kpm Hessisches Ministerium der JustizDas meint ein vom Amtsgericht Limburg bestrafter „Schreibtischtäter“

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Schützt die hessische Justiz den demokratischen Rechtsstaat? Oder öffnet sie bei rechtsextremistischen Straftaten formalrechtliche Schutzräume, aus denen heraus Neonazis ungestört ihren Terror ausüben können?

Im Zusammenhang mit dem bis heute ungeklärten Verhalten des AndreasTemme, eines Mitarbeiters des Landesamts für Verfassungsschutz Hessen, können Zweifel aufkommen. Schließlich hielt sich dieser Mann höchstwahrscheinlich im Kasseler Internet-Café des ermordeten Halit Yozgat auf - exakt zum Tatzeitpunkt am 6.8.2006. Dem um Aufklärung bemühten Teil des Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags ist es nach wie vor nicht gelungen, die widersprüchlichen Aussagen aufzuklären, weil die Behörden Informationen nicht weitergeben. Darunter leiden auch die Ermittlungen im Münchener NSU-Prozess.

Auch in anderen Fällen, bei denen glücklicherweise bislang niemand ums Leben kam, sind kritische Nachfragen notwendig. So werden die Brüder Ralf und Reiner Bender seit Dezember 2014 von mindestens einem anonymen Briefschreiber immer wieder diffamiert und bedroht, weil sie Hakenkreuze und andere verfassungsfeindliche Symbole an Verkehrsschildern im Umkreis von Schulen in Limburg an der Lahn entfernt hatten. Einige ihrer Strafanzeigen, die sie bei der örtlichen Polizei bzw. im Büro des Hessischen Staatsschutzes erstattet hatten, sind bei der Staatsanwaltschaft in Limburg nicht auffindbar. Folglich konnte der ermittelte Täter, der in Frankfurt am Main wohnt und dessen Name Horst Jürgen Schäfer lautet, am 5. Juli dieses Jahres vom Amtsgericht Limburg nur auf der Basis ausgewählter, aber nicht vollzähliger Beweise zu 100 Tagessätzen á 70 Euro verurteilt werden. Die Amtsrichterin bezeichnete ihn bei der mündlichen Urteilsbegründung als Schreibtischtäter und schloss bei weiteren Beleidigungen und Belästigungen eine Haftstrafe nicht aus.

Das hält Horst Jürgen Schäfer nicht davon ab, Andersdenkende weiterhin mit anonymen Briefen faschistischen Inhalts zu drangsalieren. Zu diesen Terroropfern zählt auch der Autor dieses Beitrags, der den „Fall Bender“ während einer Veranstaltung des Frankfurter Literaturvereins PRO LESEN im städtischen Bibliothekzentrum Sachsenhausen im April 2016 in diesem Kreis öffentlich machte. Zwischen August und Dezember 2016 erhielt er bzw. der gemeinnützige Förderverein, dessen Vorsitzender er ist, durchschnittlich alle zwei Wochen Pamphlete, in denen der Holocaust verharmlost bzw. geleugnet wird und in denen die Straftaten des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) bestritten werden. Auf die daraufhin erfolgten Strafanzeigen reagierte die Frankfurter Staatsanwaltschaft am 31.07.17 mit dem schriftlichen Hinweis, dass die Anzeigen bei der Strafverfolgung des Horst Jürgen Schäfer nicht beträchtlich ins Gewicht fielen und deswegen nicht berücksichtigt würden.

Das überzeugt nicht, denn der Hassschreiber ist auch nach den bereits vorher erfolgten rechtskräftigen Verurteilungen durch das Amtsgericht Wetzlar (22.10.15) bzw. das Landgericht Limburg (27.01.17) weiter verleumderisch aktiv; das Urteil des Amtsgerichts Limburg, das zu diesem Zeitpunkt möglicherweise noch nicht rechtskräftig war, wurde in dem Bescheid gar nicht berücksichtigt. Hätte man sämtliche Delikte herangezogen, hätte das Strafmaß deutlich höher ausfallen müssen; denn die Quantität bestimmt im juristischen Denken durchaus auch die Qualität eines Delikts. Somit entsteht der Eindruck, dass die Strafverfolgungsbehörde eigentlich gar nicht im vollen Umfang tätig werden wollte, tätig werden will.

Der Nazi-Sympathisant Schäfer interpretiert diese Untätigkeit als Bestätigung seiner Anschläge. Eine Schmähschrift, die am 9. September bei mir einging, und in welcher der Holocaust erneut verharmlost wird, ist mit der handschriftlichen Marginalie versehen: „OLG FFM 2017: Die Negation des Holocausts in Privatbriefen ist keine strafbare Volksverhetzung, da es nicht Öffentlichkeit ist!“

Dieser (anonyme, aber zuordbare) Brief ist an den „Autor K. P. Mertens“ gerichtet. Und dieser Autor informiert seit einem Jahr die Mitglieder und Multiplikatoren des Vereins PRO LESEN und die Leser von „weltexpresso.de“ sowie die der „Frankfurter Rundschau“ und macht diese Angriffe auf das demokratische Selbstverständnis öffentlich. Das scheint der Staatsanwaltschaft aber anscheinend nicht auszureichen, um massiv gegen Schäfer und Konsorten vorzugehen.

Auch der Limburger Oberstaatsanwalt Hans Joachim Herrchen definiert öffentliche Aufrufe zur Volksverhetzung anders als es die Absätze 3 und 4 des Paragraphen 130 Strafgesetzbuch vorschreiben. In einem Interview der „Nassauischen Neuen Presse“ am 16. August dieses Jahres erklärte er, warum er nicht gegen einen Limburger Finanzunternehmer vorgegangen war, der in seinem Internet-Blog zu einem „kleinen Holocaust“ gegen Mitglieder des „Schwarzen Blocks“ aufgerufen hatte, die am Rand des G20-Gipfels in Hamburg randaliert hatten. Die Justiz bewege sich hier zwischen erlaubter Meinungsäußerung und der Bedrohung einer Gruppe, die nicht eindeutig abzugrenzen sei. Aus Schwarzen Blocks könnte man austreten, für Türken oder Flüchtlinge gelte das nicht.

Da möchte man den Juristen in Limburg und in Frankfurt empfehlen, sich mit einem Fall auseinander zu setzen, der vor zehn Jahren das Landgericht Mannheim beschäftigte. Auch dort ging es um die Verwendung von Denk- und Sprachmustern der NS-Ideologie in Verbindung mit volksverhetzenden Hassbotschaften. Die Baden-Württemberger verurteilten eine Rechtsanwältin, die sich in einem Verfahren um Holocaustleugnung und Holocaustverharmlosung einer Ausdrucksweise bediente, die als Rechtfertigung und Verharmlosung des NS-Unrechts empfunden werden musste. Die Frau wurde deswegen vom Verfahren ausgeschlossen, zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt und mit einem Berufsverbot belegt. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revisionen gegen die Urteile. Dieser Fall ging in die deutsche Rechtsgeschichte ein. Diverse Urteile bezüglich der Verharmlosung des NS-Unrechts einschließlich von Aufrufen zur Volksverhetzung basieren seither auch auf den in diesen Entscheidungen bekräftigten Rechtsauffassungen.

Solange hessische Staatsanwaltschaften nicht in der Lage oder willens sind, über den Tellerrand hinaus zu blicken und zu reagieren, solange werden Schreibtischtäter wie Horst Jürgen Schäfer weitermachen mit ihren Belästigungen, Beleidigungen und Gewaltandrohungen.


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