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Kategorie: Zeitgeschehen
kpm Holocaust Mahnmal in BerlinDie Forderung eines „kleinen Holocausts“ gegen Hamburger G20-Randalierer ist weder Volksverhetzung noch Verharmlosung der NS-Morde

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Da brauchen wir schnellstens eine internationale Sonderkommission, die da mal einen [ ] »kleinen Holocaust« veranstaltet und diesen Puff ausräuchert.“ Gemeint waren so genannte „Schwarze Blocks“ und andere Gewalttäter, die am Rande des G20-Gipfels in Hamburg randaliert hatten.

Dieser Aufruf war am 9. Juli dieses Jahres auf der Internetseite „Neues aus dem Tower - Max Stillger’s Blog“ zu lesen und von dem Betreiber selbst verfasst worden. Und er steht dort bis heute. Mehrere Bürger hatten daraufhin Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Limburg an der Lahn erstattet, weil sie in dieser Äußerung eine Verharmlosung des Holocausts an den Juden sowie einen Aufruf zur Volksverhetzung sehen. Die Staatsanwaltschaft reagierte rasch - mit einem Ablehnungsbescheid.

In dem gleichlautenden Schreiben vom 26. Juli an bislang mindestens zwei Personen, die unabhängig voneinander Anzeige erstattet hatten, heißt es u.a.:
„Ohne Frage ist die Verwendung des Begriffs »kleiner Holocaust« in Bezug auf Menschen eine sprachliche Entgleisung. Solche Entgleisungen stellen aber nicht zwangsläufig einen Straftatbestand dar. Aufgabe des § 130 StGB, der Volksverhetzung, ist im Wesentlichen der Minderheitenschutz vor grober Verunglimpfung. Der Schutz gilt jedoch nicht uneingeschränkt.“

Diese Auslegung des Gesetzes ist strittig. Denn der Paragraph 130 des Strafgesetzbuchs trat im Januar 2015 in einer neuen, verschärfenden Fassung in Kraft. So bezieht Absatz 2 sämtliche öffentlichen Äußerungen in Wort, Schrift und Bild, die die in Absatz 1 genannten Tatbestandsmerkmale erfüllen, in die Strafandrohung ein. Absatz 3 schließlich erweitert den Personenkreis eindeutig auf alle, die „eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 Völkerstrafgesetzbuch bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigen, leugnen oder verharmlosen“.

Diese Sicht findet sich in den Strafanträgen wieder. Die öffentliche Verwendung des Begriffs „kleiner Holocaust“, die sprachlich ein Diminutiv des tatsächlichen Holocausts sei, verharmlose die NS-Verbrechen an den Juden und erfülle vollständig die juristischen Kriterien, die an den Straftatbestand der Volksverhetzung anzuwenden wären. Kennzeichnend für diese Wortschöpfung sei das Herbeireden eines Maßstabs, der es gestatte, aus dem quantitativen Umfang der Vernichtung eine qualitative Einstufung abzuleiten. Der in den Anzeigen Beschuldigte erwecke den Eindruck, dass zwar die 6 Millionen Opfer des tatsächlichen, des „großen“ Holocausts, zu viel gewesen sein könnten. Aber die systematische Ermordung von einigen Hundert Randalierern - ohne Gerichtsverfahren und Verurteilungen - ginge hingegen in Ordnung. Eine andere als diese Schlussfolgerung ließe sich aus dem Aufruf nicht ableiten. Darum verharmlose er die mit der Bezeichnung Holocaust untrennbar verbundene systematische Vernichtung von Menschenleben gleich welchen Umfangs.

Der beschuldigte Verfasser des Internet-Beitrags hätte sich nach Auffassung der Strafantragsteller zudem darüber im Klaren sein müssen, dass die Todesstrafe in Artikel 102 des Grundgesetzes abgeschafft ist und dass die unterschiedslose Vernichtung von Menschenleben seit der Verkündung der Verfassung 1949 außerhalb jeder Rechtsvorstellung und Rechtspraxis liege. Der gesamte inhaltliche Kontext der vom Beschuldigten verfassten Kommentierung ließe zudem völlig außer Betracht, dass in der Bundesrepublik jede nachgewiesene Straftat, gegebenenfalls unter Berücksichtigung besonderer Umstände, nach den Vorschriften des Strafgesetzbuchs geahndet würde. Weder zu dem Zeitpunkt, als der Blog-Beitrag verfasst wurde, noch bis zum heutigen Tag werde von den Justizbehörden kein Zweifel daran gelassen, dass die der Tat überführten Gewalttäter von Hamburg anzuklagen wären und dass die Gerichte Urteile fällen würden. Es gäbe auch keinerlei Hinweis dafür, dass den Angeschuldigten eine Art Generalamnestie gewährt werden sollte. Ebenso hätte der Kommentator berücksichtigen müssen, dass das gültige Strafrecht eine Kollektivstrafe verbindlich ausschließt. Über die Notwendigkeit zur Einführung eines „kleinen Holocausts“ bedürfe es keines Meinungsbildungsprozesses; denn selbst ein solcher sei durch die Verfassung und die Rechtsprechung verboten.

Dass der Beschuldigte darüber hinaus nicht näher beschriebene Bereiche in der Bundesrepublik Deutschland als „Puff“ bezeichne, den es „auszuräuchern“ gelte, nähre nach Auffassung der Strafantragsteller zusätzliche Zweifel an der vom Beschuldigten für sich reklamierten moralischen Position. Den vorgeschobenen persönlichen Distanzierungen vom NS-Staat stehe die Akzeptanz eines typischen Instruments der Nazi-Gewaltherrschaft entgegen, nämlich des später so benannten Holocausts. Die indirekt vorgenommene Unterscheidung zwischen einem „kleinen Holocaust“ und dem, der sich tatsächlich ereignet hat, müsse deswegen als Taktieren gewertet werden.

Die Antragsteller befürchten vor diesem Hintergrund, dass der Staatsanwaltschaft Limburg an der Lahn sowohl die gebotene juristische Sensibilität als auch der erklärte Wille fehle, um diese Art von Volksverhetzung und die damit verbundene Verharmlosung des Holocausts zu ahnden. Es seien Zweifel darüber angebracht, ob die Staatsanwaltschaft ihre Aufgabe als Instrument der Rechtspflege tatsächlich verinnerlicht hätte.

Der angezeigte Blogger soll dem Vernehmen nach Mitglied der CDU sein und in Limburg an der Lahn häufiger als Sponsor von Sportveranstaltungen in Erscheinung treten.

Foto:
Holocaust-Mahnmal in Berlin, © Touristeninfo Berlin

Info:
Siehe auch den Weltexpresso-Beitrag vom 16. Juli 2017: „Der Pöbel wetzt bereits die Messer“ https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/10362-der-poebel-wetzt-bereits-die-messer