kpm Bundesparteitag der Grunen 2017 c DeutschlandfunkEin Abschiedsbrief an die Grünen

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Kampf um die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen wurde in der zweiten Hälfte der 70er Jahre und zu Beginn der 80er vorrangig als Grundsatzstreit zwischen kapitalistischer Produktion und Allgemeinwohl ausgefochten.

Denn Kern-und Kohlekraftwerke sowie chemische Industrie und Verbrennungsmotore emittieren Schadstoffe, deren Auswirkungen die Gesundheit der Menschen nachhaltig bedrohen. Wer diese Gefahren beseitigen will, muss zwangsläufig ihre Ursachen bekämpfen und deswegen auch die überkommene Profitwirtschaft in Frage stellen.

Der Konflikt hatte sich seinerzeit entzündet am projektierten Kernkraftwerk Wyhl in Südbaden, das wegen des massiven Widerstands der Bevölkerung nie gebaut wurde. Oder an den tatsächlich errichteten AKWs in Brokdorf (Unterelbe) und Esensham (Unterweser). Damals sammelten sich beispielsweise in der „Bürgeraktion Küste“ Alt-68er, Sozialdemokraten und kritische Vertreter des bürgerlichen Lagers. Aus den Bürgerinitiativen entwickelten sich schnell politische Parteien mit neuen Inhalten. Parteien, welche die Ökologie in den Vordergrund stellten. So wie die „Grüne Liste Umweltschutz - GLU“ in Niedersachsen und die „Grün-Alternativen Liste - GAL“ in Hamburg. Allerdings wiesen sie mehrheitlich eine Schwachstelle auf. Denn die Diskussion über die gesellschaftlichen Ursachen der Umweltvergiftung wurden selten zu Ende geführt.

Bewegungen, die ihre Ideen unzureichend verifiziert haben, sind für falsche Freunde attraktiv. Für die Grünen waren das die „Grüne Aktion Zukunft - GAZ“ des ehemaligen CDU-Politikers Herbert Gruhl und die rechte Sammlungsbewegung „Aktionsgemeinschaft unabhängiger Deutscher AUD“, die seit 1965 bestand. Bei der Bayerischen Landtagswahl 1978 traten GAZ und AUD gemeinsam unter der Bezeichnung „Die Grünen“ an. In Freising erreichte das Wahlbündnis immerhin 4,8 Prozent der Erststimmen.

Der Vorstand der AUD und die Vorsitzende des Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz, Petra Kelly, vereinbarten daraufhin die Beteiligung an der Wahl zum Europaparlament, die für Juni 1979 anstand. Auch die „Grüne Liste Umweltschutz“, die „Grüne Aktion Zukunft“ und die „Grüne Liste Schleswig-Holstein“ traten der Listenverbindung bei. Im Januar 1980 fand in Karlsruhe der Gründungsparteitag der Grünen statt. Dabei löste sich die AUD auf und trat vollständig der neuen Partei bei. Der Einfluss von ehemaligen AUD-Mitgliedern mit einem national-konservativen Weltbild machte sich vor allem in den süddeutschen Landesverbänden bemerkbar.

Im Mai 1990 schloss sich das ostdeutsche „Bündnis 90/Grüne“ der gesamtdeutschen grünen Partei an, die sich fortan „Bündnis 90/Die Grünen“ nannte.

An das, was danach kam, erinnert man sich vermutlich noch sehr gut. Nach den Bundestagswahlen 1998 stellten SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung; Gerhard Schröder wurde Bundeskanzler. 2002 wurde diese Koalition von den Wählern bestätigt. Unter dem Eindruck der von Schröder formulierten „Agenda 2010“ mit ihren umstrittenen Arbeitsmarktreformen (u.a. die so genannten Hartz-Gesetze beinhaltend) zeigten sich Auflösungserscheinungen. 2005 ging die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen für SPD und Grüne verloren. Gerhard Schröder setzte daraufhin alles auf eine Karte und sprach sich für eine vorgezogene Bundestagswahl aus. Aus dieser ging die CDU als stärkste Partei hervor und bildete mit der FDP eine Koalition, die von Kanzlerin Angela Merkel geführt wurde. Auf der Bundesebene war dies das vorläufige Ende rot-grüner Regierungen.

Seither treten die Grünen noch pragmatischer auf, man kann auch sagen, ohne ausdrückliches Bekenntnis zu jenen Überzeugungen, die zu ihrer Gründung führten. Sie koalieren auf Landesebene sowie in vielen Städten und Gemeinden mit SPD, CDU, FDP und Linken. Die schwarz-grünen bzw. grün-schwarzen Koalitionen in Hessen und Baden-Württemberg gelten dem rechten Flügel der Partei als Modell für die Bundesrepublik.

Dadurch erwecken die einst rebellischen Grünen den Eindruck, sie regierten mit, nur um dabei zu sein und um in den Genuss persönlicher Vorteile zu gelangen. Politische Programme, welche die ursprünglichen Forderungen wieder aufnehmen, sucht man vergebens. Das Motto des gerade zu Ende gegangenen Bundesparteitags lautet denn auch „Zukunft ist aus Mut gemacht“. Der Slogan wirft die Frage auf, zu was Mut benötigt wird.

Denn es bedarf des Muts, die herrschenden Verhältnisse, also den Widerspruch zwischen Herrschenden und Beherrschten, einschließlich der NATO und einer auf Wirtschaft und Finanzen fixierten EU selbstkritisch zu hinterfragen und Strategien für einen Wandel zu entwickeln. Und es bedarf des Muts, dem religiösen Fundamentalismus in allen seinen Schattierungen entgegenzutreten. Die proklamierte „Ehe für alle“ scheitert vor allem an konservativen Katholiken, Evangelikalen und der Mehrheit der Muslime. Ähnliches gilt für die vollständige Emanzipation der Frauen. Letztlich bedarf es des Muts, jene grünen Politiker zu entmachten, die (wie in Frankfurt am Main) den Immobilienspekulanten die Hand halten und dadurch einen Exodus der Normalverdiener aus den großen Städten hervorrufen.

Die Grünen müssen 37 Jahre nach ihrer Gründung endlich die ökologische Frage mit der sozialen verbinden und spürbar unbequem werden. Andernfalls bleiben sie Instrument derer, die sie eigentlich in ihre Schranken verweisen wollten und sollten. Die Gesamtpartei scheint mir dazu nicht in der Lage zu sein. Lediglich durch eine grüne Kernspaltung (zwischen dem Özdemir- und dem Hofreiter-Flügel) könnte die intellektuelle und ethische Qualität zurückgewonnen werden, ohne die man die Welt nicht verändern kann.

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