns der Einzelpsyche. Dies kann an Horst Mahler exemplarisch studiert werden. Kraushaar kennt Mahler gut, hat ihn aufgesucht und ihn befragt. Dessen Biographie spricht Bände, weist ungeheuerliche familiäre Vorkommnisse auf. Der Mann ist ein bereits lebenslang wandelnder Verunglückter, mit Schuldigem dahinter. Er hatte als Junge – an der Hand des nazistischen Vaters – Hitler-Reden imitiert.


Was dem Historiker abgeht

Gegen Kraushaars Modell ist der nüchterne und verborgene Normal-Achtundsechziger in Stellung zu bringen. Der Normal-Achtundsechziger hypt sich nicht zum einzigartig neuen Typ auf, ist im Regelfall ein ganz Nüchterner und das ist ihm genug. Achtundsechziger sehen sich durch das Gespinst der Gesellschaft mit ihren Geistverwandten im Einklang, identifizieren sich über alle Trennungen als Seelenverwandte, ohne sich darüber allzu sehr Rechenschaft abzulegen. Als solche gedenken sie ihrer angestammten Bewegtheit im Geiste. Das genügt ihnen völlig. In Einladungen präferieren sie sich gegenseitig. Kraushaar gehörte aber offenbar nie diesen Verbünden an, um sich derart in Raum und Zeit verorten zu können. Da ihm das abgeht, kann er so weit gehen, die Achtundsechziger mehr oder weniger komplett abzutun. Er ging in seinem Vortrag vom Objektivieren zum Abwerten über.

Insbesondere war Sechzig und Achtundsechzig einerseits die jugendliche Musikkultur, für die so schnell keine Nachfolge in Aussicht ist - wobei sie allerdings subkutan im Geschäft fortwirkt – und andererseits Neue Politik. Diese wurde für den Künstler Beuys zentral.


Wie also weiter nach dem Krieg?

Wenn man in ein Land mit heiklem Mandat und unklaren Besitzverhältnissen einwandert und damit die alteingesessene Bevölkerung in ihrer Existenz tangiert und die emotionalen Befindlichkeiten durcheinanderbringt, dann wäre es doch wohl angezeigt, nach einem Sieg in Vorlage zu treten, angestammte menschliche Rechte zu gewärtigen und ein gemeinsames offensives Aufbauwerk – mit einer Zweistaatenlösung - anzubahnen und in Szene zu setzen. Und auf diese Weise die Interessen auszugleichen. Der Ausgleich ist das entscheidende Moment - er ist eine Billigkeit. Wann denn soll eine Gelegenheit noch günstiger werden?

Das also hätten wir damals nach dem 10. Juni 1967 erwartet, im Jahr von Flowerpower und San Franzisco (‚be sure to wear some flowers in your hair‘), der Öffnung hin zu versucherisch Neuem in Mode, Gesellschaft und Politik. Aber nichts davon trat ein, die althergebrachte Männerwirtschaft blieb weitgehend bestehen, wie seit Abertausenden von Jahren einer Misere - die alte Leier obsiegte. 50 Jahre später ist die Lage verfahrener denn je.

Wir hätten nach einem so klaren Sieg erwartet, dass die Begründer Israels auf die zerstreute und displazierte Bevölkerung betroffener Gebiete zugehen und ein epochales Zweistaatenfriedenswerk mit ganz viel Investition und Gehirnschmalz einleiten würden - und zwar unmittelbar an den Leithammeln und Wichtigtuern der anderen Seite vorbei. Der Song ‚Eve of Destruction‘ von Barry McGuire hätte die Begründer eigentlich zu einem solchen Werk motivieren können, in einer Zeit des großen und weltweiten Auf- und Umbruchs.

Aber die Führer konnten nicht über ihren Schatten springen. Damit bekamen die Muslimbrüder und ähnliches Gelichter ihre Grundlage zusätzlich verschafft. Solcher Gedanken und Versäumnisse haben wir in all den Jahren schon hunderte Male gedacht.


Am Ende des Tages doch noch mitnehmbar

Der Abschluss der Tagung bot immerhin noch zwei Ausnahmegestalten mit dem Historiker Jeffrey Herf von der University Maryland (Washington) und der Bielefelder Zeithistorikerin Ingrid Gilcher-Holtey. Diese hatten nichts Verdrücktes auszupressen und keinen Klientelismus zu vertreten. Herf bestätigte das Motto der Achtundsechziger: ‚Think for yourself‘ – denk´ selbst; lass dich von deinem Inneren leiten, nicht von außen fremdsteuern – lass dich nicht dumm machen! So haben es die Sechziger des Aufbruchs in ihrer überwiegenden Mehrheit auch gehalten.

Gilcher-Holtey sprach von der Wahrnehmungsrevolution, die zur experimentellen Erprobung einer anderen Gesellschaft führte, Politik wurde präfigurativ neu gedacht, Beuys führte die soziale Plastik ein. Die Zivilgesellschaft, die neuen sozialen Bewegungen, knüpften an dem zentralen Begriff der Partizipation an – das war Rudi Dutschkes Steckenpferd -, niemand soll zurückgelassen werden, niemand überhört. Schuld muss auch einbekannt werden, sie geschieht am besten aber durch Veränderung der Gegenwart. 68 muss fortgesetzt werden.

Foto: (c) Barry-McGuire-Psychedelisized.com