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Kategorie: Zeitgeschehen
kurt hamburgMilitante Autonome unter Festgenommenen eine Minderheit

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Drei Wochen nach den Hamburger Krawallen hat sich der Nebel über der - wie Angela Merkel sich ausdrückte - „entfesselten Gewalt und ungehemmten Brutalität“ etwas gelichtet. Im Gefängnis sitzen noch 35 Personen.

Nach Angaben des grünen Hamburger Justizsenators Till Steffen befinden sich darunter nur wenige militante Autonome. Meistens handle es sich um junge Menschen, die nirgendwo integriert seien und keinen festen Wohnsitz hätten. Dann gebe es eine dritte Gruppe mit hohem Bildungsniveau, bürgerlichem Hintergrund und festen Arbeitsverhältnissen. Die Inhaftierten stammten aus 15 Nationen.

Die Angaben des Justizsenators setzen alle ins Unrecht, die den angerichteten Schaden pauschal dem linksautonomen Spektrum zurechnen. Offensichtlich haben politisch ganz Unbeteiligte die Gelegenheit genutzt, ihrer Zerstörungswut freien Lauf zu lassen oder sich bei Plünderungen schadlos zu halten. Vollends daneben liegen Versuche, alles was links neben den bürgerlichen Parteien steht, militante Autonome, Linke und Sozialdemokraten, über einen Kamm zu scheren. Der Fraktionsvorsitzende der Hamburger SPD, Andreas Dressel, widerstand nicht der Versuchung, sich auf Kosten eines politischen Mitbewerbers mit der Behauptung zu profilieren, die Linke sei der „parlamentarische Arm des Schwarzen Blocks“, übertroffen noch von seinem Parteifreund und Innensenator Andy Grote, der die Krawalle als „bewaffneten Angriff auf unseren Staat“ bezeichnete.

Obwohl manche Filmaufnahmen den Eindruck erweckten, in Hamburg habe das Inferno geherrscht – ein Augenzeuge wurde mit der Aussage zitiert, in der Elbchaussee habe jedes zweite Auto gebrannt –, hat bis heute niemand zu sagen vermocht, wie viele Autos tatsächlich in Flammen aufgegangen sind. Von einer hohen zweistelligen Zahl war die Rede. Andere sprachen von Dutzenden, wiederum andere von mehreren zerstörten Autos. Die Polizei konnte dazu bisher keine Angaben machen. Das französische Innenministerium wusste zwei Tage nach dem diesjährigen Nationalfeiertag, dass Randalierer am 14. Juli landesweit 897 Autos in Brand gesteckt hatten. Im vergangenen Jahr waren derselben Quelle zufolge 855 und ein weiteres Jahr davor sogar 951 verbrannte Autos in Flammen aufgegangen. Man stelle sich das in Deutschland vor!

Als ein Einzeltäter vor einem Jahr in München neun Menschen durch Schüsse tötete und sechzehn verletzte, reagierte die Polizei mit einem riesigen Polizeiaufgebot. Sie mobilisierte nach eigenen Angaben mehr als 2.300 Einsatzkräfte, darunter Spezialeinheiten aus Bayern, Baden-Württemberg und Hessen sowie die GSG 9 der Bundespolizei und die Spezialtruppe Cobra aus Österreich, das wichtigste polizeiliche Sonderkommando des Nachbarlandes.

Eingebunden in den Einsatz waren derselbe Quelle zufolge weitere Kräfte der deutschen Bundespolizei, die Bayerische Bereitschaftspolizei einschließlich der Hubschrauberstaffel, das Bayerische Landeskriminalamt sowie die Polizeipräsidien von Oberbayern Nord und Süd. Die öffentlichen Verkehrsmittel der Millionenstadt stellten ihren Betrieb ein. Bundesminister unterbrachen ihren Urlaub. Kanzleramtsminister Altmeier berief das Sicherheitskabinett zu einer Sondersitzung ein.

In Hamburg ging es um nichts Vergleichbares. Trotzdem erlebte die Stadt mit 20 000 Polizisten den größten Polizeieinsatz der bundesdeutschen Geschichte. Nach landläufigem Verständnis musste es darum gehen, die Sicherheit der zum G-20-Gipfel angereisten Staatsmänner zu gewährleisten. Tatsächlich sah es mehr danach aus, als solle das Polizeiaufgebot die Demonstranten abschrecken. Jedoch so wenig die martialischen Bilder vom Polizeieinsatz in München das Bild eines in sich ruhenden Staates vermittelten, so wenig wirkte die Anwesenheit so vieler hochgerüsteten Polizisten jetzt in Hamburg beruhigend auf die Szene. Wie jedes Streichholz eine Reibfläche braucht, so bedarf es mitunter nur einer falschen Geste oder eines provozierenden Zurufs, um eine Situation explodieren zu lassen. Erfahrungsgemäß gerät dabei die Wahrheit als erstes unter die Räder. Der Blick auf die in Hamburg inhaftierten Krawallmacher hat das wieder gezeigt.

Foto: © hessenschau.de