tach siedlungenBinyamin Netanyahu bekräftigt seinen Wunsch, keine Siedlungen in der Westbank zu evakuieren – ein Credo mit deutlichen Worten

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Als Israels Regierungschef Binyamin Netanyahu am Montag dieser Woche in der Westbanksiedlung Barkan ans Rednerpult trat, konnte er mit voller Überzeugung aus dem Vollen schöpfen.

Er sprach nämlich an einem von den Siedlern organisierten Festanlass am 50. Jahrestag der israelischen Besetzung, Kontrolle oder Befreiung der Westbank (je nach politisch-ideologischem Standort der Feiernden oder eben Trauernden und Protestierenden) und damit dem Beginn des jüdischen Siedlungswerks.


Bleiben, für immer

Und dieses Siedlungswerk war es, das Netanyahu in den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellte. Ausgeglichen waren seine Worte nicht, sollten es wohl auch nicht sein, denn er sprach vor einem eindeutig nach rechts orientierten Publikum. Der Premier nahm Anlauf mit seiner Beteuerung, dass er keine Siedlungen in der Westbank (wahrscheinlich sagte er linientreu «Juda und Schomron») mehr evakuieren werde.

«Wir sind hier, um zu bleiben, auf immer!» Im Lande Israel werde es keine Entwurzelung von Siedlungen mehr geben. «Es wurde bewiesen, dass dies dem Frieden nicht hilft. Wir haben Siedlungen entwurzelt, und was hat es uns gebracht? Wir haben Raketen bekommen. Es wird nicht wieder geschehen.» Israel werde also nicht kapitulieren. «Wir werden Samaria schützen gegen jene, die uns vernichten wollen. Wir werden unsere Wurzeln tiefer in die Erde senken, wir werden bauen, stärken und siedeln.» Verbirgt sich in diesen Worten nun, ungeachtet Dutzender Anläufe von Friedensverhandlungen, Baustopps oder vertrauensbildender Massnahmen, Netanyahus wirkliches Credo? Sprach er in Barkan seine tiefsten Herzenswünsche aus, oder stehen wir vor einem neuen Fall von politischem Opportunismus? Schwer zu sagen, aber sollte das mit dem Herzenswunsch auch nur annähernd zutreffen, müsste man sich allen Ernstes die Gretchenfrage stellen: Wozu das alles? Wem will der Regierungschef etwas vorgaukeln, wenn er doch nie daran denkt, einen auf Zugeständnisse aufgebauten Kompromissfrieden einzugehen?


Keine neuen Äusserungen

Leser mit einem vielleicht schwächeren Kurzzeitgedächtnis seien daran erinnert, dass der Regierungschef sich schon früher in ähnlichem Sinne geäussert hat. So sagte er 2014 vor israelischen Journalisten am Rande des Davoser Wirtschaftsforums: «Ich beabsichtige nicht, irgendeine Siedlung zu evakuieren oder irgendeinen Israeli aus seiner Heimat zu treiben.» Und bereits im Januar 2013 hatte der Premier in einem Zeitungsinterview versichert: «Die Tage der Bulldozer, die Juden vertreiben, sind hinter uns, nicht vor uns.» Das hinderte ihn allerdings nicht daran, wenige Jahre später Menschen aus der unbewilligten Westbanksiedlung Amona zu evakuieren und ihnen eine neue Bleibe in den Gebieten zuzusichern – auf die sie heute noch warten. Für Netanyahus Entscheidungspoker scheint tatsächlich alles eine Frage der Opportunität zu sein. Wenn der Premier nur nicht in diesem immer unübersichtlicher erscheinenden politisch-ideologischen Labyrinth die Übersicht verliert. Die Leidtragenden wären nämlich Bürger, die bis dahin blindlings an den Partei-und Regierungschef glaubten oder immer noch an ihn glauben.


Schlappe in Sotschi

Erwähnen wir abschliessend noch, dass Netan-yahu derzeit auch auf der aussenpolitischen Bühne eher schwierige Zeiten durchmacht. Laut einem Bericht der russischen Zeitung «Prawda», dem Sprachrohr von Präsident Wladimir Putin, endete dessen Treffen mit Premier Netanyahu in Sotschi letzte Woche aus israelischer Sicht mit einer drastischen Schlappe. Dem israelischen Premier gelang es offenbar auch mit ultimativen Schilderungen («Wir werden gegenüber den iranischen Positionierungen in der Nähe Israels nicht gleichgültig bleiben», um nur ein Beispiel zu nennen) nicht, Putin davon abzubringen, in Teheran einen strategischen Bundesgenossen zu sehen, dessen Position in der Region zu stärken sei. Die Zeitung «Prawda» ging sogar so weit, unter Berufung auf Augenzeugen des Treffens von Sotschi von einem «in Panik geratenden» israelischen Regierungschef zu sprechen. Vorerst nützte dies aus Jerusalemer Sicht aber nichts. Netanyahu wird sich zusammen mit seinem Regierungsteam wohl auf absehbare Zeit damit abfinden müssen, dass das Regime, das tagein, tagaus von der Vernichtung des jüdischen Staates spricht, von der zweitstärksten Grossmacht der Welt unterstützt wird. Dabei spielen die USA, immerhin nach eigenen Aussagen der «engste Alliierte Israels», auch keine astreine Rolle, standen sie doch zusammen mit Moskau- Pate beim Zustandekommen des Waffenstillstandsabkommens in Syrien – das, wie sich jetzt herausstellt, vor allem den Iranern und ihren regionalen Expansionsplänen hilft. 

Foto: 
Netanyahu beteuert, dass es in Israel kein Abriss von Siedlungen (hier im Bild Maale Adumim) mehr geben werde 
© tachles

Info: Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 1. September 2017