kurt 20 juli 1944 104 v img 16 9 xl d31c35f8186ebeb80b0cd843a7c267a0e0c81647Was wollten die Männer des 20. Juli?, Teil 4/4

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) – Der schon genannte Franz Reuter schreibt zu den außenpolitischen Absichten der Verschwörer des 20. Juli: „Was die eminent wichtige Frage der Außenpolitik angeht, so hoffte man ganz überwiegend, zunächst mit den angelsächsischen Mächten zu Rande zu kommen. Man wollte aber auch gleichzeitig den Krieg im Osten beenden, nur dass man mehr, wenn auch keineswegs ausschließlich, Sympathie und Anknüpfungsmöglichkeiten nach dem Westen hatte... Der als Außenminister in Aussicht genommene ehemalige römische Botschafter von Hassel, Schwiegersohn des Großadmirals Tirpitz, stand mit seinem Gefühl dem Westen nahe.“ Der nachfolgende Satz Reuters lässt darauf schließen, dass verschiedene Mitverschwörer an ein Konzept dachten, das sich in außenpolitischer Hinsicht von dem der NS-Regierung nur graduell unterschied. Er schreibt: „Ich selbst habe frühzeitig die Auffassung vertreten, dass der Anstoß für eine kühne oder ungewöhnliche Außenpolitik von jemand anderem (als von Hassel) hätte ausgehen müssen.“

Was wollten die Generäle?

Eine Bestätigung für die im Kreis der Verschwörer gehegte Absicht, mit dem Westen gegen den Osten zu paktieren und zu kämpfen, liegt in folgender Mitteilung Reuters: „Ich selbst habe frühzeitig den Standpunkt vertreten, dass mit einer Entzweiung zwischen den angelsächsischen Mächten und Russland vor der siegreichen Beendigung des Krieges nie zu rechnen sei...“ Danach haben solche Spekulationen bei verschiedenen Angehörigen des Kreises 20. Juli zweifellos eine Rolle gespielt und sie in dem Gedanken bestärkt, das Kriegsgeschick mit Hilfe westlicher Panzer und Kanonen in einer Weise zu wenden, die möglicherweise den Ambitionen der Generale, nicht aber den Interessen des von den Folgen der verflossenen Kriegsjahre schwer getroffenen Volkes entsprochen hätte.

Dass es Absichten dieser Art gab, spricht indessen nicht gegen jene Verschwörer, die sich ehrlich und mit höchstem persönlichen Mut für die Interessen des Volkes einsetzten und Tapferkeit bis zum Tod bewiesen. Unter ihnen befanden sich Männer, die die Volkskräfte bei der Beseitigung des Naziregimes nicht ausschalten wollten und die – wie Graf Stauffenberg und Adam Trott – Verbindung zu aktiven Widerstandsgruppen hatten und für ein Bündnis mit ihnen eintraten.


Das Verdienst anderer Widerstandskreise

Nach allem was über den 20. Juli bekannt geworden ist, muss gesagt werden, dass – unter Zugrundelegung der Volksinteressen und der Ideale der Widerstandsbewegung – die an jenem Tag wirksam bzw. nicht wirksam gewordenen Kräfte positive und negative Elemente vereinten. Die Vorgänge um den 20. Juli sind als Widerstandshandlung gegen ein barbarisches Regime in die Geschichte eingegangen und verdienen eine entsprechende Würdigung.

Verfehlt wäre es jedoch, diese Tat als die einzig erwähnenswerte Widerstandshandlung zu betrachten. Schon lange bevor der Kreis um den 20. Juli die Notwendigkeit von Abwehrmaßnahmen erkannt hatte, waren Widerstandskämpfer für die Beseitigung des Naziregimes eingetreten. Um der geschichtlichen Wahrheit willen muss gesagt werden, dass es sich hier vornehmlich um Kommunisten und Sozialdemokraten handelte. Wegen ihres unerschrockenen Kampfes wurden ungezählte auf barbarische Weise ermordet. Die Tragik ihres Opfers liegt darin, dass sie nicht rechtzeitig zum gemeinsamen Handeln zusammenfanden.

Trotz aller Vorbehalte im Hinblick auf den 20. Juli wehren sich die überlebenden Widerstandskämpfer entschieden dagegen, die Verdienste der positiven Kräfte des 20. Juli wie überhaupt die Widerstandsbewegung herabzuwürdigen. Ihr Ansehen und ihre Ehre gilt es gegen alle zu verteidigen, die durch die politische Entwicklung in der Bundesrepublik und das Wiedererstarken militaristischer Kräfte dazu ermuntert werden, sie als „Landesverräter“ zu verdächtigen und ihre edlen Motive in Frage zu stellen. Was die Versuche des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Heusinger, angeht, sich vor die Männer des 20. Juli zu stellen, so hätte er besser daran getan, sich 1944 zu ihnen zu bekennen!


Foto: 1964 gab die Deutsche Bundespost 8 Briefmarken verschiedener Widerstandskämpfer heraus, von Sophie Scholl bis Stauffenberg © br.de

Info: Erstmalig erschienen am 18. Juli 1959 in DIE TAT. Im ersten Artikel erklärt die Vorbemerkung,  wie es zum Abdruck  der Texte - erstmalig erschienen am 18. Juli 1959 in DIE TAT - in Weltexpresso kommt.