wpo a fritzbauer2Anmerkungen zum Wahlerfolg der AfD, Teil 2/4

Matthias Küntzel

Hamburg (Weltexpresso) - Björn Höcke, der Fraktionsvorsitzende der AfD im Thüringer Landtag, der Richard von Weizsäcker vorwirft, am 8. Mai 1985 “eine Rede gegen das eigene Volk“ gehalten zu haben, hatte sich zuvor in einer Rede in Dresden zur Bombardierung dieser Stadt im Februar 1945 so geäußert:

“Mit der Bombardierung ... wollte man nichts anderes, als uns unsere kollektive Identität rauben. Man wollte uns mit Stumpf und Stiel vernichten, man wollte unsere Wurzeln roden. Und zusammen mit der dann nach 1945 begonnenen systematischen Umerziehung hat man das dann auch fast geschafft. ... Wenn wir eine Zukunft haben wollen, ... brauchen wir eine Vision. Eine Vision wird aber nur dann entstehen, wenn wir uns wieder selber finden. ... Selber haben werden wir uns nur, wenn wir wieder eine positive Beziehung zu unserer Geschichte aufbauen. ... Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad!“[4]

Mit “kollektiver Identität“ ist hier die nationalsozialistische Volksgemeinschaft gemeint, an die Höcke anzuknüpfen sucht. Seine Vision für die Zukunft baut auf einer Rehabilitierung der Vergangenheit auf.


Geschichtsrevision und Rassismus

Einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge, “haben AfD-Sympathisanten ein ähnliches Bildungsniveau wie der Durchschnitt der Bevölkerung und verdienen sogar überdurchschnittlich viel. ... Statt von der ,Partei der Abgehängten‘ sprach das IW von der ‚Partei der sich ausgeliefert fühlenden Durchschnittsverdiener.‘“[5] Aus Armutsgründen wurde die AfD offenkundig nicht gewählt. Doch weshalb dann?

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitiert den Düsseldorfer Wirtschaftsprofessor und Regionalforscher Jens Südekum: “Die Wahlentscheidung wird wohl in erster Linie von der Sorge vor Zuwanderung und Flüchtlingen und der Angst vor dem regionalen Identitätsverlust bestimmt.“ Diese These passe zu “dem hohen AfD-Anteil in den eher ländlich geprägten Regionen in Süd- und Ostdeutschland – also ausgerechnet dort, wo es kaum Ausländer gibt“, heißt es weiter in der FAZ.[6]

Was aber haben die Zuwanderungspolitik oder die Angst vor regionalem Identitätsverlust mit der Forderung nach einer “erinnerungspolitischen Wende“ und dem absurden “Stolz“ auf deutsche Wehrmachtssoldaten zu tun? Gar nichts, jedenfalls auf den ersten Blick.[7]

Anders sieht dies im Kontext von Verschwörungstheorien aus. Diese unterstellen ausländischen Mächten, dass sie die Deutschen “wegen Adolf“ zu einer spezifischen Flüchtlingspolitik nötigten. So erhielt der Publizist Tuvia Tenenbom auf die Frage, warum die Deutschen mehr Flüchtlinge als andere Länder aufgenommen hätten, stets ein- und dieselbe Antwort: “Die Geschichte. ... Wenn die Deutschen nicht all diese Flüchtlinge reinließen ..., würde man überall sagen, die Deutschen sind Nazis.“[8]

Eine klassische Projektion: Die eigene Aggression, die sich gegen Fremde richtet, wird hier auf fremde Mächte projiziert, die angeblich Deutschland mit Nazi-Vorwürfen erpressen. In dieser Sphäre des Irrationalen passen der Hass aufs Fremde und der Hass auf die Erinnerungspolitik zusammen: Ohne die lästige Vergangenheit kein internationaler Druck. Es gibt zwischen dem Umgang mit der NS-Zeit und dem Fremdenhass aber noch einen weiteren Zusammenhang.

FORTSETZUNG FOLGT

Anmerkungen

[4] Auftritt von Björn Höcke am 17.01.2017 in Dresden auf: https://www.youtube.com/watch?v=WWwy4cYRFls
[5] Marcus Jung, AfD-Wähler sorgen sich nicht nur vor Zuwanderung, in: FAZ, 27. September 2017
[6] Ebd.
[7] Muslimische Flüchtlinge aus dem Nahen Osten haben vielleicht weniger Anpassungsschwierigkeiten, wenn von Stolz auf die Wehrmacht die Rede ist; pflegen doch zahlreiche nahöstliche Medien ein Loblied auf den Nationalsozialismus zu singen. Ich werde die Auswirkungen des AfD-Erfolges auf die deutsche Islam- und Islamismus-Debatte an anderer Stelle beleuchten.
[8] Tuvia Tenenbom, Allein unter Flüchtlingen, Berlin 2017, S. 137.


Foto:
Das ist wirklich der Erwähnung wert. Als wir für diese bilderlose Artikelfolge von Matthias Küntzel Fotos suchten und auf keinen Fall die von AfDlern wollten, gaben wir als Stichwort bei google: Geschichtsvergessenheit ein. Und was fanden wir? Fritz Bauer, den Hessischen Generalstaatsanwalt! Und zwar deshalb, weil wir über ihn mit der Überschrift 'Geschichtsvergessenheit' einen Artikel geschrieben hatten. Wir drucken also hier ein zweites Mal unser eigenes Foto ab, das von ©CV-Films stammt und dem Film von Ilona Ziok FRITZ BAUER - TOD AUF RATEN